Süddeutsche Zeitung

Unsere Kernprodukte

Im Fokus

Partnerangebote

Möchten Sie in unseren Produkten und Services Anzeigen inserieren oder verwalten?

Anzeige inserieren

Möchten Sie unsere Texte nach­drucken, ver­vielfältigen oder öffent­lich zugänglich machen?

Nutzungsrechte erwerben
Aus der ehemaligen jetzt-Community: Du liest einen Nutzertext aus unserem Archiv.

Callcenter Chaos

Text: Kienlea

Das letzte Jahr ging schnell vorbei. Und das jetzige gefühlt noch ein Stück schneller. Ich hatte nicht erwartet, dass ich es über ein Jahr aushalten werde, in diesem Beruf zu arbeiten. Aber es ist so schnell vergangen, die Zeit hier am Telefon. Um meine Ziele zu verwirklichen, habe ich ziemlich genau vor einem Jahr beschlossen, in einem Callcenter anzufangen und mir dabei ein bisschen Geld auf die Seite zu legen.

Ich bin weder Fan von zu kopflastiger noch zu eintöniger Arbeit. Ich mag die Abwechslung. Körperlich anstrengende Arbeit hat noch niemandem geschadet, ist meine Meinung. Trotzdem ist es für die meisten Menschen auch wichtig, das Hirn zu verwenden. Ansonsten verkommt ein ganz wichtiger Teil in uns. Als Callcenter Agent habe ich viel über mich und die Menschheit gelernt. Kennt ihr das, wenn man sich für eine Kaufentscheidung lange Zeit lässt und während dessen sein Objekt der Begierde aus der Ferne betrachtet? Man nimmt sich mehr Zeit als sonst, stöbert im Internet und beredet seinen Kaufwunsch mit Freunden. Vorher hat man beispielsweise einem bestimmten Elektrogerät nie die Beachtung geschenkt. Wenn man sich damit dann auseinandersetzt, sieht man dieses plötzlich ständig in der Umgebung.

So geht es mir auch als Grafikerin. Früher war Werbung für mich der allergrößte Abschaum. Jetzt begegne ich ihr respektvoll und interessiert, da ich damit mein Geld verdienen kann. Seit ich im Callcenter arbeite, rufe ich jedenfalls nicht mehr unvorbereitet auf einer Servicehotline an. Ich möchte mich aufgrund meiner Erfahrung distanzieren von den Menschen, die dort anrufen und gar nicht genau wissen, was sie wollen. Was ich jetzt auch weiß: Rede nicht zuviel und nicht zu lange, denn der Typ am anderen Ende der Leitung, der hat eine bestimmte Gesprächsdauer nicht zu überschreiten. Die durchschnittliche Gesprächsdauer liegt bei unter vier Minuten. Wenn Du also möchtest, dass Dein Gegenüber kurzzeitigen Stress bekommt, dann quatsche Ihn voll bis zum geht nicht mehr. Tu so, als wärst Du der einzige, der auf dieser Hotline anruft und wische den Menschen hinter Dir in der Warteschleife, so richtig eins aus.

Man kann die Kunden aus meiner Arbeit in drei verschiedene Kategorien einteilen. Einmal gibt es die  freundlichen Hausfrauen, Omis und Kinder, die Ihre Liebsten beschenken wollen. Diese sind meist schlecht vorbereitet, lesen grundsätzlich nur das Großgedruckte auf der Website, lassen sich aber freundlichst beraten, um danach erleichtert zu kaufen oder nochmals Rücksprache mit dem Chef im Hause zu halten. Die andere Gruppe von Anrufern ist männlich, gut strukturiert, ein wenig arrogant und natürlich äußerst gebildet, was sich in deren Aussprache widerspiegelt. Sie haben keine Zeit sich ein Geschenk für Ihre Liebsten auszudenken, denn Sie sind immer beschäftigt und möchten diese Verantwortung deshalb an Personen wie mich abgeben.
Wenn das Geschenk dann doch nicht so angekommen ist wie erwartet, oder gar unpassend war, dann kommt gewiss nicht nur ein Rückruf. Dafür hat man(n) dann plötzlich richtig viel Zeit und wahnsinnig viel Ausdauer. Mit Anwaltsdrohung und hysterischem Gehabe, das auch unter die Gürtellinie geht, fange ich in solch einer Situation an auf die „Stummtaste“ zu drücken und meinen Kollegen im Großraumbüro zu berichten, war für einen „Idioten“ ich gerade am Telefon habe. Das ist wichtig, denn ich bin kein Mülleimer. Ich kann die Launen der Kunden nicht auffangen und ansammeln, bis sie in mir anfangen zu vergammeln. Ich muss sie frühzeitig aussortieren. Die dritte Art von Anrufer beschreibt Menschen, die leider seltenst anrufen. Das Schöne: Es gibt sie. Und wenn sie anrufen um eine Serviceleistung zu bekommen, dann habe ich richtig Freude an diesem Job. Ich bin dann besonders ehrlich, offen und versuche das Bestmögliche für den Menschen an der anderen Leitung heraus zu holen.
Es ist wie mit dem Echo im Wald. Denn was man zurück bekommt, ist nicht nur die Bestätigung, dass man es gut gemacht hat. Es ist eine Art Wertschätzung, die wir alle brauchen. Und nach einer 8-Stunden Schicht, in der man immer versucht hat bis aufs Äußerste freundlich zu bleiben, bei Diskussionen durchaus an seine Grenzen gestoßen ist, da bekommt der Ein oder Andere Mitarbeiter von uns durchaus Zweifel an dem Verstand der Menschheit. Kategorie Drei hilft uns dann wieder daran zu glauben. 

Mehr lesen — Aktuelles aus der jetzt-Redaktion: