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Gebügelte Kleider.

Text: feefeuer
Hier auch zum Anhören: Link.

In meiner Wohnung riecht es nach Thunfisch und Rauch, ich lasse die Fenster auf, das Dunstabzugshaubenlicht zieht die Falter an. Auf dem Fensterbrett spüre ich ihren Flügelschlag, das nervöse Flattern streift meine Wange, meine Schulter, etwas, jemand auf der Suche nach dem großen Glück, das verschwinden wird, wenn ich das Licht ausschalte.

Ein Paar auf der Straße, ein Zwillingsbuggy vollbesetzt, ein Einkaufswagen und vier Packungen Pampers, Mann schiebt Windeln, Frau schiebt Balg. Mein Blick klebt an ihnen, bis sie scheppernd das Ende der Straße erreichen.



Wir gehen in die Filiale, der Automat schluckt meine Karte, ich tippe und schiebe dann die Gummilasche rechts vom Nummernfeld zurück in ihren Neunzig Grad Idealzustand, die Geste, ich erkenne sie wieder, weiß zum ersten Mal, dass ich sie immer mache, wenn der Automat prozessiert, wenn ich warte auf den nächsten Bildschirm, auf die sich öffnende Klappe, OCD, sagst du, klarer Fall, ob die Erkenntnis alt ist, weiß ich nicht.



Im Kiosk kaufe ich Bier aus der Heimat, ein Euro dreißg kostet der Liebesbrief an mich selbst, einem Durstigen halte ich die Tür auf, er dankt es mir nicht, sein Körpergeruch streift mich, ich rieche ihn noch eine Straße weiter, als würde sein Schweiß an mir haften, habe mich eingeschossen auf diesen Geruch, meine Hände riechen nach ihm, meine Kleider, meine Haare, ganz sicher.



Hier hat schon lange keiner mehr sauber gemacht, die Häufung der Stummel zeigt an, wo einer dieser geheimen Schuppen ist, die hier plötzlich auftauchen und wieder verschwinden, da ist nie ein Schild, woher weißt du ihre Namen, frag ich dich und du sagst nichts, ich habe das Passwort nicht, das mir Einlass verspricht und wenn die Fenster mit Plakaten verklebt und die Asche ausgekühlt, das letzte verschüttete Bier auf den Asphaltplatten getrocknet ist, atme ich durch.



Ich weiß, was es heißt, sein Leben im Griff zu haben: das Leben in hohen, lichtdurchfluteten Räumen, abgeheftete Kontoauszüge, eine Flasche San Pellegrino im Kühlschrank und „Ich weiß es nicht“ sagen zu können, statt Antworten zu fingieren, ja, die eigene Ratlosigkeit zuzugeben, stehen zu lassen und gebügelte Kleider, auf jeden Fall gebügelte Kleider.



Seit kurzem werde ich ständig gefragt, ob ich hier bleiben möchte. Ob das mit dieser Stadt oder meinem Alter zu tun hat, ich bin mir nicht sicher. Bleiben, sagen sie, und meinen für immer. Eine Weile, sage ich, soweit ich eben denken kann, zurück will ich nicht, aber für immer? Hier bin ich nicht gerne traurig, sage ich, sage ich nicht, denke ich bloß, weil keiner so genau versteht, was ich eigentlich damit meine.



Die Flasche ist ausgelaufen. Im Gemüsefach schwimmen Salatblätter und Radieschen in einem See aus Wodka, nur die Gurke ist untergegangen, eine Chance hatte sie von Anfang an nicht. Ich nehme das Aluminiumfolienschiff, das du aus dem Zigarettenschachtelmüll gefaltet hast und lasse es segeln.



Später bemerke ich, dass das Rückgeld in der Hosentasche Spuren hinterlassen hat. Sechs runde Abdrücke auf meinem Bein, neben der Hosennaht, die sich ins Fleisch gegraben haben. Sie überschneiden sich, verdecken sich, ich lese Zahlen, Schrift. Eine Münze kann ich nicht entziffern, die Buchstaben fremd, sie muss von weit her gekommen sein und ich habe sie trotzdem ausgegeben, irgendwer hat sie trotzdem angenommen und gleich wird die Haut wieder glatt sein und das Rätsel lässt sich nicht mehr lösen.



Und noch später ist da ein Pfiff auf der Straße, eine gehobene Hand, der Gruß gerichtet an mich auf dem Fensterbrett, wo ich mich für unsichtbar hielt. Ich winke zurück, ich muss mich daran gewöhnen. Bald stellen sie das Gerüst auf, sie kommen mit Planen und Eimern und Pinseln und streichen meine Fassade. Und ich habe ja immer noch keine Vorhänge.




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