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„Er hatte mich noch nie angerufen“

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Mit 19 Jahren wanderte Darío Aguirre von Ecuador nach Deutschland aus. Mehr als zehn Jahre später rief ihn sein Vater an, der mit seinem Grillrestaurant bis zum Hals in Schulden steckte. Darío beschloss, ihm zu helfen und einen Dokumentarfilm über die Rettung des Restaurants zu drehen. Am Ende ist „Cesars Grill“ ein Film über eine schwierige Vater-Sohn-Beziehung geworden. Am kommenden Donnerstag läuft er in den deutschen Kinos an.

jetzt.de: Darío, hat dein Vater den Film schon gesehen?
Darío Aguirre: Ich habe ihm den Film letztes Jahr in einem kleinen Kino in Ecuador gezeigt. Am Ende hat er gesagt: „Er kann in den Druck gehen.“ Klar fand er es seltsam, sich das erste Mal auf einer großen Leinwand zu sehen. Aber dadurch hat er viel über sich selbst nachgedacht. An vielen Stellen hat er auch gelacht oder versucht, nicht zu weinen.  

Im Film heißt es, dass deine Vater und du lange Zeit „Meister der Nicht-Kommunikation“ wart. Warum konntet ihr nicht miteinander sprechen?
Weil wir uns nicht kannten. Wir haben zusammengelebt und über Alltägliches gesprochen, aber hatten nie ein tieferes Gespräch. Das hatte auch viel mit seiner Abwesenheit zu tun. Er hat viel gearbeitet und wir Kinder hatten mehr mit meiner Mutter zu tun, sie war die Vermittlerin der Familie.  

In einer Szene liest dir jemand aus der Hand und sagt, dass du deinem Vater ähnlich bist. Darauf reagierst du nicht gerade glücklich…
Aber nicht, weil das, was mein Vater ist, schlecht ist, sondern weil ich meine eigene Identität behalten will. Ich glaube, es ist ein automatisches Verhalten, dass man versucht, die eigenen Wurzeln zu verdrängen, um sich seiner selbst ein bisschen sicherer zu sein.  

Wo unterscheidet ihr euch denn? Gibt es auch Ähnlichkeiten?
Wir unterscheiden uns vor allem sehr in dem, was wir machen: Er ist Grillmeister, ich mache Filme. Aber uns verbindet, dass wir beide das Leben nicht so ernst nehmen, dass wir spielerisch sind. Ich habe auch viel von seinem Humor und von seiner Geduld.  

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert


Mit 19 bist du von Ecuador nach Deutschland ausgewandert. Warum?
Ich hatte mich in eine Deutsche verliebte und beschloss kurzerhand, mit ihr zu gehen. Gleichzeitig hoffte ich, in diesem fremden Land einen Platz für meine Kunst zu finden. Ich habe viel Glück gehabt und musste nicht wie andere aus finanziellen Gründen das Land verlassen. 1999 steckte Ecuador in einer tiefen Wirtschaftskrise.  

Wie haben deine Eltern reagiert?
Meine Mutter war traurig, aber sie hat gesagt: „Mach das“, und, wie ich sie auch im Film zitiere: „Genieße die Welt, als wäre sie eine fruchtige Orange“. Mein Vater hat versucht, mich zum Bleiben zu überreden. Er hat viele harte Geschichten von anderen Migranten gehört, die auf Plantagen in Spanien gelandet sind. Später am Telefon habe ich mich nie getraut, ihnen zu sagen, dass ich sie vermisse – und andersrum auch nicht. Vor allem bei meinem Vater wusste ich nie, was los ist. Bis er mich angerufen hat.  

Zehn Jahre später, um dich um Geld zu bitten, weil er so viele Schulden mit seinem Restaurant hatte.
Er hat mich angerufen, und ich dachte sofort, dass jemand gestorben ist. Er hatte mich noch nie angerufen. Er fragte, ob ich ihm Geld leihen kann, weil die Kredithaie Stress machten. Ich sagte, ja klar, aber dann müssen wir auch über das Restaurant sprechen. Wir hatten viele Skype-Gespräche, aber es ging aus der Ferne nicht. Also haben wir beschlossen, dass ich hinfliege und versuche, ein paar Ideen umzusetzen.  

Er hat dich nie konkret gebeten zu kommen?
Nein, es war eher so ein Schuldgefühl, das mich hingetrieben hat. Mein Vater kann Hilfe nicht annehmen, aber er hat so viel davon erzählt, was schief läuft, dass ich das Bedürfnis hatte, zu helfen. Mit der Idee, einen Film daraus zu machen, konnte ich ihm das Gefühl vermitteln, einen Beitrag zu leisten. Es war also eine Art Tausch.  

War es wirklich so einfach, ihm das mit dem Film beizubringen?
Die Idee war ja erst nur, einen Film über das Restaurant zu machen. Ich wusste: Ich fühle mich mit der Situation fremd. Das ist immer mein Auslöser, wenn ich Filme mache, dann weiß ich, da steckt was drin. Aber es hat sich erst mit der Zeit entwickelt, dass es eine Vater-Sohn-Geschichte wird, dass mein Vater eigentlich Nähe sucht und seine Familie zurückhaben will.  

Der Film ist sehr persönlich geworden, mit vielen Emotionen vor der Kamera. Macht es dir Angst, dass das jetzt so viele Menschen im Kino sehen können?
Nein. Ich glaube, jetzt ist die richtige Zeit, solche Filme zu machen. Bei Facebook stellt man doch auch Bilder hoch, die einen zeigen, wie man sich zeigen will. Ich mache so was Ähnliches und kann entscheiden, was ich zeigen will und was nicht, vieles kommt auch gar nicht im Film vor. Und ich weiß, dass meine Geschichte auch andere betrifft. Die Frage vor einem Film ist immer: Was daran könnte auch andere interessieren? Sonst wäre es purer Egozentrismus. Aber Eltern haben alle.  

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert


Ist eure Vater-Sohn-Beziehung denn wirklich so typisch?
Ich glaube, es ist eine Eltern-Kind-Geschichte, die ich erzähle.  Klar, in meinem Fall Vater-Sohn, aber viele können sich mit diesem Problem der Distanz identifizieren. Es geht um die Rollenverteilung in der Familie: Wer leitet die Kinder, wer hat viel Einfluss auf sie und wer bleibt auf der Strecke. Als der Film gezeigt wurde, hat danach jemand zu mir gesagt: „Ich habe auch so eine Beziehung, aber mit meiner Mutter.“  

Deine Mutter ist während der Dreharbeiten krank geworden und gestorben. Hat das die Beziehung zu deinem Vater verändert?
Wenn jemand stirbt, erfinden sich andere Beziehungen neu. Mein Film zeigt den Anfang dieser neuen Beziehung. Mein Vater musste die Rolle meiner Mutter übernehmen und selbst fragen, wie es mir geht –  vorher hat sie  ihm das erzählt. Und heute telefonieren wir manchmal eine Stunde lang.  

Du hast deinen Vater im Restaurant vertreten, damit er deine Mutter im Krankenhaus besuchen konnte. Wie war es für dich, in seine Rolle zu schlüpfen?
Ich hatte das Gefühl, dass sie mir zu groß ist. Weniger, weil ich nicht gut genug grillen kann, sondern wegen der menschlichen Rolle. Die Leute kennen ihn, erzählen ihm alles, ich war nur ein Angestellter, der grillt und freundlich grüßt. Ich habe mich gefragt „Wieso sprechen die nicht mit mir?“ Ich konnte meinen Vater dann in seiner Rolle verstehen und ihn anders sehen und respektieren.  

Hast du dir gewünscht, dass er auch mal in deine Rolle schlüpft, um dich besser zu verstehen?
Ich glaube, er hat es versucht, aber da sind wir gegen eine Wand gerannt. Aber wenn du älter bist und mehr Erfahrung hast, ist dieser Rollenwechsel vielleicht auch schwieriger.  

In Deutschland bist du Vegetarier geworden. Isst du wieder Fleisch, seit du in Ecuador so viel grillen musstest?
Das hätten alle gerne, aber: Nein. Darum fühle ich mich hier auch wohler, weil es viel mehr vegetarische Gerichte gibt als in Ecuador. Da nehme ich in zwei Wochen zehn Kilo zu, weil ich nur Pommes und Maiskolben mit Mayo esse. Mein Vater fragt jedes Mal: Isst du immer noch kein Fleisch. Ich sage dann: Nein, ich esse immer noch Kräuter.

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