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Wuschelköpfe auf akkurat frisiertem Rasen

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Das Wort „Bier“ fällt zum ersten Mal am Ende des sechsten Lochs. Erst am sechsten Loch, würde manch einer sagen. Denn eigentlich müsste den Dreien, die hier mit ihren Golftaschen über das Green laufen, doch schrecklich langweilig sein. Alex Tank aus München, 25, Wuschelkopf, Sonnenbrille, braungebrannt, ist Profi-Snowboarder. In Videos sieht man ihn über riesige Schanzen springen oder in verschneiten Städten Geländer auf jede erdenkliche Art und Weise heruntersliden. PK Hunder, 24, ein Freestyle-Skifahrer aus Norwegen, wäre wohl einer der Größten seines Sports, hätten nicht 2009 ein Genickbruch nach einem 40-Meter-Sprung und weitere Verletzungen seine Karriere unterbrochen. Sean Malto, 23, aus Kansas City, wird am Freitag im Münchner Olympiapark bei den X-Games im Street-Skaten antreten. Er könnte sogar gewinnen, im April holte er in Brasilien schon die Silbermedaille, vor wenigen Wochen in Barcelona landete er auf Platz vier.
 

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Ein Skater und ein Snowboarder, die zu Golfern mutiert sind: Sean Malto (links) und Alex Tank.

Müssten solche Jungs nicht über Golf lachen? Müssten sie sich nicht langweilen? So sehr, dass sie versuchen, mit Golfwägen 360s über die Sandbunker zu springen? Betrunken?
 
Das Gegenteil ist der Fall. Vor Turnierbeginn spielen sich die Actionsportler artig auf dem Putting Green vor dem Klubhaus warm, es sähe alles ganz normal aus, wäre nicht der Anteil an Tätowierungen und schrägen Caps größer und der an korrekt rasierten und frisierten Köpfen geringer als sonst auf einem Golfplatz. Und von Bier spricht Alex Tank eben erst, als mal wieder ein Putt knapp daneben gegangen ist, wie schon ein paar Mal bei den Löchern davor. Er bedauert jetzt, keines dabei zu haben, vielleicht würde es ja helfen. Beim Zielen wohl gemerkt. Nicht gegen Langeweile. 
 
Alex und die anderen Spieler in seinem Flight – so nennt man beim Golf eine Gruppe, die gemeinsam von Loch zu Loch zieht – nehmen das Golfen ernst. Sie gehen vor dem Abschlag zur Tafel, auf der die Beschaffenheit der Spielbahn zu sehen ist. Sie schätzen Entfernungen, wählen das passende Eisen. Sobald einer sich zum Schlag bereit macht, herrscht konzentriertes Schweigen. Sean Malto hat sich den X-Games-Parcours, auf dem er am Freitag antreten muss, noch nicht angeschaut. Die ersten neun Löcher des Golfklubs Thailing hat er gestern aber schon mal getestet. Als er heute zu seinem ersten Abschlag geht, kämpft er trotzdem gegen die Nervosität, er bläht die Backen auf, atmet tief durch. „Mir haben wirklich die Knie gezittert, so aufgeregt war ich“, sagt er danach. „Das ist fast wie bei den X-Games hier. Aber hey, es ist auch mein erstes Golfturnier.“
 
Dieses Turnier nennt sich „King of Greens“, es ist das erste internationale Golfturnier für Profis aus dem Actionsportbereich. Und es entlarvt zwei Klischees, mit denen nicht so leicht aufzuräumen ist. Das erste lautet: Extremsportler sind alle Freaks. Das zweite: Golf ist spießig.
 
Ins Leben gerufen haben das Turnier Jan Folkard Willms, Sophie Gerl und Karin Lechner. Alle arbeiten im Actionsportbereich, haben viel mit Surfern, Snowboardern und anderen zu tun. Jan begann vor zwei Jahren wieder mit dem Golfen, mit einem Snowboard-Fotografen aus seiner Bürogemeinschaft im Münchner Schlachthofviertel. Bei einer Golfrunde fiel den beiden auf, dass so gut wie alle jungen Snowboarder aus Skandinavien Golf spielen. Sophie und Karin bestätigten den Trend. Beide managen Sportler und stellten fest, dass sich die Golf-Vorliebe durch fast alle Action-Disziplinen zieht, vom Basejumping über das Skaten bis zum Motocross. „Viele von den Jungs verbringen jeden freien Tag auf dem Golfplatz. Und viele sind richtig gut.“ Das sieht man auch in Thailing: Christophe Schmidt ist Snowboarder und spielt seine Runde zusammen mit Profigolfer Mateo Manassero, der zu den Top 25 der Welt gehört und nach den „BMW Open“ noch für den „King of Greens“ in München geblieben ist. Ein paar Mal sind seine Abschläge kürzer als die des Snowboarders.



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Mit dem Turnier sollen sich also zwei Welten näher kommen, die offenbar viel besser zusammenpassen, als vielen bis jetzt bekannt war, nicht zuletzt den Golfklubs selbst, die junge Zielgruppen lange vernachlässigten. Das Durchschnittsalter in den meisten Golfklubs liegt bei mehr als 50 Jahren, die Jahresbeiträge bei etwa 1500 bis 4000 Euro; der Nachwuchs bleibt weg, weil flexible Angebote fehlen. „In anderen Ländern gibt es viel mehr öffentliche Plätze, da ist Golf ein Volkssport“, sagt Jan Willms.

Alex Tank spielt schon Golf, seit er 13 ist, sein Vater nahm ihn damals mit auf den Golfplatz. Das erste Snowboard besaß er erst später. Wenn er seinen Snowboardfreunden früher vom Golfen erzählte, reagierten die verwundert bis spöttisch. „Mittlerweile haben viele selbst angefangen und feiern das ziemlich.“
 
Jetzt steht er am ersten Loch und konzentriert sich auf den Abschlag. Ein, zwei Probeschwünge, den richtigen Stand einnehmen, ausholen – Alex hält inne. Hinter den Büschen fährt ein Auto vorbei. „Da muss ich immer abbrechen. Autos bringen mich total raus“, rechtfertigt er sich. „Das ist beim Snowboarden übrigens genauso. Wenn ich in der Stadt einen Railtrick machen will, muss ich immer warten, bis kein Auto kommt.“ Überhaupt, sagt er später, je mehr er darüber nachdenke, desto mehr Parallelen erkenne er zwischen dem Snowboarden und dem Golfen: Er muss bei beiden Sportarten das Gelände richtig lesen. Er muss komplizierte Bewegungsabläufe flüssig ausführen. Er muss auf den Punkt konzentriert sein. Vor allem diese mentalen Anforderungen verbinden Golf und Disziplinen aus dem Actionsport, manche Athleten integrieren Golf deshalb in ihre Trainingspläne. Die Sportler müssen alles mit sich selbst ausmachen, sie sind Einzelkämpfer, es gibt nur sie, das Sportgerät und den Berg oder die Welle, die Halfpipe oder die Schanze – oder eben das Putting Green. Alex sagt: „Es ist beim Golfen und Snowboardfahren dasselbe: Wenn was daneben geht, ist das zu 100 Prozent meine Schuld.“
 
Es geht ein bisschen was daneben heute: Alex bleibt oft über den Schlagvorgaben der einzelnen Löcher, also unter seinem Niveau. Anfangs ärgert ihn das noch, er schwingt sein Eisen nach missglückten Schlägen manchmal enttäuscht durch die Luft. Später, als klar wird, dass weder er noch seine beiden Konkurrenten Sean und PK mit dem Turniersieg etwas zu tun haben werden, machen sie einfach ihre eigenen Wertungen auf, wetten bei jedem Loch um Geld. Nach ihrem zwölften Loch machen sie noch mal eine kurze Pause am Klubhaus. Und nehmen sich für den restlichen Weg über den Golfplatz ein Bier mit.

Text: christian-helten - Fotos: www.philpham.de / King of Greens

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