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Sexistische Juristerei?

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Man merkt bereits in den ersten Minuten des Telefonats, wie hanebüchen Professor Stephan Lorenz, Dekan der juristischen Fakultät der LMU München, das alles findet: Erst erscheint Anfang März ein Artikel in der „Deutschen Richterzeitung“, in dem die Autorin Daniela Schweigler illustriert, wie Frauen in den juristischen Beispielfällen meistens als Hausfrauen vorkommen, die Parfum klauen oder ihre Frisur richten. Und nun will eine Studie in der „Zeitschrift für Didaktik der Rechtswissenschaft“ nachgewiesen haben, dass Frauen und Personen mit ausländischen Namen im ersten juristischen Staatsexamen signifikant schlechter bewertet werden als ihre männlichen, deutschen Kollegen. Die Studie beruft sich dabei zwar auf Daten aus NRW, das Examen ist allerdings deutschlandweit vergleichbar. „Diese Studie ist kein wissenschaftlicher Beitrag. Sie endet mit dem Satz ‚Sowohl bei dem Geschlechts- als auch bei dem Herkunftseffekt können wir eine Diskriminierung weder mit der notwendigen Gewissheit ausschließen noch sie nachweisen’. Das ist eine Vermutung, keine Studie“, sagt Stephan Lorenz immer wieder. Auch den Beitrag aus der Richterzeitung sieht er kritisch: „Natürlich gibt es Beispielsfälle, die sehr schwarz-weiß sind. In einem Fall wurden zum Beispiel einer Frau die Stöckelschuhe abgesägt. Da kann man sich schon fragen, was das soll. Aber eine Diskriminierung kann ich darin nicht erkennen“, sagt Lorenz.  

Dass es zu diesem Thema auch andere Meinungen gibt, hat das enorme Medienecho auf die Beiträge gezeigt. Die erste Veröffentlichung der Examens-Studie wurde auf Spiegel Online vielfach kommentiert und geteilt, auch der Artikel in der SZ über das Sexismus-Problem in den juristischen Beispielfällen ging durch die sozialen Netzwerke. Die Fachwelt äußerte sich in Leserbriefen zu dem Artikel in der Richterzeitung. Manche sind unterstützend, andere gleichen einem Shitstorm. Stephan Lorenz’ Meinung bleibt eindeutig: „Der ehemalige Leiter des Landesjustizprüfungsamtes hat zu dem Thema in einem Leserbrief geschrieben: ‚Die Fälle bilden halt auch das Leben ab’. Und Frauen klauen nun einmal eher ein Parfum als einen Winkelschleifer aus dem Baumarkt“, sagt er.  

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Justizia ist weiblich, trotzdem werden Frauen angeblich massiv im Jurastudium diskriminiert

Die Kernergebnisse der Examens-Studie in der Zeitschrift für Didaktik der Rechtswissenschaft klingen zunächst tatsächlich beunruhigend: Die Wissenschaftler Emanuel Towfigh, Christian Traxler und Andreas Glöckner hatten die Examensergebnisse von Prüflingen am Oberlandesgericht Hamm und von Klausurenkursen an der Universität Münster unter anderen auf geschlechter- und herkunftsspezifische Unterschiede untersucht. Das Fazit: Frauen schneiden im ersten juristischen Staatsexamen durchschnittlich 0,3 Punkte schlechter ab als die Männer. Zur Einordung: Im juristischen Notensystem gibt es 18 Punkte, ab vier gilt eine Klausur als bestanden. Selbst bei sogenannten „statistischen Zwillingen“, also Personen, die die gleichen Grundvoraussetzungen wie Abiturnote, Vornote, Studienort etc. mitbringen, sind Frauen im Schnitt 0,24 Punkte schlechter als die männlichen Prüflinge.

Bezüglich der Herkunft waren die Ergebnisse noch stärker: Studierende, deren Name auf eine Herkunft aus der ehemaligen UdSSR schließen lässt, haben im Schnitt einen Punkt weniger im Examen als die deutscher Herkunft. Klingt der Name nach Mittlerem Osten, liegt der Unterschied bei 0,75 Punkten. Also ein klarer Fall von Diskriminierung in der Juristenausbildung?  

Klausuren sind anonym - Schwachpunkt mündliche Prüfung?

Ein zentraler Punkt, der für die Beurteilung dieser Resultate höchst relevant ist, wird in der Studie nur am Rand erwähnt: das erste juristische Staatsexamen wird deutschlandweit anonym geschrieben, oftmals auch die Klausurenkurse, die auf das Examen vorbereiten sollen. „Ich bekomme als Prüfer die Klausur nur mit einer Kennziffer übergeben – wenn jemand dort irgendetwas dazugeschrieben hat, das auf seine Identität schließen lässt, wird die Prüfung direkt als durchgefallen bewertet. Somit weiß ich auch nicht, ob der Prüfling männlich oder weiblich ist oder einen ausländischen Namen hat. Deshalb ist im Staatsexamen eine Diskriminierung schlicht unmöglich“, erklärt Stephan Lorenz. Die Autoren der Studie bieten auch dafür einen Erklärungsansatz: „Die Handschrift könnte entsprechende Hinweise liefern und unterbewusst wirken“, schreiben sie. Lorenz sagt dazu: „Das ist vollkommen abstrus. Wenn ich ein Staatsexamen korrigiere, bin ich hauptsächlich damit beschäftigt, die Handschrift überhaupt zu entziffern und dem Gedankengang zu folgen. Mir ist es dann vollkommen egal, ob der Prüfling männlich oder weiblich ist.“  

Einen Moment gibt es allerdings, in dem sich Prüfer und Prüflinge doch persönlich gegenüberstehen: die mündliche Examensprüfung. Tatsächlich hat die Studie hier ein besonders schlechtes Abschneiden der Frauen diagnostiziert. Sie vermuten als Begründung, dass Frauen weniger selbstsicher seien und deshalb auch weniger aktiv am Prüfungsgespräch teilnähmen. Für Stephan Lorenz eine absurde Behauptung: „Zu schreiben, dass Frauen prinzipiell weniger selbstsicher auftreten und in der Prüfung nicht den Mund aufmachen, finde ich allein schon als Behauptung diskriminierend. Das Bild, das dort geprägt wird, ist abstrus. So etwas kann ich aus meiner 15-jährigen Prüfungserfahrung heraus nicht bestätigen.“  

Tatsächlich muss man sich an dieser Stelle aber auch den Lehrbetrieb etwas genauer ansehen: Die Lehre ist bei Jura männlich dominiert. An der LMU gibt es beispielsweise 31 Professoren, drei von ihnen sind Frauen. In der Prüfungskommission im Staatsexamen sitzen zwar neben Professoren auch Praktiker wie Richter oder Staatsanwälte, dort sind Frauen allerdings auch in der Minderheit. Als einzige Frau in der wichtigsten Prüfung des gesamten Studiums vor einer Reihe Männer zu sitzen, kann zweifelsohne etwas Abschreckendes haben – auch wenn sicherlich nicht jede Frau sich davon beeindrucken lässt. „Beim akademischen Nachwuchs haben wir auch ein Problem. Das ist allerdings bekannt und daran wird gearbeitet. Zum Beispiel fällt bei Frauen oft die Habilitation mit der Familiengründungsphase zusammen und dort wollen wir Frauen stärker unterstützen“, sagt Stephan Lorenz.

Dass Ausländer gezielt in der mündlichen Prüfung diskriminiert werden, hält er für abwegig: „Ich persönlich könnte mir vorstellen, dass in der mündlichen Prüfung ein Nicht-Muttersprachler sogar einen Bonus bekommt. Bei Bildungsausländern, also jemand der nicht in Deutschland Abitur gemacht hat, wird Rücksicht genommen, auch wenn der sprachliche Ausdruck vielleicht nicht perfekt war“, sagt Lorenz. Gleichzeitig betont er aber auch, wie wichtig ein korrekter Ausdruck für Juristen sei: „Jura lebt von der Sprache. Ein Jurist muss überzeugen und nicht nur Paragraphen kennen. Wenn jemand in einer Klausur sprachliche Defizite hat, bekommt er auch keine guten Noten. In der Studie wird behauptet, das sei sachfremd, da es in der Juristerei ja auf die Sachkenntnis und nicht auf die Sprachkenntnis ankomme. Wer so etwas schreibt, hat keine Ahnung, wie ein Jurist ausgebildet wird und was ein guter Jurist benötigt. Damit disqualifiziert diese Studie sich vollständig.“ 

Dass das Thema Diskriminierung in der Juristenausbildung damit nicht gegessen ist, zeigt sich in der Politik. Bayerns Justizminister Winfried Bausback hatte im März zur SZ gesagt: "Wir schenken dieser Frage große Beachtung." Es sei nicht gewollt, "in der Juristenausbildung auch nur unterschwellig ein bestimmtes Frauenbild zu befördern". Zudem hat die SPD-Landtagsfraktion bereits im Februar eine kleine Anfrage an die bayerische Landesregierung gestellt. Mit Bezug auf den Artikel aus der Richterzeitung fragt sie: „Sieht die Staatsregierung eine Notwendigkeit, darauf hinzuwirken, dass (...) in den Texten der Übungs- und Examensklausuren keine frauenfeindlichen Klischees mehr verwendet und die Diskriminierung von Angehörigen bestimmter Bevölkerungsgruppen unterlassen werden und falls ja, was unternimmt sie (...) um für das Problem zu sensibilisieren?“ Bald könnte sie das Gleiche erneut fragen – nur, dass es dann nicht mehr um Beispielfälle, sondern um reale Frauen und Ausländer geht.


Text: charlotte-haunhorst - Bild: dpa

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