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Salzige Schokolade

Text: rotetraube

Er nahm ihre Hand. Nicht zum ersten Mal heute. Eiskalt kam sie ihm vor. Sie zog sie zurück, wie schon heute  Morgen, als er sie beobachtete, wie sie sich unruhig von rechts nach links drehte und dann ihre Hand in seine nahm und Gänsehaut bekam, als sie ihre Augen öffnete und ihn wie es ihm erschien, mit erfrorenen Augen anschaute. Sie wusste, warum sie erstarrte, sobald er sie anfasste. Seine Nähe, seine Berührungen machten ihr Angst, seitdem sie aufgehört hatte, seine Nähe zu suchen und stattdessen seit Monaten in einem anderen Bett ihr erfrorenes Herz wärmte. In anderen Armen einschlief, wenn sie sich wie so oft nicht sehen konnten. Zu verschieden waren ihre Leben und doch hatten sie zu einander gefunden. Auf einem schmalen Pfad, der inzwischen für sie Richtung Abgrund führte, in welchen er sie mit blinden Augen unaufmerksam gehen ließ. Auf Eis befanden sie sich und er fragte sie noch, ob ihr kalt war.



Er zog seine Hand zurück, ließ ihre fallen, als von ihr keine Reaktion kam. Schweigend gingen sie nebeneinander her. Wohin liefen sie eigentlich, fragte er sich und ging einfach weiter. Sie würde sowieso gehen. Er hatte das Gefühl, dass er erst gar nicht die Möglichkeit bekam, sie vor eine Entscheidung stellen zu können. Sie hatte die Entscheidung ohne ihn getroffen. Ohne einmal zu fragen, ob er eine Möglichkeit für eine weitere gemeinsame Zukunft sah. Es war mal wieder ihr Stolz, der ihn zittern ließ, vor lauter Distanzierung von ihm. Ihre gemeinsamen Spaziergänge waren nicht mehr die Wege, auf denen sie sich zentimeterschmale Bordsteine teilten, sondern vielmehr auf diesen  hintereinander her schlichen. Wie automatisiert lief sie leicht hinter ihm. Er drehte sich nicht mehr um. Ging einfach weiter. Ging immer schneller. Ging fort von ihr, ohne es zu bemerken.



Sie blieb stehen, sah wie er immer schneller wurde. Davon ausging, sie ging mit. Doch sie drehte um und lief los. Einfach weg. Wege die sie nicht kannte, an Häusern vorbei, die sie noch nie gesehen hatte, in denen Menschen saßen die wussten, wo sie hingehörten, wie sie dachte. Und sie lief. Immer weiter, bis sie plötzlich stoppte vor seiner Tür. Sie klingelte, als sie die Vibration ihres Handys in ihrer Tasche vernahm. Der Türsummer ertönte und sie drückte den Anruf weg. Während sie die Treppen hoch lief, folgte ein neuer. Sie stellte ihr Handy aus und lief in seine Arme. Er nahm ihre Hände. Sie spürte das Blut durch ihre Adern rauschen und verfiel dem Rausch, der er bei ihr auslöste.



Aus. Nicht erreichbar. Stille. War das ihre Antwort auf die letzten Monate? Er drückte auf Wahlwiederholung und brach dann doch ab. Er konnte die Stille kein weiteres Mal ertragen. Er war einfach weiter gegangen ohne auch nur irgendetwas zu merken und als er zu weit ging, so fühlte es sich an, drehte er sich abrupt um. Er war zu weit gegangen, denn  sie war nicht mehr da. Sie ging nicht mehr hinter ihm. Wo sie vorher doch immer an seiner Seite war, im Gleichschritt. Bis sie sich nach und nach immer weiter entfernten. Aber für ihn war die Entfernung greifbar. Immer. Bis heute. Er wusste, dass sie kehrt gemacht hatte. Was er nicht wusste, wo sie zur Rast kam. Irrte sie immer noch durch die Straßen?



Und nun stand er da, in der Abenddämmerung zwischen leeren Straßen, das Bedürfnis all seine Ängste und Wut, zum größten Teil auf sich selbst, an ihrer Mailbox auszulassen und ihr auf diesem Weg mitzuteilen, wie er fühlte. Angst hatte er, sie zu verlieren. Und es wurde ihm ein weiteres Mal bewusster denn je zuvor, dass sie bald gehen würde. Gehen musste. Wollte. Er wusste es nicht. Er liebte diese Frau. Ihre Weltoffenheit, die Art und weiße wie sie schlecht gelaunt am Morgen auf ihren Kaffee wartete und während dessen statt der Zeitung ihr Drehbuch las und dann voller Leidenschaft den ersten Schluck ,des für sie braunen Goldes nahm und dann mit voller Lebendigkeit und Wärme durch den Tag tanzte. Doch in letzter Zeit war sie kalt. Trotz Kaffee.



 Er wollte sie fragen, zu bleiben, und das schon seit Wochen, doch ihm fehlte die warme Nähe von ihr, um diese Frage auszusprechen. Er versuchte sie ein weiteres Mal zu erreichen. Erfolglos.



Er schaute auf seine Hände. Viel hatten diese geschaffen die letzten Wochen, Leben gerettet, Kranke geheilt. Tag für Tag. Und nicht selten Nacht für Nacht. Aber die Frau an seiner Seite zu halten, die er liebte, ließ er erfrieren, so kam es ihm vor. Sein Zittern machte sich  immer öfter bemerkbar. Wo waren die warmen Zeiten? Die Gemeinsamen Stunden, als die jetzige Situation noch so weit weg war, dass noch nicht einmal drüber gesprochen werden musste. Und alles was er sich jetzt wünschte, waren ausgesprochene Worte.



 Er hatte keine Ahnung wie oft sie sich schon während dessen einsam gefühlt hatte, dachte sie erbittert, als sie am anderen Morgen wie in einem fremden Körper steckend, versuchte sich nicht zu verlieren in ihrem schlechten Gewissen und der gleichzeitig aufkommenden Wut. Eine weitere Nacht, auf die sie eigentlich hätte verzichten sollen. Würde sie diese Höhenflüge nicht so sehr brauchen zurzeit, um noch etwas Lebendigkeit in ihr tragen zu können. Wusste er eigentlich, wie oft sie ihr Glück mit zu  viel Schokolade zu ersetzen versuchte, bis ihr schlecht wurde und sich dann einfach nur noch ins Bett fallen ließ und darauf hoffte, schnell einzuschlafen. So schön die Momente mit ihm waren, desto schlimmer waren sie ohne ihn. All die Unsicherheit, die Zweifel und die davon rennende Zeit ließen sie schlaflos, rastlos werden. Nächte in denen sie alleine war. Zugedeckt von Einsamkeit. Verlaufen in Träumen von Zeiten, in denen sie in seiner Nähe noch baden konnte und es so aussah, als würde ihr Horizont sie ewig im Wasser treiben lassen. Doch anstatt in hohen Wellen getrieben zu werden, glich alles einem Strand, an dem Ebbe die vergrabenen Muscheln zum Vorschein bringt, von denen man sich beim Ausgraben die schönsten Unikate erhofft um dann enttäuscht festzustellen, dass man eine  weitere zerbrochene Schale freigelegt hat. Eine weitere zerbrochene Hoffnung, dachte sie und ließ ihre Füße, weitere Spuren im Sand laufen.



Soweit mich meine Beine tragen, soweit werde ich gehen und dann ergänze er bei all ihren Sandpfaden, die sie in den letzten Monaten gingen, wobei er ihre Hände fest in seine nahm und ihr in die Augen blickte, dass er sie trage, wo hin sie wolle, soweit ihn seine Beine tragen würden. Es klang für sie immer nach einer Endlosreise. Kopfschüttelnd blieb sie stehen und schaute hinter sich. Wohin sollte all das führen? – die Spuren glichen mehr einem Drahtseilakt der mit wackeligen Beinen vollführt wurde, als einem überzeugten Weg. Der einzige überzeugte Weg, war der, als sie sich heute Morgen ein weiteres Mal aus der Wohnung schlich, in die sie seit einen halben Jahr von all ihrer Rastlosigkeit und Verdrängungskünsten getrieben wurde. Heiß und kalt zugleich war ihr mal wieder, als sie das Schloss zu fallen hörte. Unwissend wie oft dieser Klang sie noch zurück in die Realität reißen würde.



Aus der Realität rausgerissen wurde sie an einem dieser einsamen  Abende, als sie mal wieder allein in ihrer Wohnung saß und versuchte ihrer Zukunftsgestaltung Farben zu verleihen und ein weiteres Mal in  Tränen ausbrach, als sie merkte, dass sie für eine sonnige Zukunft nur in Boston bereit zu sein schien.  Doch ihr Visum, welches bald ablief, ließ sie im tristen grau und schmierbraun ersticken. Bevor es ihr ganz die Luft nahm, schleppte sie sich zu ihren Schauspielkollegen in die Bar- die Bar in der schon die eine oder andere Premiere gefeiert wurde. Premiere feierten sie heute Abend nicht aber der Premierestempel ließ sich trotz allen auch auf diesen Abend drücken. Es dauerte nicht lange, bis sie all ihre Sorgen im Mai Tai, wie viele es waren, weiß sie nicht mehr, ertrank und anfing zu schwimmen - begann sich hemmungslos frei zu fühlen. Er saß ihr gegenüber. Alles was er zu ihr sagte, war, dass sie so aussähe, als wäre sie bereit zu fliegen. Mehr Konversation war an dem Abend nicht nötig.



Wenn sie jetzt darüber nachdachte, kam es ihr schon fast ironisch vor, behaupten zu können, dass sie mit ihm wirklich flog. Die Welt von oben betrachten und zu allem einen Distanz bekommen konnte, die wie eine wohlfühlende Droge durch ihren Körper floss. Wenn sie neben ihm im Cockpit saß, schien jedes Problem so fern. Sie dachte dann nicht mehr an die Zukunft, nicht mehr an das Vergangene, sondern lebte einfach nur im hier und jetzt. Und das fühlte sich in solchen Momenten immer unglaublich gut an. So gut, dass es sie immer wieder zu ihm zurück zog, wenn es ihr vorkam, vom Alltag erstickt zu werden.



Überzeugt war er. Bis sie ihn davon überzeugte, dass er dies nicht mehr sein konnte. Wie auch? Konnte sie es eigentlich noch? Überzeugt sein, von dem was sie die letzten Monate tat, um Kraft zu sammeln, um sich einzureden, von etwas überzeugt zu sein, obwohl es sich anfühlte, als würde sie am liebsten diese Fremdverkleidung von sich reißen, ihr Gesicht von dieser Lügenmaske befreien und einfach fliehen. Fliehen in Flugzeuge, die sie in die Höhe brachten, die ihr so gut tat, sie aufsteigen ließen um dann mit dem Klang von auslaufenden Motoren zu landen um auf ein Neues abheben zu können- in Sonne zu baden, das Leben zu riechen und Glück zu schmecken.  Jede Nacht, in der er Leben rettete, hatte sie das Gefühl, immer mehr von ihrer Lebendigkeit zu verlieren.



Aber gerade rauschte das Blut in ihren Adern. Sie lief. So schnell sie konnte, merkte ihren Herzschlag wie schon lange nicht mehr. Das Blut schoss ihr in den Kopf. Ihre Adern pulsierten. Sie lief die Straße entlang. Die Straße, von der sie jedes Detail festgehalten hat. Und jedes Mal , wenn sie sich dann die Bilder anschaute, sie sich die Frage stellte, wie lang es noch dauern würde, bis ihr nur noch die Bilder blieben.



Sie wollte endlich Sicherheit. Es reichte ihr nicht mehr, dass er ihre Hand nahm. Er sollte beide Hände nehmen. Endlich einen geschlossenen Kreis bilden in dem sie sich fallen lassen könnte- anderen falls müsste sie weitere Male abheben. Jedoch dann nicht mit ihm. Aber auch nicht allein. Da war sie sich sicher.



Ausgepowert von ihrer täglichen Joggingrunde, zog sie den Schlüssel aus der Tasche und stürmte ins Schlafzimmer und zog den  großen Strohkorb unter dem Bett  hervor und wühlte nach ihrem Reisepass. Ihr Visum war unverändert. Unverändert und unerträglich für sie .Oft genug hatte sie in den letzten Wochen versucht, ihm den Ernst der Lage deutlich zu machen, sich einzureden, dass sich alles regeln würde, doch alles was geregelt verlief, war sein Alltag. Seine Perfektion. Sein starrer Blick, der außer beruflichen Verpflichtungen nichts mehr zu registrieren schien. Er  machte noch nicht einmal den Anstand, sie aufzuwärmen. Stattdessen wendete er sich mehr ab, als je zuvor und ließ sie noch mehr zittern und allein mit ihren Sorgen. Anscheinend wollte er keine gemeinsame Entscheidung treffen  und hatte sich bereits entschieden, allein weiter zu gehen. Sie traute sich einfach nicht, ihn die Optionen, die sie hätten zu präsentieren. Mit ihrem Stolz hatte das nichts zu tun, sondern ihrer festen Überzeugung, dass er kein wir mehr wollte. Wieso sollte er sich sonst so von ihr distanzieren. Er kannte das Ausreisedatum genauso gut wie sie. Sie zog ihren alten Lederkoffer unter dem Bett hervor. Sie war nicht bereit zu packen. Und erst recht nicht zu gehen. Sie lief. Fliegen wollte sie. Weit, weit weg.  Aber dann nicht mit ihm. Wenn er sie nicht vorm packen aufhalten könnte, blieb ihr keine andere Wahl. Sie lief  wieder raus. Es fühlte sich an, als würde sie aus sich laufen. Völlig rastlos. Mal wieder, dachte sie sarkastisch. Und dabei fing alles so gut an.



 Als sie vor fast zwei Jahren nach Boston kam, um endlich ihre langersehntes Auslandsjahr zu verwirklichen beziehungsweise ihrer Schauspielausbildung den letzten Schliff zu verleihen umrandet mit viel Abenteuerlust im Gepäck, wusste sie noch nicht, dass aus einem Jahr zwei werden würden und  sie ihre Abenteuerlust mehr als gedeckt haben würde und sie sich nun wünschte  am liebsten völlig gelangweilt zurück ins verregnete Irland zurück fliegen zu können. Aber sie wollte nicht müssen. Sie wollte weiter den schlechten Kaffee bei dem Bäcker um die Ecke trinken, der bis heute versuchte sie davor abzuhalten, mittags in ihr Stammcafe zu gehen, in dem sie Stunden damit verbrachte, neue Texte zu lernen. So viel hatte sie die letzten Monate gelernt, so viele Sätze hatte sie auswendig gelernt und kein einziger, so schien es ihr, blieb. Sie war einfach Sprachlos. Atemlos. Rastlos.



Und dabei wollte sie das gar nicht mehr sein. Ohne nachzudenken trugen sie ihre Beine zu ihm, nachdem sie das Haus verlassen hatte,  so dass sie völlig außer Atem  die Klingel Sturm läuten ließ. Die verdammten Treppen brachten ihre Erschöpfung auf den Höhepunkt. Als hätte er es gewusst, ertönten aus seiner Wohnung die Zeilen von Angus und Julia Stone „ Gonna  take her for a ride on a big jetplane..“ Wundervoll sarkastisch. Mal wieder. Sie fing sie an mitzusingen und ließ sich auf seiner Couch fallen.



Heben wir ab, fragte er sie und alles was sie erwidern konnte, war ein schwaches nicken. Ihr Handy vibrierte. Die Frage, wo sie sei, erschien auf ihrem Display. Wo sie ist? Das wüsste sie selbst gern.  Sie wusste, dass sie eigentlich verabredet waren, doch nur zu gut, kannte sie die schmerzhaften Zeilen, die sie in letzter Zeit mehr als verkraftbar oft kurz vorher lesen musste. Heute nicht. Heute war sie diejenige die absagte. Wortlos. Vielleicht wirkungsvoller als jede einzelne Zeile von ihm, die sie vertrösten sollten. Sie wollte nicht mehr vertröstet werden. Sie brauchte Sicherheit. Halt. Sie wollte nicht wie ein Vogel fliegen, der jeder Windsturm aus der Bahn zu drohen schien. Sie wollte keine Abstürze. Sie wollte ein Nest. Und sei es in den Wolken. Aber jedes Mal nachdem die Motoren wieder ruhig waren, sie aus dem Cockpit stieg, verlor sie all die Schwerlosigkeit, die sie kurz vorher noch in jeder Zelle ihres Körpers spürte. All die Leichtigkeit wenn sie mit den Wolken tanzten, verwandelte sich schlagartig in Belastungen. die sich viel zu schwer für sie anfühlten.



Sie wollte verdammt nochmal ihr Leben  hier behalten. Sie wollte nicht zurück nach Irland. Sie wollte nicht zurück nach Dublin. Sie wollte hier in  Boston bleiben. Weiterhin ihre Texte mit Ausblick auf den verregneten Hafen im Herbst lernen, den trail of freedom laufen. Sie liebte diese Stadt. Sie liebte ihn. Aber anscheinend wollte er nicht mit ihr die Wege gehen, die für sie so friedlich schienen. Fliegen war für sie keine Option.



Es sei denn sie flog mit ihm. Aber sie wusste, sie tat das wiederum nur, um auf sicheren Boden landen zu können. Er wollte sie halten. Und sie ließ sich halten aber gehalten werden wollte sie von dem Mann, der sie zurzeit so unglücklich machte. Angus and Julia Stone hörten auf zu singen und unangenehme Ruhe hüllte sie ein. Außer sich schmiss sie ihren Reisepass auf den Boden. Genau in dem Moment vibrierte ihr Handy erneut. Auch das ließ sie fallen und fing an zu weinen.



Als sie am Morgen mit Laufschuhen und der verschwitzen Sportkleidung seine Wohnung verließ, schlich sie all der morgendlichen Hektik hinterher. Rote Ampeln übersah sie, die Briefe in ihrem Briefkasten wollte sie nicht lesen. Aber das stechende grün, welches sich über einen großen Umschlag ihrer Uni in Dublin zog, erinnerte sie wieder daran, dass sie Entscheidungen treffen musste.  



Gaiety School of Acting. Ireland. Zum erbrechen. Der Grünton des Schullogos sowie die Erinnerungen die ihr an ihren Besuch der Universität aufkamen. Enttäuschende Freundschaften, ein zerrissenes Herz und die Hoffnung auf bessere Zeiten. The Boston Conservatory war ihre Hoffnung. Ihr Höhenflug und der Gedanke daran, dass dieser mit einer unbequemen Landung enden würde, die Hölle. Sie wollte nicht mit zerrissen Herz gehen. Sie wollte die besseren Zeiten bei sich behalten und nicht hinter sich lassen.



Sie dachte, wenn sie sich ihm abwandte, würde sie ihre Gefühle in den Griff bekommen, mit schweren aber nicht mit gebrochenen Herzen zurück fliegen können. Aber sie konnte nicht. Eiskalt wurde ihr jedes Mal wenn sie merkte, wie sehr sie ihn liebte und zugleich wurde ihr glühend heiß, bei all den Gedanken an die Verbrennungen, die sie ihrer Bindung in den letzten Monaten  angetan hatte.



 Er hatte die Zeit vergessen so kam es ihr vor. Und als sie vor 7 Wochen erwähnte, dass sie noch 3 Monate hier hätte, bevor ihr Visum ablief, schien er sich nur noch mehr in Arbeit zu stürzen als zuvor, ihr trotzdem tiefer in die Augen zu schauen als er es jemals getan hatte und sie so leidenschaftlich küsste, dass sie Angst bekam, bei dem Gedanken bald los lassen zu müssen



Und wenn sie dann nachts wieder alleine war, weil er arbeiten musste, rannte sie wieder mit eisigen Herzen und eisiger Kälte in seine Arme, die sie wärmten aber nicht warm werden ließen. Ihm konnte sie sich jeder Zeit abwenden, ohne Anfangen zu müssen zu frieren.



Als sie all der morgendlichen Hektik in ihren Laufschuhen mit dem Aufschließen ihrer Wohnung endlich entkam, sprang sie unter die Dusche, wusch sich die letzte Nacht aus dem Poren ,zog sich um und lief zu ihm. Ohne Sportschuhe und trotzdem schmeckte sie das Salz vor Erschöpfung vom Laufen auf ihren Lippen, als sie auf all seine unbeantworteten Nachrichten von letzter Nacht mit einem Klingel an seiner Wohnung antwortete. Sofort stieg der süße Geschmack von Schokolade in ihr auf, als sie die Stufen zu ihm hoch nahm.



Genau wie sie vor Erschöpfung keinen Schritt hätte mehr gehen können, genau so sah er aus, als würde er vor Erschöpfung nicht mehr stehen können. Halt mich verdammt noch mal, schrie er sie voller Leidenschaft an. Ihr kamen die Tränen. Der Umschlag in ihrer Hand viel zu Boden und damit die Gaiety  School of Acting Sie wollte sich nicht mehr verlaufen. In seine Arme wollte sie. Nur von ihm gehalten werden. Und genau das schien er auch zu wollen. Umschlungen standen sie auf dem DIN4 großen Brief. Ob sie daraus einen Papierflieger machen würden oder doch als Option betrachten sollten, um Boston für einige Zeit  auf sich warten zu lassen, inklusive schlechten Kaffee und Höhenflügen, die sie sicher zurück in ihre Stadt bringen würden, wussten sie nicht. Doch dafür wurde ihr umso bewusster, dass wenn sie die Welt das nächste Mal von oben betrachten würde, dann nur mit ihm.



Sie wollte mit keinen Wolken mehr tanzen, sie wollte auf ihnen liegen und einfach nur noch getragen werden. Er nahm ihre Hand. Beide diesmal. Sie waren so warm wie nie zuvor. Eiskalt war nur noch die Realität.



Für den Moment versüßte diese  jetzt aber erst mal der Schokoriegel, den sie aus den tiefen ihrer Handtasche zog, in der sie  den Reisepass zurück hielt.



 

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