Süddeutsche Zeitung

Unsere Kernprodukte

Im Fokus

Partnerangebote

Möchten Sie in unseren Produkten und Services Anzeigen inserieren oder verwalten?

Anzeige inserieren

Möchten Sie unsere Texte nach­drucken, ver­vielfältigen oder öffent­lich zugänglich machen?

Nutzungsrechte erwerben
Aus der ehemaligen jetzt-Community: Du liest einen Nutzertext aus unserem Archiv.

Plötzlich ganz leise

Text: anou

Weg sein und da sein, hattest du gesagt, spielt keine Rolle. Die Verbundenheit, die uns zusammen­hält, ist auf körperliche Anwesenheit nicht angewiesen, von Berührungen nicht abhängig, sagtest du. Ich gebe viel auf was du sagst. Weil du viel ganz schnell verstehst. Schneller als ich manchmal. Und doch. Der allerersten Umarmung nach so langer Zeit ohne dich messe ich plötzlich ganz viel bei. Erwartungsvoll bin ich. Sehnsüchtig. Von angestauten Träumereien aufgebauscht. Denk ratio­nal, sagtest du. Die erste Berührung ist doch kein Symbol für irgendwas. Und trotz aller Anstren­gungen ist sie mir so wichtig geworden, dass sie mich in ihrer Einfachheit erdrückt. Gerade am Flughafen. Da ist doch alles so bedeutungsvoll. Deshalb hab ich dich auch nie abgeholt.



Du riechst anders, sage ich. Davidoff, sagst du. So einfach ist das wohl. Davidoff. Als würde das ir­gendetwas wirklich erklären. Dann nimmst du meine Hand und meinen Rucksack, aber ich wünsche mir heimlich, dass du mich nimmst und dich drehst. Dafür bist du zu ernst.



Was findest du eigentlich bedrohlicher?, fragst du auf dem Weg zum Bus. Einsamkeit oder eine globale Gefahr, dass ein Militärschlag weitreichende Folgen hat? Ich sage Einsamkeit. Und du schüttelst den Kopf, weil ich wieder nur an mich denke. Hättest du das während der Kubakrise auch gesagt?



Ein paar Wochen später sitzen wir uns gegenüber in der S-Bahn nach draußen, weil alles irgendwie zu viel geworden ist für uns und unsere einsame Zweisamkeit. Zwischen klebrigen Honigmessern, Sonntagen am See, im-Kino-hinten-Sitzen und mit-gemeinsamen-Freunden-Rotwein-Trinken fehlt uns was. Es ist wie immer. Und doch eben nicht. Die leisen Töne sind es, die es hinweg über das Ruckeln der eisernen Räder auf dem Gleis und die Menschen um uns bis zum anderen schaffen müssen. Aneinander vorbei aus dem Fenster schauen wir, wenn wir miteinander sprechen. Wenn sich im Moment der Aussage die Wahrheit des Gesprochenen gerade erst formiert und doch gleich wieder unfassbar wird. Aneinander vorbei sehen wir in das verwischt vorbeirauschende Umland, weil es doch ein schöner Tag ist, ja, und man da auch mal raus fährt. So sonnig, so warm.



Es ist, als sei etwas in mir zerfallen. Als sei der Wunsch nach bedingungslosem Aufgehoben-Sein zu zweit eine Vorstellung, die ich durch zu viel Idealisierung für uns beide kaputt gemacht habe. Weil nur die Erwartung der Zukunft die Gegenwart so unvollkommen hat werden lassen -



ach, weißt du, sage ich. Und beiße mir auf die Lippe. Denn Floskeln helfen nie, das habe ich dir sogar beigebracht. Du sitzt, hältst meinen nackten Fuß in der Hand und streichelst meine Sohle, da, wo ich es so gerne mag. Wir sitzen, schauen aneinander vorbei und fahren nach draußen, als würde die Fragilität zwischen uns wirklich von außen verletzt und ein sonniger Tag dabei helfen, sie zu heilen.



Deshalb denke ich darüber nach aufzustehen. Auszusteigen. Ich stelle mir das vor. Wie ich aus der Bahn steige, die mit dir weiterfährt, während ich da bleibe. Wie ich wieder alleine bin und du über globalpolitische Bedrohungen nachdenken kannst, ohne dass ich dich dabei störe. Und plötzlich ist es ganz unglaublich,



wirklich



ganz unglaublich



still.



Ich kann das nicht. Ich will uns noch. Obwohl du immer schlau sein musst. Und Bücher liest, statt mir beim Ausziehen zuzusehen. Und manchmal Dinge vergisst, die mir ganz wichtig sind.



Es sind die Berührungen, die wichtig sind. Du weißt das auch. Warum hältst du sonst jetzt meinen Fuß? Ich bring dir das noch bei. Dass manchmal etwas wichtiger ist als Kleist, zum Beispiel. Dass Vermissen auch in Ordnung ist. Du wirst schon sehen. Das nächste Mal hol ich dich vom Flughafen ab und dreh mich mit dir herum, da wirst du gar nichts sagen können.

Mehr lesen — Aktuelles aus der jetzt-Redaktion: