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Warum ist das Liebe?

Text: AureliaTurner

Ich frage sie: "Warum bist du noch bei ihm?"



Sie sagt: "Weil ich ihn liebe".



Aber warum?



Er benutzt Worte. Er sagt ihr, dass er sie schön findet. Beteuert, er fände ihre Familie toll und möge ihre Freunde. Macht Geschenke. Kauft ihr den Schmuck, den sie gerade im Schaufenster so schön fand, direkt am selben Nachmittag. Redet davon, um die Welt zu reisen, seinen Kredit abzuzahlen und sich von seiner Frau scheiden zu lassen.



Er verspricht ihr alles - und hält nichts davon. Worte über Worte, aber keine Taten.



Keine Taten, die beweisen, dass er sie liebt.



Und sie braucht Beweise. Mehr denn je, denn er ist jetzt weit weg von ihr. Sie will ihn besuchen, bucht ein Flugticket und spart sich das Geld für die Reise mühsam zusammen. Freut sich darauf, ihn endlich wiedersehen zu können, erzählt Freunden und Familie davon. Ignoriert alle Warnungen, schlägt die Vorsicht in den Wind und packt ihren Koffer.



Weil sie ihn liebt.



Kurz vor der Abreise ruft sie ihn an, will Pläne machen. Die Vorfreude ist riesig, sie kann es kaum erwarten seine Heimat kennenzulernen, von der er ihr schon so oft erzählt hat. Das ferne Land am Ende der Welt, über das alle reden, das Paradies für junge Paare. Er hatte ihr versprochen, sich Urlaub zu nehmen wenn sie kommt. Zeit für sie zu haben, zu halten, was er versprochen hat. Sie will sehen, dass er es ernst meint.



Doch er liebt sie nicht.



Obwohl er es ihr sagt, oft sogar. Aber zeigen kann er es nicht. Beweise gibt es keine, seine Taten sprechen gegen seine Worte.



Er sagt, es tut ihm leid. Er hat keinen Urlaub bekommen, muss arbeiten. Sie soll einen anderen Flug buchen, warten, bis er mehr Zeit hat.



Sie ist einverstanden, wenngleich traurig, enttäuscht.



Weil sie ihn liebt.



Er meldet sich wochenlang nicht bei ihr, geht nicht ans Telefon, beantwortet keine Nachrichten. Sie fragt seine Freunde, was mit ihm ist, macht sich Sorgen. Die sagen ihr, er betrüge sie. Schon lange, mit mehreren Frauen. Und dass er sich nie scheiden lassen wird, weil er Schulden hat und sonst auch noch Unterhalt zahlen müsste. Sie forscht nach, sucht wieder nach Beweisen. Dass er sie betrügt, oder dass es eben nicht stimmt. Dass er nicht gelogen hat. Dass er sie liebt.



Weil sie ihn liebt.



Weil sie nicht glauben will, dass er sie betrügt.



Doch er liebt sie nicht.



Weil es stimmt. Weil er sie betrogen hat. Weil es Beweise gibt.



Wenn sie danach sucht, findet sie die Beweise, dass er sie nicht liebt.



Weil Taten mehr sagen als Worte, und nicht Getanes oft mehr schmerzt als nicht Gesagtes.



Doch sie gibt nicht auf. Konfrontiert ihn, zwingt ihn, sich zu erklären. Er sagt, sein Handy sei kaputt gewesen. Mit den Frauen sei er nur befreundet. Und die Scheidungspapiere seien unterwegs. Wieder nur Worte, keine Taten, keine Beweise.



Ich frage sie: "Warum glaubst du ihm?"



Sie sagt: "Weil ich ihn liebe".



Und ich kann seinen Worten nicht mehr glauben. Ich sehe nur das, was er nicht getan hat. Und mich schmerzt es.



Weil ich sie liebe.

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