Süddeutsche Zeitung

Unsere Kernprodukte

Im Fokus

Partnerangebote

Möchten Sie in unseren Produkten und Services Anzeigen inserieren oder verwalten?

Anzeige inserieren

Möchten Sie unsere Texte nach­drucken, ver­vielfältigen oder öffent­lich zugänglich machen?

Nutzungsrechte erwerben
Aus der ehemaligen jetzt-Community: Du liest einen Nutzertext aus unserem Archiv.

Traumkotze

Text: in_gula

Seit Anfang des Jahres befinde ich mich in einer Phase der Selbstfindung. Ich konzentriere mich mal auf mich selbst – und dann kann es weitergehen.



Solche Sätze liest und hört man ja immer und überall, aber was genau bedeuten sie eigentlich?



Wo war ich denn, wenn ich jetzt erst zu meinem Selbst finde? Und warum ist da dieser Widerspruch?



In dieser Phase der sogenannten Selbstfindung isoliere ich mich nämlich fast vollständig von der Außenwelt. Ich gehe zwar zur Arbeit und verreise (auch mit Freunden), aber ansonsten mache ich nicht viel. Ich genieße es, alleine mit mir selbst zu sein; Musik zu hören, ganze Filmographien bestimmter Schauspieler und Regisseure durchzuschauen und natürlich haufenweise zu lesen. Ich genieße die Ruhe, ohne diesen Druck, die Konversation weiterführen zu müssen. Ich stehe lediglich im Dialog mit mir selbst – und vielleicht noch mit der Natur, wenn ich mal in den Wald fahre.



Na gut, das Wort Selbstfindung ergibt in diesem Fall Sinn, aber wie geht es weiter? „Finde zu dir selbst, dann kann es weitergehen.“ / „Komma klar.“ - Komm ich jetzt. Aber nicht mehr in der echten Welt, in der diese ganzen Menschen durch die Straßen strudeln und Gesellschaft leben. Ich engagiere mich ehrenamtlich im Hospiz und habe gerade Kleidungsspenden für die Flüchtlinge organisiert, neben meinem Hauptberuf, der ebenfalls mit Menschen zu tun hat. Man kann mir also nicht vorwerfen, ich würde mich nur um mich selbst kümmern und alles andere ausblenden; mich in meiner Blase verstecken. Aber genau das tue ich, sobald ich den Ort verlasse, an dem ich mich engagiere. Ich finde in allem, was ich mache, Inspiration – deswegen mache ich all das ja überhaupt: um die Gedanken und Gefühle anzukurbeln, um eben nicht taub und blind durch die Welt zu strudeln. Die Arbeit im Hospiz ist mir so wichtig, weil ich genau da mich selbst einfach mal komplett ausblende und hundertprozentig für einen Menschen da bin, der gerade wirklich jemanden braucht.



Doch zur selben Zeit merke ich immer wieder, wie realitätsfern ich in den letzten Monaten geworden bin. Wie die Blase immer mehr Form annimmt und ich sie mit immer mehr Bildern einzurichten scheine. Weil ich mich darin wohl fühle. Ich lebe vollkommen für mich allein. Ab und zu falle ich in ein Loch, wenn ich mir Gesellschaft wünsche und dann feststelle, dass ich mich zu lange bei niemandem gemeldet habe und dass nun so spontan niemand mehr Zeit hat, klar. Doch das Loch stopfe ich dann einfach mit noch mehr Blasen zu, bis es überquillt und Träume kotzt. Dann geht’s mir wieder gut.



Zu sich selbst finden – geht das denn, wenn man sich dabei von allem anderen entfernt? Heißt das, dass mein Selbst fernab von jeder Realität ist? Schon klar, dass das sogenannte Selbst sich irgendwo im abstrakten Raum bewegt und nicht händchenhaltend mit mir durch die Straßen schlendert; aber was passiert, wenn ich am Ende feststelle, dass da gar nichts ist? -



Wie ein fehlgeschlagener Drogentrip fühlt sich das manchmal an, aber eigentlich finde ich das ja meistens ganz gut; wenn mich dieses Gefühl von Transzendenz überkommt, während ich durch die Straßen gehe und irgendein Lied aus den Kopfhörern schallt, das es hervorruft – ein Kind, das mich dabei anlächelt. Wenn ich durch ein fremdes Land spaziere und überall hingehen könnte, ich muss nur loslaufen.



Das Leben kann so schön sein, wenn man bereit ist, sich reinzuschmeißen.



Zerplatzt eure Blasen und lasst es Träume regnen.



 



War das jetzt zu pathetisch? Ich will eigentlich gar kein ermutigendes Fazit aus diesem Text ziehen. Ich stopf lieber weiter die ganzen Blasen mit kotzenden Träumen voller Löcher zu – wie war das nochmal?

Mehr lesen — Aktuelles aus der jetzt-Redaktion: