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Todsünde 1 - Trägheit

Text: OutlawPete

Zur Trägheit könnte ich viel beitragen. Natürlich denkt ihr, dass jemand der als Personal Trainer und Instruktorin bei Weight Watchers arbeitet das Gegenteil davon sein müsste. Aber ich habe ganz gute Veranlagungen und Fett setzt bei mir nicht an, ganz gleich was ich esse. Das ist so bei nahezu allen meinen Familienmitgliedern. Ich könnte Euch jetzt natürlich viele langweilige Geschichten von Fernsehnachmittagen erzählen, aber das hat ja noch nicht viel mit einem dunklen Geheimnis zu tun.
Scheiße, da gibt es wirklich eine Geschichte, die ich noch nie erzählt habe. Mist. Das ist sie wohl. Bevor ich meine Ausbildung gemacht habe zur Ernährungsberaterin und danach zahlreiche Fortbildungen zum Fitness Coach habe ich ein Praktikum in einem Altenheim gemacht. Dazu gehörten auch drei Mal im Monat Nachtschichten. Normalerweise war das eine ruhige Angelegenheit. Ich habe nachts meine Serien geschaut und ab und zu mal nach dem rechten gesehen. Wir hatten einige ältere Damen, die nachts Asthmaanfälle bekamen, die konnten dann eine Taste drücken, die bei mir auf dem Bildschirm erschien. Der Asthmaspray stand immer direkt auf deren Nachttischen und ich habe den Omis dann geholfen, diesen anzuwenden. Tagsüber konnten die das selbst, aber nachts waren sie oft so verwirrt, dass sie ein wenig Hilfe brauchten. Manchmal klingelten sie aber auch nur, weil das Kissen verrutscht war oder die Brille zu Boden fiel. Auf jeden Fall war es Mittwochabend und es lief meine Lieblingsserie „24hours“. Die Lampe für Zimmer 12 blinkte mehrmals und ich ignorierte es einfach. Ich dachte mir, wenn das Kissen mal wieder verrutscht ist, dann wird die Omi schon einschlafen. Danach war ich so auf die Sendung konzentriert, dass ich das Lämpchen nicht mehr im Auge hatte. Auf einmal kam die Nachtschwester ins Schwesternzimmer gerannt und schrie mich an: „Schläfst Du oder hast Du den Alarm in Zimmer 12 nicht gesehen? Ruf sofort Dr. Wagner an! Sofort! Ich bin auf der 12.“
„Noch völlig benommen rief ich den Arzt vom Dienst an und rannte ins Zimmer 12. Die Krankenschwester kniete über der Omi und machte Wiederbelebungsversuche. Der Arzt stürmte ins Zimmer, blieb dann vor dem Bett der Dame stehen und schüttelte nur noch den Kopf. Mit geübter Hand fühlte er die Halsschlagader und sagte nur, dass nichts mehr getan werden könne. Die Patientin sei gestorben und ich solle ihm die Unterlagen für die Ausstellung der Todesurkunde bringen.



Nachdem Dr. Wagner gegangen war rief mich die Krankenschwester ins Schwesternzimmer und sagte, dass sie mich nicht verpfeifen werde, aber, dass ich für diesen Beruf gänzlich ungeeignet sei. Und sie von mir erwartet, dass ich am nächsten Tag kündige. Wahrscheinlich wäre die Patientin aufgrund ihres schlechten Gesundheitszustands ohnehin in Kürze verstorben, aber das sei keine Entschuldigung für mein träges Verhalten.
Mein Verhalten war wirklich träge und mit nichts zu entschuldigen. Ich habe am nächsten Tag gekündigt, mich noch Monate später, eigentlich noch heute, schuldig gefühlt. Ich werde den Namen der Krankenschwester nicht sagen, damit sie nicht im Nachhinein noch meinetwegen Schwierigkeiten bekommt. Ich denke, dass das wirklich das dunkelste Kapitel in meinem Leben ist. Vielleicht hat das auch zu meinem Entschluss beigetragen, als Trainerin tätig zu werden. Wenn ich den Kranken schon nicht helfen kann, kann ich vielleicht den Gesunden helfen, nicht zu erkranken. Klingt ein wenig gestelzt, ist aber wohl so.

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