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Frau Fernsehen

Text: Scardanelli_insanewriting

Heute möchte ich euch Frau Fernsehen vorstellen.



Frau Fernsehen wohnt etwa (eigentlich ziemlich genau) einen Block weiter, ich kann ihre Dachwohnung sehr gut von der meinen aus sehen. Nicht, dass es mein Hobby wäre, Menschen in Dachwohnungen aus Dachwohnungen zu stalken, aber meine Fenster gehen zu Frau Fernsehen raus, warum also nicht zu Frau Fernsehen fern sehen.



Immer wenn ich in der Woche sturzbetrunken nach Hause komme und mal nichts zum Rauchen da habe, und auch wenn, setze ich mich ein wenig zu Frau Fernsehen ans Fenster. Die dazugehörige Fensterbank ist sehr breit und bequem, um es sich sturzbetrunken darauf bequem zu machen.



Ich verbringe gerne etwas Zeit mit Frau Fernsehen.



Das gibt mir nach stundenlanger überlauter Beschallung in engen, heißen Clubs ein wohliges Gefühl der Ruhe, Geborgenheit und einen imaginären Platz auf ihrem Sofa an ihrer Seite, vereint in tiefem Schweigen.



Entschuldigung.



Ich habe Frau Fernsehen noch gar nicht angemessen vorgestellt. Wie der Name schon sagt, ist Frau Fernsehens größtes Hobby (oder kann man hier schon von einer Passion, einem Lebensinhalt sprechen?) fernsehen. Frau Fernsehen wohnt, wie schon angeraunt, in einer Dachwohnung, die von meiner aus sehr gut zu sehen ist, bald schon ein Terrarium, da großzügig verglast und fristet dort ihr Einsiedlerdasein.



Denn Frau Fernsehen schaut immer Fernsehen. Immer.



Ob Wochentag-oder-Ende: Völlig trivial, der riesige TV, der fast ihr gesamtes Wohnzimmerfenster aus meiner Perspektive einnimmt, ist scheinbar seit dem Kauf dauerbeansprucht. Ebenso nebensächlich die Uhrzeit:
Sei es Feierabend, Feiernacht oder früher Morgen, Hauptsache die Welt strahlt in 65 Millionen Farben und LED-Technik von den 55 Zoll in das für das Gerät viel zu kleine Wohnzimmer.



Ich habe ernsthaft erwägt, mir die Rundfunkgebühr mit ihr zu teilen, da ihr Fernseher (viel) öfter läuft als meiner. Dann ist mir aufgefallen, dass ihr Fenster zur Welt (der Fernseher, nicht das Fenster) ausschließlich von Privatfernsehmatsch verdreckt wird.



Ich habe zwei verschiedene Theorien zu ihrer "Passion" aufgestellt:



 



THEORIE EINS



Frau Fernsehen heißt eigentlich Frau von Fön



Frau Fernsehen hat in der Blüte der Jugend einen Yakuza-Boss verführt und an die internationalen Behörden ausgeliefert, kurz bevor er mit ihr aus dem Geschäft aussteigen wollte. Da plastische Chirurgie in den 80ern (Frau Fernsehen muss wohl Mitte 50 sein) noch nicht so TittenÄrscheLippenMassentauglich wie heute war, wurde sie von Interpol in ein Zeugenschutzprogramm aufgenommen, inklusive neuer Identität und lebenslanger Leibrente. Ihr persönlicher Sicherheitsdienst, der im Haus unerkannt als schwuler Hausmeister und Vermieter wohnt, hat die ehrenvolle Aufgabe, für sie einzukaufen und den Müll herunterzubringen. Auch wurde sie gegenüber Freunden und Familie als vermisst gemeldet, während sie eigentlich aus Asien ins ferne Hamburg deportiert wurde.
Einzige Auflage: Sie darf ihren goldenen Käfig jährlich nur einmal verlassen, verkleidet als Bettler.



 



THEORIE ZWEI



Sie sind nicht unter, sondern wohnen über uns



Frau Fernsehen ist eigentlich ein Kundschafter einer hochentwickelten Alienrasse aus dem Spiralnebel CF-4. Ihre Aufgabe ist das gewissenhafte Studium unserer Spezies, mit dem längerfristigen Ziel zu evaluieren, wann unsere unterentwickelten Matschbirnen zivilisiert genug sind für im ganzen übrigen Universum alltägliche Innovationen wie den Beamer, die multiple Lichtgeschwindigkeit auf Basis von Rosenkohl oder die Nano-Dampfente.
Unglücklicherweise hat der Tarnprojektor, der ihren glibbrigen Alienkörper mit dem Trugbild einer älteren Dame überzieht, bei der Landung vor 300 Jahren einen Schlag bekommen und funktioniert nur, solang ihr Alien-TV mit 70.000 Programmen angeschaltet ist.
So ist sie gezwungen, ihre Studien aufgrund von unterirdisch schlechten Privatfernsehen zu führen, was wohl dazu führt, dass wir Rosenkohl auch noch in 2000 Jahren kochen, anstatt damit durchs All zu jagen. Schade.



 



FAZIT



Das Rätsel um Frau Fernsehen wird die Welt wohl noch länger beschäftigen und ich selbst werde noch einige ernsthafte investigative Arbeit leisten müssen. Vielleicht fallen mir die Antworten auf meine vielen Fragen eines Tages wie Schuppen von den Augen, wenn ich nur tief genug ins Glas schaue.



Vielleicht wird sich dann der weiße Rauchschleier an meinem Fenster mit einem tiefen Zug lüften und die Wahrheit wird mich treffen wie ein Donnerschlag.



 



Ich bleibe dran.



 



Guten Abend.









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