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Right, left, yonder

Text: EinfachLara
Schon die gute Alice im Wunderland hatte das gleiche Problem wie ich. Wie ziemlich viele Menschen, wenn man mich fragt. Steht vor einer Kreuzung unzähliger Wege und ist sich sowas von unschlüssig welcher sie wohl zu ihrem Ziel führen mag. Gut. Die Alice, die hatte allerdings den meisten was voraus - die wusste immerhin was ihr Ziel war: sie wollte einfach nach Hause. Ich hingegen finde es schon unsagbar schwer mein "Zuhause" überhaupt erstmal zu finden - wie dann bitteschön erst den richtigen Weg wählen?! "It depends on where you wanna go" hat die Grinsekatze zur Alice gesagt. Die sagt das so leicht. Ist es nicht aber eins der schwersten Dinge der Welt? Dieses wissen wohin man will?



Es gibt ja immer wieder so Erzählungen von Menschen, die zumindest in einer Kategorie ihres Lebens, schon seit Kindheitstagen ganz genau wussten was sie wollten. Diese "schon als sie klein war, hat sie ihre Kuscheltiere verarztet und wusste immer ganz genau, dass sie Tierarzt werden will" oder die "jaja, der hat schon als kleiner Bub nur den Blaumann angezogen und mit dem Hammer im Bett geschlafen" Menschen. Find ich ja bewundernswert. Find ich aber auch verwunderlich. Mit 4 weiß ich doch noch gar nicht ob all der fabelhaften Möglichkeiten, die sich mir bieten mögen. Ökotröphologin zB wäre mir als Grundschülern jetzt nicht ganz so geläufig gewesen. Und ich dachte da außerdem auch, dass ich total super in einem Tûtû im Zirkus auf nem Pony aufgehoben wäre. Finde den Fehler. Ich wollte desweiteren auch immer froh und munter sein. Das hat allerdings schon als Kind nicht einwandfrei funktioniert. Spätestens als die blöde Jessica mir meine Barbie im Kindergarten entwendet und dreisterweise behauptet hat, dass das ihre wäre, spätestens da stellte ich fest, dass dieser Gemütszustand des froh und munter Seins wohl auch nur eben das ist: eine Momentaufnahme. Kein Dauerzustand.



Manchmal sitze ich auf meinem Balkon. Die Sterne sind aufgewacht und die Dunkelheit der Nacht zeichnet alles weich. Es ist ganz still und mein Aschenbecher wird zunehmend unsichtbar ob all der Zigarettenstummel. Ich fühle mich dann als säße ich am Rande der Welt. Ganz allein mit mir. Und die Welt kommt mir so groß und so weit und so unentdeckt vor. Und das ist der Moment, in dem ich mich frage: was will ich von diesem riesigen, unentdeckten, geheimnisvollen Leben da draußen? Und da ich - man vermutete es spätestens seit Erwähnung der Zigaretten - nicht mehr 7 bin, frag ich mich das etwas weiter gestellt als nur meine berufliche Laufbahn auf dem Pony betreffend. Was macht mich glücklich? Was möchte ich behalten, erreichen, loswerden? Wie sieht mein Ziel aus? Was ist "MEIN Zuhause"?



Und wie ich da so sitze und in die Nacht raus schaue, da tauchen Gesichter auf. Die Gesichter meiner Herzensmenschen. Sie machen mich zweifellos glücklich. Mit Ihnen erlebe ich diese namenlosen, unbezahlbaren Momente, in denen man mit Menschen lacht, die einem wichtig sind. So ein alles verzehrendes "ich-hab-ne-Zuckerwatte-in-der-Hand-wieder-8-und-doch-18-es-ist-Freitag-Abend-und-die-Luft-voller-Glück-und-Verheißung-Lachen". Eins, bei dem man total bescheuert aussieht, sich aber nicht eine Sekunde darum schert. Weil man mile high ist.



Als nächstes schweben wieder Bilder auf meinen Balkon. Unscharf. Wie ein Schnappschuss nach 5 Gin Tonic. Du siehst auf dem Bild nicht die kleinen Tropfen, die gerade aus dem Glas springen, die Augenfarbe der Glas -Trägerin oder wo sie steht. Du siehst nur, dass sie wild lacht, ihre Haare fliegen, sie im Halbdunkeln steht. Sie könnte tanzen. Oder gerade umfallen. Aber das ist schlussendlich egal, denn wichtig ist nicht was dieser Schnappschuss zeigt - sondern welches Gefühl er vermittelt. Dass sie glücklich ist. Das sind die Art Bilder, die jetzt mit mir auf dem Balkon sitzen.



Ich hab keine Ahnung wie dieser Mann aussieht, der da an mir vorbei fliegt. Ich weiß nur, dass er seinen Arm lachend in meinem Nacken hat. Die andere Hand könnte auf dem Kopf eines Kindes liegen, das auf einer Schaukel daneben sitzt. (An dieser Stelle bin ich kurz neidisch auf das Kind - ich will auch auf die Schaukel. Ich will immer auf die Schaukel.) Dieser Schnappschuss ist wie ein alter Kamin, wie Wollsocken im Winter, aber auch wie Brause, wie Achterbahn bergab und wie trinken, wenn man Durst hat. Es fühlt sich nach zuhause an. Geborgen. Trotzdem aufregend. Und auf eine ganz triviale Art und Weise unendlich befriedigend.



Ich glaube, jeder hat auf seinem Rand der Welt andere Dinge, die ihm angeflogen und Gesellschaft leisten kommen. Und ich glaube auch, dass wenn man sich lang genug an den Rand setzt, mit den Füßen baumelt und abwartet welche Schnappschüsse einen besuchen kommen, dann kommt man schon ein gutes Stück näher. Zumindest an den Alice Status. Den "ich weiß wohin ich will" Status. Welchen Weg man dann nun nimmt, gut. Das steht auf nem anderen Blatt Papier. Aber laut der Grinsekatze - und jeder weiß, dass die Grinsekatze ein Genie ist - hat man damit die Auswahl des Weges schon erreicht. Right, left, yonder? It depends on where you wanna go....


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