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Glühwürmchen im All

Text: aniway
Wenn das Leben genau in diesem Moment stoppen würde und ein Außerirdischer auf die Erde käme, um sich das meine anzusehen, sähe es so aus:

Es gäbe nachts blinkende Rosmarinbüsche voller Glühwürmchen, einen Mond in orange und sehr viele Sterne. Einen Pfau, der gern ein Hahn wäre, doch nicht kräht, sondern schreit, nicht morgens, sondern im Dunkeln. Es gäbe einen Strohhut mit einem braunen Lederband um die Krempe und Brot ohne Salz. Einen Strandmeister, der fragt, ob es zu heiß sei, und auf sich selbst antwortet: "For me not".

Es gäbe ein Handtuch, eine dreckige Jeansshorts und ein Shirt ohne Ärmel. Morgens sähe er mich Cappuccino trinken mit sehr viel Schaum und sehr wenig Kaffee. Er würde denken, man rede nicht viel, sondern lese hauptsächlich. Er sähe mich weinen, weil Patti Smith von Robert Mapplethorpes Tod schreibt und seinem ganzen Leben, dass in ihr drin noch nicht vergangen ist.

Er sähe uns am Tisch sitzen mit Wein, Zigaretten und tanzenden Hornissen, während wir darüber philosophieren, wie man ein Wespennest ausräuchert.
Es gäbe eine Woche lang nur Wochenende. Jeden Tag. Sand wie Feuer. Luft wie dicker, heißer Kuchen. Und Mückenstiche wie Windpocken. Überall blühte Mohn und Giovanni mit seiner Rasenmäher-Raupe sähe aus wie von einem anderen Stern. Vielleicht vertraut?

Er würde sehen, wie ich im Meer versinke bis die Grenzen meiner Lunge – und nur diese – mich wieder nach oben zwingen. Könnte er Gedanken lesen, hörte er viele Wenns, Vielleichts, viel "Jetzt" und "Möglicherweise". Er würde den Lärm in meinem Kopf hören, während ich dem Sonnenuntergang zuschaue und nur ab und zu an einem Glas Wein nippe. Den Lärm, der nicht abreißen will, in Träumen seine eigene Welt schafft und tagsüber Stille fordert um mich rum. Den Lärm, gegen den ich unablässig ankämpfe, meinen Widersacher, meinen treuen Begleiter, der da sein wird für immer – mit dem ich vielleicht Frieden schließe, irgendwann, in ganz hohem Alter.

Er sähe mein Herz pochen und meine Füße baumeln. Er sähe mich jeder Idee mutig entgegenrennen, den Zweifel hinter mir herjagen, der mich oft einholt, unter den Armen packt und zurückbringt zum Ausgangspunkt. Unter einer Pinie.

Wenn der Pfau wieder schreit, würde er zurück in sein Raumschiff steigen, die Lichter anknipsen und entferntes Lachen von unserem Scharade-Spiel hören. Er würde kurz innehalten, sein Notizbuch rausholen und eintragen:
"Die Menschen könnten mehr genießen. Aber sie haben ein Universum im Kopf, das unendlich ist."

Toskana, Juni 2013

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