Süddeutsche Zeitung

Unsere Kernprodukte

Im Fokus

Partnerangebote

Möchten Sie in unseren Produkten und Services Anzeigen inserieren oder verwalten?

Anzeige inserieren

Möchten Sie unsere Texte nach­drucken, ver­vielfältigen oder öffent­lich zugänglich machen?

Nutzungsrechte erwerben
Aus der ehemaligen jetzt-Community: Du liest einen Nutzertext aus unserem Archiv.

#2

Text: noplacespecial
Ich war neunzehn und Corrigan siebzehn, als unsere Mutter starb. Ein kurzer Kampf mit dem Nierenkrebs. Das Letzte, was sie zu uns sagte, war, wir sollten darauf achten, dass die Vorhänge im Wohnzimmer zugezogen waren, damit die Sonne den Teppich nicht ausbleichte.
 Sie kam am ersten Tag des Sommers ins Saint Vincent's Hospital. Der Krankenwagen hinterließ feuchte Spuren auf der am Meer entlangführenden Straße. Corrigan strampelte auf dem Fahrrad hinterher. Man brachte sie in einen großen Saal voller Kranker. Wir verschafften ihr ein Einzelzimmer und füllten es mit Blumen. Abwechselnd saßen wir an ihrem Bett und kämmten ihr langes Haar, das sich spröde anfühlte. Ganze Strähnen blieben im Kamm hängen. Zum ersten Mal in ihrem Leben wirkte sie wie jemand, der sitzengelassen worden war: Ihr Körper ließ sie im Stich. Der Aschenbecher auf dem Nachttisch füllte sich mit Haaren. Ich klammerte mich an die Vorstellung, dass wir wieder werden könnten, was wir gewesen waren, wenn wir nur diese langen grauen Strähnen aufhöben. Sie lebte noch drei Monate und starb an einem Septembertag, an dem alles in strahlendes Sonnenlicht getaucht war.

(Colum McCann - Die große Welt)

Mehr lesen — Aktuelles aus der jetzt-Redaktion: