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Gruppentheater

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Die Einweggruppe

So heißt sie und das ist das Gruppenbild:
"Freitag Pokern?!?!" oder "Samstag Grillen @Balkonien". Gruppenbild gibt es meist gar keins – lohnt sich ja eh nicht. Wenn sich doch jemand die Mühe macht, ist das Foto das Nächstliegende: ein Herz-As oder das, was bei der Google-Fotosuche als erstes kommt, wenn man "Grillen" eintippt.

Die sind drin: Jens, Stef, Michi und acht weitere Kandidaten, die auch Zeit haben könnten.

Das soll sie bringen:
Ein geiles Event! Jens will Spaß, Jens will was unternehmen, Jens will was erleben. Und jetzt hat er sich mal ein Herz genommen, um die anderen aus ihrer Lethargie zu wecken und was anzuschubsen.

Das bringt sie wirklich:
Whatsapp ist denkbar schlecht geeignet für effiziente Planung. Einige verlassen die Gruppe sofort, weil sie echt keinen Bock auf noch einen Chat haben, der drei Tage lang mit Nachrichten-Dauerfeuer nervt. Bei anderen geht Jens' Aufruf einfach unter, oder sie ziehen es vor, erst mal nicht zu antworten. Weil sie gerade Wichtigeres zu tun haben, oder aus taktischen Gründen: Freitag, das ist ja noch lang hin, da kann man erst mal abwarten, wie die anderen reagieren. Zwischenzeitlich sieht es manchmal zwar so aus, als käme die Pokerrunde zustande, zuletzt springen aber doch zu viele ab, sodass Jens irgendwann gezwungen ist, zu schreiben: "Leude, ich glaub, wir vertagen das noch mal. Ihr hört von mir." Sie hören nichts mehr von ihm.

Typische Konversation:

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert


Die Familien-Gruppe

So heißt sie und das ist das Gruppenbild:
"Familienbande". Das Bild ist ein abfotografiertes Foto aus den Achtzigern, auf dem das jüngste Geschwisterchen noch ein Säugling ist.

Die sind drin: Mama, Papa, Jens und Clara.

Das soll sie bringen:
Nachdem alle Kinder "aus dem Haus" waren und Mama und Papa sich Smartphones zugelegt hatten, haben sie den zwei Sprösslingen täglich SMS geschickt – ungefähr die gleichen, aber unabhängig voneinander. Jens hat dann die Familiengruppe gegründet (großes Hallo bei Mama und Papa, "Was es nicht alles gibt!"). Endlich würde sich die Informationsgier bündeln und es gäbe einen Raum für die Urlaubsfotos der Eltern oder Neuigkeiten von Nesthäkchen Clara aus Heidelberg, wo sie jetzt studiert. So hofft man, das Familienleben aufrecht zu erhalten.

Das bringt sie wirklich:
Mama und Papa kommunizieren nebeneinander am Esstisch über die Gruppe, anstatt direkt miteinander zu sprechen, Clara hat Probleme mit dem Abnabelungsprozess, weil sie das Gefühl hat, Bescheid sagen zu müssen, wenn sie nachts nicht nach Hause kommt, und Jens entdeckt ganz neue Seiten an seinen Eltern, weil sie ständig Selfies und Fotos ihres Mittagessens schicken. Insgesamt wird das Familienleben nicht bloß aufrecht erhalten, sondern alle bekommen sehr viel mehr voneinander mit als zu der Zeit, als man noch das Badezimmer geteilt hat. Manchmal sogar zu viel.

Typische Konversation:

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert



Auf der nächsten Seite: Organisierer und Angeber. 


Die Orga-Gruppe


So heißt sie und das ist das Gruppenbild:
"Geologenparty SS 2014". Bild gibt's erst mal keins, ist ja eine sachliche Angelegenheit hier. Bis irgendwann einer witzig sein will und das Foto eines Steins hochlädt.

Die sind drin: Die Fachschaft Geologie und ein paar fleißige Helferlein.

Das soll sie bringen:
Vor allem soll sie die Planung erleichtern. Wenn man alle gleichzeitig fragen kann, welchen Begrüßungsschnaps man am besten ausgibt und wer sich drum kümmert, ihn zu besorgen, sollte das Ganze schnell geklärt sein.

Das bringt sie wirklich:
Leider werden die verschiedenen Ansprüche der Organisatoren und das unterschiedliche Level an Ernsthaftigkeit im Chat viel deutlicher als bei einem Treffen. Und es kommt schneller zu Missverständnissen: Paul schreibt, er könne sich um die Garderobe kümmern. Er meint das als unverbindliches Angebot, der Rest versteht es als Versprechen. Am Ende gibt es keine Garderobe. Außerdem drängt das minütlich vibrierende Handy wegen der vielen Teilnehmer die Party-Organisation ständig ins Bewusstsein und geht bald allen endlos auf die Nerven. Am Ende sind die Fronten so verhärtet, dass man sich doch noch mal im Fachschaftsraum zusammensetzen muss. Und siehe da: Nach 40 Minuten sind alle Aufgaben verteilt, alle Fragen geklärt – und alle erleichtert.

Typische Konversation:

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Die Reiseblog-Gruppe


So heißt sie und das ist das Gruppenbild:
"Jensi auf großer Fahrt". Das Gruppenbild zeigt zunächst Jens mit Sonnenbrille im letzten Frankreichurlaub, wird aber künftig alle paar Tage von ihm selbst geändert (die Oper in Sydney, Jens mit Koala, Jens am Ayers Rock, witziges "Koalas crossing"-Straßenschild).

Die sind drin:
Jens, Mama, Papa, Clara und elf von Jens handverlesene Menschen: seine besten Freunde, seine ehemaligen Mitbewohner Felix und Bene und sein kleiner Cousin Martin, der ihn (glaubt Jens zumindest) ziemlich cool findet. Viele Menschen also, die sich sicher nie alle zu einem Plausch um den selben Tisch versammeln würden.

Das soll sie bringen:
Jens macht ein Auslandssemester in Australien und weil er keine Lust hat, jedem einzeln von seinen Erfahrungen zu berichten oder ein Reiseblog zu schreiben, hat er die Gruppe mit dem ironisch gemeinten Titel aufgemacht. Hier will er ab und zu Fotos posten und schreiben, was er sich gerade Spannendes anschaut. Weil, ist ja klar: so weit weg, wie er ist, interessiert das die daheim ja brennend!

Das bringt sie wirklich:
Am Anfang interessiert es die anderen tatsächlich. Zumindest ein paar von ihnen. Zumindest ein bisschen. Aber nach zwei Wochen sind alle (bis auf Jens' Eltern) genervt von den Fotos, die sie ja doch bloß neidisch machen sollen, und von dem ewigen "Schön!", "Ach wie schön!", "Neid!" und "Hast du's gut", das der Rest pflichtbewusst unter seine Ausführungen tippt. Martin hat schon am zweiten Tag die Benachrichtigungen der Konversation ausgeschaltet, aber das weiß natürlich keiner. Und als Jens nach vier Monaten zurückkommt, hat irgendwie keiner (bis auf Jens' Eltern) so richtig Lust, sich mit ihm über seine Erlebnisse zu unterhalten.

Typische Konversation:

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Illustration: Julia Schubert



Auf der nächsten Seite: alte Kumpanen und Hobby-Fetischisten.  


Die Revival-Gruppe


So heißt sie und das ist das Gruppenbild:
"Zivis 2009 Reunited" oder "Karlstr 48 – Back in the days". Das Gruppenbild muss die Maximaldosis Nostalgie enthalten: das Gemeinschaftsfoto vom Zivi-Seminar in Geretsried, als alle noch ein Metallica-Ziegenbärtchen trugen. Oder der Rote-Augen-Schnappschuss von der WG-Einweihungsfeier, der jahrelang am Kühlschrank klebte.

Die sind drin:
Die von früher. Genauer: die, die sich noch gerne an dieses Früher erinnern, an diese magische Zeit, als man zusammen wohnte oder Essen an Menschen in Altenheimen lieferte und zwischendrin mächtig viel "geilen Scheiß" machte.

Das soll sie bringen:
Die guten alten Zeiten zurück. Die Insiderwitze von damals. Das Gefühl des Zusammengehörens.

Das bringt sie wirklich:
Die guten alten Zeiten bleiben natürlich, wo sie sind, nämlich in der Vergangenheit. Und manche der Insiderwitze von damals sind wie Spinat: aufgewärmt nicht gut. Aber nach einer Weile, wenn man sich wieder aneinander gewöhnt hat und an die Tatsache, dass die anderen einem in der Hosentasche ähnlich nah sein können wie beim Bier in der WG-Küche, braucht man die alten Witze nicht mehr. Dann entstehen neue, ganz von alleine, und das Gefühl des Zusammengehörens ist wieder aufgefrischt wie das Immunsystem nach einer Impfung.

Typische Konversation:

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Die Hobbygruppe


So heißt sie und das ist das Gruppenbild:
"Klettern" oder "Surf's up Buhne 16". Hier geht es um die Ausübung eines Hobbys und wer dafür eine Whatsapp-Gruppe nutzt, meint es ernst mit dem Hobby, da braucht's keinen Schnickschnack. Das Bild zeigt einen der Sehnsuchtsorte der Hobbygruppe: eine Wand in den Dolomiten oder eine Welle auf Tahiti.

Die sind drin:
Die Jungs und Mädels aus der Alpenvereins-Klettergruppe, oder dem Urban-Gardening-Projekt oder die Locals vom heimischen Surfspot.

Das soll sie bringen:
Optimierung der Hobbyausübung: Wer hat gerade ein Auto, wo bekommt man günstig Bio-Tomatendünger? Und wer hat morgen Zeit, den Mangold zu ernten?

Das bringt sie wirklich:
Optimierung der Hobbyausübung, ja, das schon. Aber auch viel überflüssiges Gepose und unterschwellig aggressives Schwanzvergleichgehabe: Der Angebersurfer kann nämlich nicht unerwähnt lassen, dass er demnächst den Trip zu den entlegensten Traum-Surfspots macht, und muss zwanghaft nach jeder Äußerung der anderen einen Besserwisserkommentar abgegeben. Und aus der Frage, wer morgen mit in den Mangold kommt, entspinnt sich eine Diskussion über 40 Nachrichten, wie die Ernte korrekt gelagert und verarbeitet werden muss.

Typische Konversation:

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert



Text: christian-helten - und nadja-schlueter; Illustrationen: Daniela Rudolf und Sandra Langecker

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