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Berliner Gespräche Teil 3

Text: SofiaKorksenzieher

„Ich wäre gern mal wieder verliebt. Ich hab vergessen, wie sich das anfühlt. Wenn es so richtig echt ist, ohne Einschränkungen, kompromisslos.“ Paula tippte mit dem Filter ihrer Zigarette auf die Tischplatte und fuhr fort: „Ich war schon viel zu oft aus den falschen Gründen mit jemandem zusammen. Einfach, um die Einsamkeit durch Zweisamkeit zu ersetzen. Aber das funktioniert nicht auf Dauer.“ Sie machte eine Pause, zündete sich die Zigarette an und lehnte sich zurück. „Und dann konnte ich nicht loslassen, weil alles außen rum so scheiße war. Und er war eben da.“ Ein Krankenwagen raste am Café vorbei und sie lauschten eine Weile der immer leiser werdenden Sirene.
Paula erinnerte sich an Lukas, der ihr drei Jahre lang treu, beinahe schon einfältig, zur Seite gestanden hatte. Wie er alles über sich hatte ergehen lassen, sämtliche Tragödien mitgemacht hatte und wie nur das sie zusammengehalten hatte. Wie er ihr im schlechtmöglichsten Moment sagte, dass er sie liebt und wie sie es auch irgendwann gesagt hatte. Es war nicht einmal gelogen gewesen, sie hatte ihn geliebt. Weil sie ihn gebraucht hatte. Sie waren voneinander abhängig gewesen. Sie von seinem Beistand und dem Sicherheitsnetz, das er für sie gewesen war. Er von ihrer Liebe, von der er gehofft hatte, dass sie aufrichtig sei. Doch am Ende hatte es nicht gereicht.



Georg hatte ihr fasziniert zugehört. So viel hatte sie den ganzen Abend noch nicht geredet. Manchmal klang Paula wie eine Frau in den Vierzigern, ein wenig verbittert und abgeklärt, desillusioniert. Vielleicht hatte sie auch einfach schon zu viel erlebt, dachte Georg. „Trinken wir noch eins?“, fragte er, um auch etwas zu sagen und bestellte mit einer lässigen Handbewegung eine neue Runde. Er überlegte, ob er auch in so einer Beziehung steckte, wie die, die Paula soeben beschrieben hatte. Und ob nicht jede Beziehung früher oder später nur noch durch die gemeinsame Routine zusammengehalten wird. Am Anfang war es sicher Liebe gewesen. Er erinnerte sich, wie er sie mit klopfendem Herzen am Bahnsteig empfangen und mit Tränen in den Augen am selbigen verabschiedet hatte. Und er dachte daran, wie sie jetzt nur noch selten miteinander schliefen und sich häufiger anschwiegen. Wie wütend er manchmal über diese Monotonie war. Und dann dachte Georg an Paulas Busen und versuchte angestrengt, dem Blick ihrer Augen standzuhalten.



„Hast du sie schon mal betrogen?“, fragte Paula gerade heraus. Georg mochte es, dass sie kein Blatt vor den Mund nahm, und trotzdem zögerte er. „In Gedanken hab ich das wohl schon oft gemacht. Aber zählt das?“ Sie hatte angefangen, ihre Serviette in kleine Stücke zu reißen und schob diese zu einem Haufen zusammen, während sie nachdachte. „Ich weiß nicht... Nein, nicht im eigentlichen Sinne. Ich denke, das ist normal. Nach einer gewissen Zeit, wenn der Reiz verflogen ist... Das ist okay.“ Sie trank einen Schluck Bier und fragte: „Also hast du nicht?“ „Nicht was?“ Georg hatte den Faden verloren. „Sie nicht betrogen. So richtig, außerhalb deiner Gedanken.“ Er fuhr mit dem Daumen über das Kondenswasser an seinem Glas und leckte sich den feuchten Finger ab. „Ja. Ist schon vorgekommen.“ Er runzelte die Stirn und überlegte, wie viel er erzählen sollte. Aber er fürchtete, sie abzuschrecken und so schwieg er.



„Ich hab das schon oft gemacht. Aber das war immer am Ende. Ich nenne es gern ein Symptom der erkrankten Beziehung. Danach hab ich es meistens selbst beendet. Das war dann wohl einfach der letzte Nagel für den Sarg, oder wie das heißt.“ Paula verstummte. Georg schaute sie an. In seinen dunklen Augen lag Unsicherheit und vielleicht ein wenig Scham. Er tat ihr leid. Paula ergriff seine Hand und drückte sie. Sie wollte nicht, dass er sich mies fühlte, ertappt und bloßgestellt. Als sie die Hand wieder wegnehmen wollte, hatten seine Finger sich bereits zwischen ihre gelegt und ließen sie nicht mehr los. Und so saßen sie dort, in Neukölln, in seinem Kiez, in Toms Kiez, in einem Café und hielten sich an den Händen.




„Wie war dein Exfreund so?“ Ein Kellner kam, um ihren überfüllten Aschenbecher gegen einen leeren auszutauschen und Paula wartete mit ihrer Antwort, bis er sich wieder den anderen Tischen zugewandt hatte. „Er war...“, es fiel ihr schwer, Lukas zu beschreiben. Er war sicherlich einer von den Guten, aber er bedeutete ihr nichts mehr. Wenn sie an ihn dachte, wurde sie nicht rührselig oder melancholisch. Schon als er sie überredet hatte, aus ihrer lockeren Affäre etwas festes zu machen, war ihr klar gewesen, dass Lukas nur der Mann für den Moment sein konnte. „Er war sehr nett... Oh Gott, das klingt furchtbar. Aber er war nett! Er hat alles für mich getan, sich um mich gekümmert, wenn ich krank war, mir Cola gekauft, wenn ich einen Kater hatte und mir immer gezeigt, dass er mich anziehend findet.“ Sie schloss die Augen und überlegte, ob das wirklich die einzigen positiven Dinge waren, die ihr zu Lukas noch einfielen. Sie konnte die Gefühle nicht mehr zurückholen, sich nicht mehr an sie erinnern und so redete sie über seine Kehrseite: „Aber er war überfordert, völlig. Ich mein, wer wäre das nicht gewesen. War schon scheiße. Er hat wirklich die geballte Ladung mitgemacht, da war ja alles, in diesen drei Jahren. Aber er konnte sich nicht damit auseinandersetzen und nicht so für mich da sein, wie ich es vielleicht manchmal gebraucht hätte. Als mein Vater mir zum Beispiel gesagt hat, dass er Krebs hat, ist Lukas mit seinen Kumpels saufen gegangen. Er wollte sich nicht damit beschäftigen müssen.“ Sie erinnerte sich, wie rührend Matthias sich um sie gekümmert hatte, als bei ihrer Mutter Lungenkrebs diagnostiziert worden war. Er hatte das Internet nach Behandlungsmethoden durchforscht und ihr Mut gemacht. Aber Matthias war ganz anders gewesen als Lukas. „Und Lukas war irgendwie... langweilig? Darf man sowas sagen? Mein Vater meinte immer, er wäre die weiße Leinwand, in deren Umgebung ich noch heller erstrahlen könnte.“, sie lachte. „Er hat einfach zu wenig Angriffsfläche geboten, weil er immer zu allem, was ich gesagt oder gemacht habe, Ja und Amen gesagt hat, um bloß keinen Streit zu provozieren. Und irgendwie hat mich das wohl herausgefordert und ich hab ihn wirklich ziemlich schlecht behandelt.“ Jetzt war es Georg, der ihre Hand losließ und die Arme vor der Brust verschränkte. „Inwiefern?“ „Ich hab ihn ausgenutzt. Ich wusste, ich müsste nur ganz lieb Bitte sagen oder auf die Tränendrüse drücken und er würde alles tun, was ich von ihm verlangte. Ich wurde richtiggehend dominant. Und er hat sich gefügt.“ Paula schämte sich ein wenig für ihr damaliges Verhalten. Es war ihm gegenüber nicht fair gewesen.
In der Therapie, die sich selbst auferlegt hatte, um so ausufernd wie sie wollte über ihre Traumata sprechen zu können, hatte sie verstanden, dass Männer wie Lukas sich von Frauen wie ihr angezogen fühlten, weil sie sich nach einer starken Persönlichkeit an ihrer Seite sehnten. Und dass sie es in dieser Konstellation zwar einfach hatte, den Ton angeben und die Beziehung nach ihrem Gusto zuschneiden konnte, längerfristig aber nur glücklich werden konnte, wenn ihr Partner ihr auf Augenhöhe begegnete. „Ich glaube, durch ihn bin ich auch auf den Trichter gekommen, dass ältere Männer für mich interessanter sind.“ „Glaubst du wirklich, dass das den Unterschied macht?“ „Nein... Vielleicht doch. In gewisser Weise. In meinem Kopf sind Männer über 30 stärker, stehen fester im Leben und wissen, was sie wollen.“ Georg lachte spöttisch. „Ich glaube nicht, dass man das so sagen kann. Ich bin jetzt 34 und, abgesehen von der Arbeit, die ich mache, hab ich keine Ahnung, wohin das alles führt mit mir. Ich stecke in einer unglücklichen Beziehung fest und denke schon den ganzen Abend darüber nach, mit einer 25-jährigen zu schlafen. Findest du das erwachsen?“ Paula grinste ihn an und leckte sich über die Lippen, bevor sie antwortete. „Naja, immerhin sagst du, was du willst. Zumindest zu mir. Und du würdest wahrscheinlich auch nicht jeden Scheiß mit dir machen lassen, oder?“ Georg sah ihr fest in die Augen und sagte: „Ich will mit dir schlafen, Paula.“ Sie drehte den Kopf und sah aus dem Fenster, hinaus auf die belebte Straße und erwiderte, beinahe traurig: „Ich weiß.“ 

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