Süddeutsche Zeitung

Unsere Kernprodukte

Im Fokus

Partnerangebote

Möchten Sie in unseren Produkten und Services Anzeigen inserieren oder verwalten?

Anzeige inserieren

Möchten Sie unsere Texte nach­drucken, ver­vielfältigen oder öffent­lich zugänglich machen?

Nutzungsrechte erwerben

Hashtags für alle

Teile diesen Beitrag mit Anderen:

Vielleicht sind Justin Timberlake und Jimmy Fallon schuld, die sich bereits im September 2013 in einem

über das Verhashtaggen auf Twitter lustig gemacht haben. Fallon kommt in ein Wohnzimmer, in dem Timberlake auf dem Sofa sitzt.

Fallon: "Hi Justin, whats up?"
Timberlake: "Not much Jimmy, Hashtag ‚chillin’, whats up with you?"
Fallon: "Just been busy working Hashtag ‚riseandgrind’ Hashtag ‚isitfridayyet'?"
Timberlake: "Hey check it out I brought you come cookies Hashtag ‚homemade’, Hashtag ‚oatmealraisin’, Hashtag ‚showmethecookies’!"

Und so weiter. Offensichtlich fühlten sich dadurch sehr, sehr viele Leute in ihrer Verhashtaggisierung des Lebens ertappt: das Video zählt mittlerweile mehr als 25 Millionen Klicks.

Das Hashtag diente (und dient natürlich noch immer) auf Twitter einst nicht viel mehr als der praktischen Verschlagwortung: Versieht man seine Beiträge mit einem thematisch passenden Hashtag, kann man alle Beiträge, die ebenfalls unter diesem Hashtag erscheinen, auf einer Einzelseite versammelt abrufen und so gezielt zu gewissen Themen recherchieren und debattieren.

Längst ist das Hashtag aber mehr als ein reines Sortierungstool auf Twitter. Es ist nach und nach auch auf anderen Plattformen eingezogen und so zu einer neuen Slang-Variante geworden, vielleicht sogar zu einer neuen Kulturtechnik. Das Hashtag dient jetzt vor allem der Selbstdarstellung.

Besonders gut ist das auf Instagram zu beobachten. Unter ein gepostetes Foto von einem Tag mit Freunden am See schreibt man zum Beispiel #lake #bayern #sommer und dazu noch ein paar populäre Hashtags wie #instagood #bestlife oder #igdaily. Dahinter steckt ein ebenfalls interessantes, aber schon etwas älteres Netzphänomen: Sehr viele, vor allem junge Menschen wenden absurd viel Zeit dafür auf, auf digitalen Plattformen so viele Follower wie möglich zu ergattern. Je mehr Schlagworte sie ihren Fotos geben, so der Gedanke, desto größer die Chance, dass wildfremde Menschen auf sie aufmerksam werden und ihnen folgen. Wenn Blogger heiraten oder Kinder kriegen, denken sie sich ein möglichst unverwechselbares Hashtag für das Fest oder das Kind aus und erstellen so eine Art öffentliches Fotoalbum. Oft werden dazu dann noch etwas quatschige Hashtags wie #picnicforthehomies, #sandwichmittwoch, #chillergang3000 gestellt, die nie jemand suchen würde und mit denen auch niemand anders seine Bilder verschlagworten würde. Weil sie eher wie Insider-Codes funktionieren. Sie dienen vorrangig der Präsentation der eigenen Unverwechselbarkeit. Sie wollen sagen: Seht her, ich habe ein lustiges, verrücktes Leben mit ganz eigenen Hashtags, weil das, was ich erlebe, in keine Kategorie passt.

Default Bild

„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert


Gut möglich, dass diese Typen grad sowas in der Art zu einander sagen: "Hashtag 'chilling', hashtag 'niewiederaufstehen', hashtag 'limofriday', hashtag 'endlichsommer'".

Neuerdings kommt es immer öfter auch in Mails, Chats oder in mündlichen Konversationen vor, dass einer der Kommunikationspartner es gerade total lustig findet, seinen Ausführungen mehr oder weniger schwachsinnige Hashtags anzuhängen. Man rudert mit Freunden auf den See hinaus und plötzlich sagt jemand „Wow, Hashtag bestlife, Hashtag endlichwochenende, Hashtag See, Hashtag bff“ Und alle lachen, weil das so beknackt ist und den seltsamen Selbstdarstellungsdrang einer ganzen Generation sehr lustig parodiert. Oder man unterhält sich mit der kleinen Schwester, die vom Ausgehen erzählt und plötzlich sagt, „Jaaaa, ich meine, es war super: Hashtag fun, Hashtag Party, Hashtag Drinks, hahahahaha!“

Und auch in WhatsApp-Chats oder E-Mails funktioniert der neue Hashtag-Humor. Man schreibt sich, um ein Treffen zu vereinbaren oder einfach so ein bisschen zu quatschen und es dauert nicht lang, bis jemand #superexcited, #reallycrazy #seeyoulater #spontaneous oder Ähnliches schreibt. Mal ganz abgesehen von Dauerbrennern wie #lol #awesome #afk (away from keyboard). Und immer lacht man darüber, und immer ist es das gleiche ironische, etwas abfällige „Höhö“-Lachen wie schon auf dem Ruderboot und auch dasselbe, das Fallon und Timberlake bereits bei über 25 Millionen YouTube-Zuschauern ausgelöst haben.

Obwohl sich also alle einig darüber zu sein scheinen, dass Hashtags etwas Albernes und auch ein bisschen etwas Peinliches sind, hört keiner auf sie zu benutzen. Eher im Gegenteil. Das zeigt ein Mal mehr, wie sehr sich Ironie als Grundlage junger Kommunikation etabliert hat. Und wie sehr man es offensichtlich trotz allem Indiviualisierungsdrang genießt, gewisse Codes zu beherrschen und gemeinsam über etwas zu lachen. Am besten so, dass man dabei auch noch das Gefühl hat, man hätte etwas verstanden, das andere vielleicht noch nicht verstanden haben. Denn das ist immer ein erhebendes Gefühl.

Aber neben dem gemeinsamen Lachen hat das Verhashtaggen des Lebens noch einen ganz pragmatischen Grund: Man kann durch sie sehr prägnant Dinge rüberbringen, die sonst komplizierter klängen. Hashtags bleiben eben trotz allem: Schlagworte. Die zwar im Fall eines WhatsApp-Chats oder einer Ruderbootfahrt auf dem See keiner allgemein zugänglichen Recherche dienen, aber auf alle Fälle dem besseren Zurechtfinden in einer Konversation. Hashtags lassten Raum für nicht erzählte Hintergrundgeschichten. Vielleicht ist es das, was sie interessant macht: Sie sind nur Andeutungen. Sie sagen: Hier, nimm diesen kleinen kryptischen Fetzen aus meinem Leben, er kann vieles bedeuten, überleg es dir selbst, ich bin jetzt wieder weg, zurück in meinem lustigen, interessanten, mit Insidern und geheimer Codes versehenem Abenteuerleben.

Verkümmerung der Sprache!, könnte man jetzt natürlich rufen. Aber vielleicht können Schlagworte, ganz wie Smileys, ja sogar mehr als Sprache, weil sie ein Mehr an Zwischentönen und Gefühl und wirklicher Bedeutung erlauben. Sie schlagen einen Grundton an und überlassen den Rest unseren Interaktionspartnern. Dass dieser Grundton oft auch eine Note von Ironie hat, passt eigentlich gut dazu, dass man sich allgemein nicht mehr allzu gern festlegt. Weder auf Sprache, noch auf Witze, noch auf einen Wohnort oder einen Beruf oder überhaupt irgendetwas, es sei denn, es bliebe vage, ironisch und geheimnisvoll genug. Wie ein Hashtag.

Gewagte These, aber: Vielleicht erweitern Hashtags in Wahrheit unsere Kommunikationsfähigkeit. Dadurch, dass sie zwar die Sprache scheinbar verknappen, dafür aber der Intelligenz des Gegenübers wieder mehr zutrauen. Denn dass zwischen Gesagtem und eigentlich Gemeintem eine Lücke klafft, das war ja schon immer so.

  • teilen
  • schließen