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Mutter, Mutter, Vater, Kind

Foto: Monika Keiler

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Paul hätte es sein können, der Arbeitskollege. Er fand die Vorstellung, der Vater ihrer Kinder zu werden, spannend. Dann kam Jan, der Cafébesitzer. Er wollte ihnen helfen, obwohl er schon zwei Kinder hat. Auf Nadja und Kirsten wirkten beide wie gute Väter. Aber der eine konnte sich nie endgültig entscheiden, der andere machte einen Rückzieher. Und dann gab es noch Jerome.

Kirsten sitzt mit angewinkelten Beinen am Küchentisch ihrer Wohnung in Berlin-Mitte, Nadja lehnt an der Spüle. Es ist Mai, seit acht Monaten ist das lesbische Paar auf der Suche nach einem Vater für ihre Kinder. Allerdings wollen sie nicht nur einen Samenspender, sondern eben auch: einen Vater. Einen Mann, der für das Kind da ist. Ihre Kinder sollen zwei Mütter und einen Vater haben. Und das ist das Problem.

Nadja ist 29, beginnt ihr Studium in Gebärdensprachdolmetschen. Kirsten promoviert in Geschichte. Sie sind ungeschminkt, tragen locker sitzende Kleidung und wirken trotzdem auf eine feminine Weise elegant. Sie wollen je ein Kind, möglichst vom gleichen Vater.

Im November 2013 glauben sie zum ersten Mal, den Richtigen gefunden zu haben: Paul. Nadja lernt ihn bei der Arbeit kennen. Auf den ersten Blick ist er nicht der Typ, den sie sich als Vater vorstellt. Boots, Leder- oder auch mal Lackhosen, kahlrasierter Schädel. Sie gehen öfter gemeinsam rauchen und dabei erzählt Nadja, dass Kirsten und sie einen Vater suchen und dafür einen Flyer entworfen haben. Sie schickt Paul den Text per Mail, damit er einen prüfenden Blick drauf wirft, bevor sie die Zettel aushängen. Aber Paul sagt, dass er sich von der Idee angesprochen fühlt. Er ist Ende 30, Single und wünscht sich Kinder.

Nadja und Kirsten hängen Zettel auf: "Biologischer Daddy gesucht" – niemand reagiert

Nadja und Kirsten sind seit 2011 zusammen. Kurz nach ihrem Kennenlernen sitzen sie zusammen im Auto. Sie rauchen und sprechen darüber, dass sie sich gemeinsame Kinder wünschen. Damals ahnen sie noch nicht, wie intensiv dieser Wunsch ihre Beziehung in den nächsten Jahren begleiten wird.

Kirstens Eltern brauchten Zeit, als Kirsten ihnen mit Anfang 20 eröffnete, dass sie lesbisch ist. Sie hatten sich immer gewünscht, dass Kirsten mit ihrer Familie eines Tages das Haus übernehmen würde. Als Kirsten nun erzählt, dass sie mit ihrer neuen Freundin Kinder haben möchte, freuen sie sich. Nadjas Eltern sind da reservierter, was sie überrascht, weil ihre Eltern immer sehr tolerant mit ihrer Homosexualität umgegangen sind. Nadjas Mutter findet die Vorstellung schwierig, dass ein Kind mit zwei Müttern aufwächst und einem Vater, der nicht richtig dazugehört. Vielleicht ist es eine Vorstellung, an die man sich eine Weile gewöhnen muss, bis sie schön ist, wie ein Modetrend, der auch erst nach längerem Hingucken ästhetisch wird.

Paul also. Nadja und Kirsten sind aufgeregt. Zum ersten Mal scheint die Idee, Kinder zu bekommen, überhaupt umsetzbar. Sie treffen sich zu dritt. Alle mögen einander. „Da fing die Warterei an“, sagt Nadja.

Der Schwebezustand hält bis heute, Paul hat sich nie entschieden. Vielleicht war das Gefühl auch für ihn zu fremd, der Vater eines Kindes zu sein, das in erster Linie mit zwei Müttern aufwächst.

Deshalb hängen Kirsten und Nadja im Januar Zettel in Berliner Cafés: „Biologischer Daddy gesucht“. Meist hängen sie sie aufs Klo. Dort ist jeder für sich allein und kann nachdenken. „Ich hätte schwören können, da kommen 100 Mails“, sagt Kirsten. „80 Mal wüste Beschimpfungen und 15 Mal Sex-Angebote.“ Aber sie irrt . Im ersten Monat meldet sich niemand. Im Februar gehen Nadja und Kirsten in ein kleines Kellercafé. Diesmal ist es anders als in allen anderen: Ihnen gefällt der Kellner. Sie ringen mit sich, aber dann fragen sie ihn: „Hängst du einen Flyer für uns in die Toilettenkabine? Oder möchtest du der Vater unserer Kinder werden?“ Sie haben Erfolg. Jan hängt den Flyer nicht auf. Er will sich am nächsten Tag selbst mit ihnen treffen.

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„Biologischer Daddy gesucht...“ Mit diesem Zettel suchen Nadja und Kirsten nach einem Kindsvater.

Foto: Monika Keiler

Nadja und Kirsten kommen zu früh und stellen sich in einen Hauseingang neben das Café, damit ihre Zigaretten in den starken Februarböen nicht zu schnell runterbrennen. Ihre Suche nach einem Vater dauert nun schon vier Monate. Das Treffen mit Jan ist erst ihr zweites mit jemandem, der potenziell bereit ist. Etwa 50 Flyer haben sie bislang aufgehängt. Es ist wie ein erstes Date. Was sagt man, wenn man entscheiden muss, ob man einen Wildfremden für immer ins eigene Leben einladen möchte? Wie castet man einen Teil der engsten Familie? Sex werden sie mit dem Vater ihrer Kinder nie haben. Die Befruchtung wollen sie bei sich zu Hause mit Becher und Spritze durchführen. Die Utensilien wollen sie im Internet bestellen.

Jan ist dünn, seine Augen sind schattiert. Es ist doch gar nicht wie bei einem ersten Date. Sondern eher so, als würde man eine Beziehung von hinten her aufrollen: Über Hobbys und Musikgeschmack kann man später reden, erst mal geht es ums Tiefste, um Gefühle. Darum, mögliche Schattenseiten zu entdecken. „Warum wolltest du dich überhaupt mit uns treffen?“, fragt Nadja. „Ich hab schon zwei Kinder“, sagt Jan. „Meine Frau hat mich vor sechs Wochen verlassen. Ich war deswegen kurz in einer Klinik. Ich kiffe ziemlich viel.“ Nadja und Kirsten stocken. Einen Moment scheint es, als würde die Stimmung kippen. „Meine Kinder haben mich aber noch nie rauchen sehen“, schiebt Jan hinterher, und das ist für die beiden der ausschlaggebende Punkt. Sie sprechen weiter.

Und dann ist da auch die Frage, ob Jan in ein paar Jahren noch mal einspringen würde. Für das zweite Kind. Jan lächelt. „Eine große Kommune mit allen zusammen kann ich mir nicht vorstellen“, sagt er, „aber ich hab Platz für viele Kinder in meinem Leben.“ Entscheidend für ihn ist aber nicht, dass er noch mehr Kinder haben will. Es ist eher so, dass er Nadja und Kirsten helfen möchte: „Wie ihr da gestern ewig miteinander gekichert und getuschelt habt, bevor ihr mich angesprochen habt – das sah für mich nach Liebe aus.“

Nur reicht Liebe bei gleichgeschlechtlichen Paaren nicht aus, um sich den Familienwunsch zu erfüllen. Nadja und Kirsten sind darauf angewiesen, jemanden zu finden, der ihnen hilft. Während in der gängigen Mutter-Vater-Kind-Familie die Rollen klar verteilt sind, müssen Nadja und Kirsten und der Vater ihrer Kinder im Vorfeld klären, wer welche Rolle in der Familie übernimmt, auch rechtlich.

Im vergangenen Jahr hatten etwa 7000 gleichgeschlechtliche Paare in Deutschland ein Kind, so verzeichnet es das Statistische Bundesamt. Oft stammt das Kind aus einer vorangegangenen Hetero-Beziehung, doch immer mehr homosexuelle Paare wollen sich ihren leiblichen Kinderwunsch erfüllen. Einige davon per Samenspende, andere wollen, wie Nadja und Kirsten, keinen anonymen Vater, sondern suchen in ihrem Bekanntenkreis. Constanze Körner, Leiterin des Lesben- und Schwulenverbands Berlin (LSVD) meint, dass die erhobenen Zahlen über Regenbogenfamilien nicht die Realität widerspiegeln. Sie seien zu gering. Viele gleichgeschlechtliche Paare haben ein Kind, ohne in einer eingetragenen Lebenspartnerschaft zu leben.

Wenn Körner gleichgeschlechtliche Paare berät, die mit einem Bekannten ihren Kinderwunsch gemeinsam realisieren wollen, empfiehlt sie, vorher die entscheidenden Fragen zu klären: Wer soll die Elternverantwortung tragen? Und: Darf es nur zwei Eltern geben?

Nadja und Kirsten hat der LSVD geraten, dass die nicht leibliche Mutter das Kind der anderen adoptiert. Nur so können beide Partnerinnen im Alltag Verantwortung für das Kind übernehmen. „Wenn wir das nicht tun und ich mit Kirstens Kind zum Arzt will, bräuchte ich jedes Mal einen Muttizettel“, sagt Nadja. „Und wenn Kirsten was passiert, kann ich nichts machen.“ Deshalb muss der Vater seine Vaterschaft rechtlich aberkennen, damit eine sogenannte Stiefkind-Adoption möglich ist. Diese Art der Adoption für gleichgeschlechtliche, eingetragene Lebenspartner ist seit 2005 in Deutschland zugelassen, was zu einem Umdenken vieler homosexueller Paare geführt hat. Da sie rechtlich gesehen mehr Spielraum haben, fragen sich seither viel mehr gleichgeschlechtliche Paare, ob nicht doch ein Kind für sie zum Lebenstraum gehört.

Nach dem Treffen mit Jan hat Nadja Bedenken. Vielleicht ist er wegen der Trennung von seiner Frau in einer labilen Phase? Eine Woche später gibt er ihnen zu verstehen, dass sie da nicht falsch liegt. Dass sie sich nicht auf ihn verlassen sollen. Ein paar SMS später bricht er den Kontakt ab.

Mit Paul geht die Sache derweil weder in die eine, noch in die andere Richtung voran. Es ist ein bisschen so, als hätten sie ihm einen Heiratsantrag gemacht und er sagt weder „Ja“ noch „Nein“. Die drei gehen ins Café oder spielen Billard. Manchmal sprechen sie ihn auf das Thema an, dann steigern Nadja und Kirsten ihre Aufmerksamkeit, um jedes Wort ganz genau zu hören. Nach solchen Treffen reden sie stundenlang darüber, was er gesagt hat und was er damit meinen könnte. Konkret wird er nie.

Kirsten soll zuerst schwanger werden. Nadja macht das Angst. Welche Rolle hat sie dann noch?

Mittlerweile ist es April, die Flyer hängen seit vier Monaten. Keine Rückmeldung. Nadja und Kirsten reden jetzt fast täglich über ihren Wunsch. Sie überlegen, wie sie ihre Kinder erziehen wollen, wie viel Fernsehen okay wäre. Kirsten strickt an einem Paar Kindersocken. „Ein Heteropaar kann einfach die Verhütungsmittel weglassen und gucken, was passiert“, sagt Nadja, „wir müssen viel mehr planen“.

Im Internet gucken sie, ob jemand günstig Kinderklamotten anbietet. So haben sie zumindest ein bisschen das Gefühl, ihrem Wunsch näher zu kommen. Die Möglichkeit einer Samenspende schließen sie noch immer aus. Wenn ihr Kind mit zwei Müttern aufwächst, dann soll es auch einen Vater haben, finden sie.

Und dann bekommen sie eine Mail. „Ich könnte mir vorstellen Bio-Daddy zu werden“, steht darin. Sie kommt von Jerome, 27, Lehramtstudent.

Zwei Tage später trinken sie mit Jerome einen Mango-Lassi beim Inder. Er und seine Freundin Anna sind seit neun Jahren ein Paar, er will unbedingt Kinder haben, sie erst später. Nadja und Kirsten wollen Anna kennenlernen, sie wollen keine Entscheidungen ohne sie treffen. Anna hat einige lesbische Freundinnen und weiß, wie schwer für sie der Umgang mit dem Kinderwunsch ist. Und noch bevor sie viel voneinander wissen, beschließen die vier, eine Familie zu gründen. Jerome und Anna wollen die Kinder einmal die Woche sehen und mit ihnen in den Urlaub fahren. Sie wünschen sich, dass Nadja und Kirsten mal auf ihre Kinder aufpassen, wenn sie selbst welche haben. „Eine erweiterte Familie, in der man sich gegenseitig entlastet“, so nennt Jerome das.

Sofort merken Nadja und Kirsten, dass Jerome anders ist als die Männer davor. Er ergreift Initiative. Einmal googelt er die Herkunft aller Namen, die sie sich für das Kind überlegt haben. Ein anderes Mal bringt er seine Bluttest-Ergebnisse mit.

Kirsten wird die erste sein, die sich befruchten lässt. Sie ist 33. Das hat für Nadja auch eine Schattenseite. Jerome ist dann Vater, Kirsten Mutter. „Ihr habt dann eine Bindung, die wir nie haben können“, sagt sie zu Kirsten. Es macht ihr Angst. Wann sie heiraten, die letzte Zigarette rauchen, den ersten Versuch wagen – das sind Dinge, die können sie planen. Planen hat ihnen immer Ruhe gegeben. Jetzt kommt vieles auf sie zu, was nicht vorhersehbar ist. Die Gefühle, die Nadja haben wird. Wie viele Versuche es braucht, bis Kirsten schwanger ist. Ob es überhaupt klappt.

Anna und Jerome sitzen in Nadjas Küche auf der Couch. In ein paar Wochen wollen sie den ersten Befruchtungsversuch starten. Sie sind hier, um ausrangierte Kinderklamotten von der Nachbarin anzuschauen – Dinge, die Familien eben tun, wenn sie sich auf Kinder vorbereiten. Nadja und Kirsten hocken auf dem Boden, ziehen Kleidungsstücke aus einer Kiste hervor. Vieles davon ist nicht für Babys, sondern für Kleinkinder. Aber Nadja und Kirsten sind es gewohnt, die Dinge weit im Voraus zu planen. Als Nadja ein pink gestricktes Jäckchen hochhält, schütteln alle vier den Kopf. Rosa wird ihr Kind nicht tragen.

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