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2-1 Nicht/-Mutter

Text: lapoule
2015, Sitten und Bräuche im akademisierten Mittelstand. Ich, gewollt schwanger, glücklich. Ablauf:

1. Ich schicke ein Ultraschallbild an meine Freundinnen mit einem lustigen/emotionalen Text. Nenne es Zwerg, Böhnchen oder ähnlich, drücke meine Freude aus.

2. Ich sitze mit meinen Mädels, häufig schon Mütter, am Tisch, zeige den Mutterpass, diskutiere über die Vorsorgeuntersuchungen und lande am Ende beim Thema Masernimpfung die in 1-2 Jahren Thema sein wird.

3. Ich

Moment. Geht nicht. Geht doch, aber bei mir schwierig.

Neugierig habe ich auch schon Blicke in den Mutterpass einer Freundin geworfen. Ich könnte jetzt meinen Zeigen, aber dann. Da gibt es eine Seite vier.

In der Spalte ist es eingetragen. Jahrzahl, Aburptio, Jahrzahl, Abruptio.
Auf Deutsch: Ich hatte schon zwei Abtreibungen.

Nein, ich schäme mich nicht dafür. Und ich bin der Meinung, dass es die richtigen Entscheidungen waren. Auch wenn es mich teilweise bis heute beschäftig. Einmal war es in der wilden Phase meines Studentinnenlebens, einmal, als es ungeplant, zuerst gar nicht einmal unwillkommen gewesen wäre. Hätte sich bei meinem Ex nicht rausgestellt, dass er emotionale Geheimnisse verbirgt, die ihn als Partner auf Dauer und Vater unbrauchbar machen.

Ich könnte es tun. Jetzt mein Ultraschallbild verschicken. 11. Woche. Aber, ich tue es nicht. Damals, vor drei Jahren, da war ich auch in der 11. Woche. Als das Bild ausgedruckt wurde, ich zur Beratung gegangen und eine Woche später abgebrochen habe. Denn das Bild belegte für mich eben die einfache Tatsache: Das ist eben noch kein Kind, ich kann abbrechen, wenn ich will. Kein Kind eben. Und das gleiche Bild soll ich jetzt verschicken und von meinem "Baby" sprechen?

Und der Mutterpass. Zwei Abtreibungen. Eine, ja, unter Umständen würde es noch gehen. Wenn man sich gut rechtfertigen kann. Aber zwei. Ich bin eben nicht Frau M.A., der Muterpass führt in eine andere Kategorie: RTL/ALGII Konsumentin, die nicht richtig verhüten. Herzlos, hart, dumm.

Es führt zu Grundsatzdiskussionen. Deshalb lüge ich. Ich schicke keine Bilder, um die Privatsphäre des "Kindes" zu schicken. Ich zeige nicht den Mutterpass, weil ich ihn gerade zu Hause vergessen habe. Und ich antworte auf die Fragen meiner Kollegin ob ich überrascht bin, wie Brüste spannen und mir morgens übel ist zustimmend. Verscheigend, dass ich das Gefühl schon gekannt habe. Und ich überzeuge mich. Damals war es kein Kind. Jetzt wird es ein Kind, ist aber noch keins. Aber irgendwie schon.

Denn ich habe noch nie ein Kind abgetrieben, ich habe "es" nur weggemacht. Es, irgendwas, abstrakt und doch konkret.

Ich konstruiere meine Ethik. Und ich scheitere daran.

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