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Zögernde Dringlichkeit

Text: phantomderoprah

Ist es naiv, zu glauben, ein „Machtwort“ der Bundeskanzlerin würde etwas bewirken? Würde Rechtsextreme einschüchtern, zur Vernunft bringen oder wenigstens eine sachliche Diskussion anregen?



Es hat erst eine tagelange Kritik in Medien und sozialen Netzwerken - #merkelschweigt - gebraucht, bis Angela Merkel sich zu den menschenverachtenden Vorfällen rund um das Thema Flüchtlinge äußerte. Erst mussten Anschläge auf Unterkünfte verübt, geflüchteten Menschen, die in Deutschland Schutz suchen, Panik und Angst vermittelnt werden.



Was sagt das über Merkel aus? Das kann nicht wirklich das Zeichen sein, das gesetzt werden soll. Ungeachtet dessen, was sie letztendlich gesagt und nicht gesagt hat, erweckt das Zögern einen unangenehmen Eindruck. Sicher ist man ein solches Zögern von Merkel in den verschiedensten Situationen gewohnt, doch für dieses Thema, bei dem es um Rassismus und Hass geht, um Einschüchterung und Hetze und Tod, ist eine gewisse Dringlichkeit vorauszusetzen.



Dies gilt der Moral nach natürlich immer, einwandfrei für alle Gesellschaften. Aber gerade mit der deutschen Vorgeschichte sollte es die Bundeskanzlerin, nebenbei die vermeintlich mächtigste Frau der Welt, für notwendiger erachten, ein Morddrohungen und das Beschimpfen von Ausländern als „Dreck“ und „Viehzeug“ angemessen zu ahnden.



Die Diskussion um die deutsche Vergangenheit und das Vergessen der Schuld lebt jedes Jahr, zum Beispiel zum Gedenken an Auschwitz, wieder auf und ist immer wieder mit Rufen nach Vergessen behaftet. Die aktuellen Geschehnisse zeigen jetzt mehr denn je, dass es eben nicht Zeit ist, zu vergessen. Im Gegenteil. „Besorgte Bürger“, die sich Sorgen machen um ihren Reichtum und ihre Kultur, und ihre „Ängste“ vor Raub und Betrug erinnern erst recht an die Zeit, die sie so sehr vergessen wollen.



Und deshalb reicht es nicht, wenn Politiker die Taten dieser Leute verachten. Es sind nicht „diese Leute“, immer öfter beobachtet man auch Menschen aus der „Mitte der Gesellschaft“, Mitläufer neben den Neonazis, die kein Stück besser sind. Eine Verurteilung in der dritten Person wird gar nichts bewirken, weil sich einfach niemand angesprochen fühlt. Was fehlt, ist eine direkte Ansprache, so banal es klingt. Merkel persönlich, direkt in die Kamera, die Täter ansprechen. Wenn es sich schon um „Mutti“ handelt, darf es auch eine Standpauke geben. Das wäre ein erster Schritt in Richtung gesellschaftliche Sanktionierung, auch wenn die Wirkung von Symbolkraft auf Taten niemals sichergestellt werden kann.     






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