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Ich bin kein Rassist, aber ...

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Wird oft strategisch verwendet, um sich nicht angreifbar zu machen. "Ich bin ja kein..., aber". Eine sprachliche Lüge.

Meine Schwester ist schwanger. In Berlin. Das sind zwei Gegebenheiten, die normalerweise weder besonders spannend sind noch viel miteinander zu tun haben. Aber dennoch der Grund, aus dem ich ihr eins mit dem Hausschuh überziehen möchte. Warum ich sie an den Haaren ziehen und ihr in den Arm beißen möchte. So wie früher, als wir uns jeden zweiten Tag durch das Haus unserer Eltern prügelten.  

Es geht um den Geburtsort. Der kleine Knirps soll nämlich nicht in Berlin, sondern in Potsdam zur Welt kommen. Den Grund liefert sie gleich hinterher. "Ich bin ja kein Nazi, aber...". Noch bevor sie den Rest aussprechen kann, möchte ich über diesen offensichtlichen Widerspruch aufschreien, sie schütteln und ihr einen dreistündigen Monolog über Vorurteile und Rassismus halten. Trotzdem vollendet sie ihn: "aber ich will nicht im Krankenhaus mit einer Türkin im Zimmer liegen, die jeden Tag ihre siebenköpfige Großfamilie zu Besuch hat. Ich will meine Ruhe."  

Da ich meine Schwester nun nicht schlagen darf – nicht, weil wir erwachsen sind, sondern weil sie schwanger ist – muss ich mir für diese Stammtischmentalität ein anderes Ventil suchen. Der Tumblr "IchbinkeinRassist" sammelt diese Art Kommentare aus sozialen Netzwerken. Gerade nach Ereignissen wie der Einführung der Arbeitnehmerfreizügigkeit für Rumänen und Bulgaren erlebt die Seite regen Zuwachs solcher Äußerungen. Ich kann mir diesen Blog keine drei Minuten durchlesen, ohne einen Brechreiz zu verspüren, aber mir fällt auf: Warum schieben Menschen diesen Satz "Ich bin ja kein Nazi, aber..." vor ihre eigentliche Aussage? Warum benutzen sie diese Floskel, obwohl ihre Äußerung in einem Widerspruch mündet?  

Nicola Frank, wissenschaftliche Mitarbeiterin der Gesellschaft für deutsche Sprache, hat eine Erklärung dafür: "Das liegt doch auf der Hand. Man will sich für eine bestimmte Aussage, die man trifft, nicht so richtig verbürgen. Man kann dazu eigentlich nichts sagen. Und es wäre viel härter, solch eine Aussage direkt zu treffen. Dann wäre sofort klar: Das ist rassistisch oder nationalistisch." Selbstschutz also. Sich nicht angreifbar machen. Gerade in der Hochsaison von Shitstorms und Aufschreien kann man sich ganz gut dahinter verstecken. Natürlich ist das "Das wird man ja wohl noch sagen dürfen" ein heikles Beispiel. Deswegen lässt mich die Erklärung der Frau Frank etwas unbefriedigt zurück.  

Denn: Tweets wie "Ich will ja kein Spielverderber sein. Aber Kim Schmitz geht nicht ins Dschungelcamp" fallen ebenso in dieses Sprachphänomen wie "Ich bin ja kein Schwulenhasser, aber die müssen ja nicht vor mir rummachen." Das musste Ex-Fußballprofi Thomas Hitzlsperger nach seinem Coming-Out erfahren. Überwiegend hat er positive Reaktionen erfahren, aber einige Kommentatoren ordnen sich eben in diese Schublade ein: "Mir ist es egal, ob er schwul ist, solange er mich nicht dumm anmacht."

Kann man sich so sein eigenes Weltbild hübsch verpacken und reinen Gewissens weiterleben? Geht es darum, sein Selbstbild von einem toleranten, weltoffenen Bürger nicht zu zerstören? Ist es eine Form von Selbstzensur, um wenigstens den Anschein von Political Correctness zu erhalten?

Niemand will ein Neo-Nazi sein. Neo-Nazis sind doch die Glatzköpfe mit Springerstiefeln, die vor Dummheit und Bierfahne nur so strotzen. Und eigentlich weiß man doch, dass man eben genau der Spielverderber ist, wenn man Informationen fallen lässt, die keiner hören will. Und auf eine perfide Art und Weise findet man das gut. Doch so versuchen wir uns selbst zu belügen und unser Selbstbild aufrecht zu erhalten. In manchen Zusammenhängen ist das harmlos, in anderen bedenklich. 



Text: katharina-elsner - Foto: photocase.com /marshi

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