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Flohmarktgefühl im Netz

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Auf den Flohmarkt geht man, wenn man altes Porzellan oder eine Vintage-Kommode sucht – vor allem aber, und dazu braucht man erfreulicherweise gar kein Jäger-und-Sammler-Talent, um sich darüber zu amüsieren, welchen Krempel die Leute loswerden wollen: die gesammelten Alben von Britney Spears, die Biographie von Alice Schwarzer, die Latein-Lektüre aus der zehnten Klasse, ein altes, furchtbar schlechtes Witzebuch – es ist herrlich!  

Die Leipziger Buchmesse hat in der vergangenen Woche deutlich gemacht, dass das Stöbern durch fremder Leute Bücher und CDs langfristig verschwinden könnte. 2012 machten E-Books zwei Prozent des Branchenumsatzes aus, das ist doppelt so viel wie 2011. Im weltweiten Musikverkauf machen die Umsätze mit digitalen Dateien mittlerweile 34 Prozent aus.  



Das ist eine logische Entwicklung, schließlich genießen wir die Vorteile, sich Musik, Filme und Bücher digital zu kaufen. Ein paar Sachen vermissen wir aber doch (mal ganz abgesehen von dem Geruch und der Haptik eines Buchs): Ein E-Book oder eine MP3-Datei kann man nicht – zumindest nicht legal – verleihen, geschweige denn weiterverkaufen, wenn man es nicht mehr haben möchte - und das, obwohl man dafür Geld bezahlt hat und damit doch das Recht haben müsste. Wenn man sich E-Books auf Amazon kauft, ist es sogar noch extremer: Dann kann man sie nur mit dem Kindle oder der Kindle-App lesen, es sei denn, man deaktiviert den Kopierschutz. Das ist erstens nicht ganz einfach, und zweitens illegal. Als vor kurzem nach einer ARD-Dokumentation die Arbeitsbedingungen für Leiharbeiter bei Amazon kritisiert worden sind, wollten sich viele Amazon-Kunden abmelden. Das Problem: Ohne Amazon-Konto können sie nicht mehr auf ihre E-Books zugreifen. Das war den meisten der Protest dann doch nicht wert.  

Marina Weisband passt das Ganze nicht. Am Wochenende hat die frühere Politische Geschäftsführerin der Piratenpartei ihr Buch „Wir nennen es Politik“ auf der Leipziger Buchmesse vorgestellt. Bereits im Herbst 2012 hat sie angekündigt, bei der E-Book-Ausgabe ihres Buchs auf einen technischen Kopierschutz zu verzichten. „Wohlgemerkt - ohne Kopierschutz heißt nicht, dass es kostenlos sein wird“, wird sie auf SZ.de zitiert, sondern nur, dass „es ohne technische Einschränkungen auf beliebig vielen Geräten gelesen und kopiert werden kann“.  

Genau das geht aber im Moment meistens nicht. Der Grund ist in diversen AGB, unter anderem von Amazon, nachzulesen. Wenn man sich Musik oder Bücher digital kauft, wird man nicht Eigentümer wie bei einer CD oder einem gedruckten Buch, sondern erwirbt nur das Nutzungsrecht – das beinhaltet nicht das Verleihen oder Weiterverkaufen. Für Firmen wie Amazon hat das zwei Vorteile: Wenn ein Handel mit „gebrauchten“ E-Books und Musikdateien betrieben wird, verkaufen sie weniger „neue“ E-Books. Außerdem besteht die Gefahr, dass die Verkäufer Kopien der Dateien behalten. Gegen solche AGB-Klauseln rührt sich Widerstand, unter anderem von der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv), bislang aber noch ohne Wirkung. „Das Problem ist: Viele wissen nicht, dass es diesen Unterschied gibt. Gefühlt ist es ja auch egal, man kauft sich beide Male ein Buch, nur beim E-Book nicht mit einem Datenträger zum Anfassen“, sagt David Pachali von der Urheberrechts-Plattform „iRights“. Auch preislich ist der Unterschied kaum zu spüren. Weisbands Buch kostet als gebundene Ausgabe 16,95 Euro, die Kindle-Edition ist mit 13,99 Euro nur unwesentlich günstiger.  

Gerade überlegen sich immer mehr Firmen, wie man mit gebrauchten digitalen Produkten umgeht. Eine davon ist die US-amerikanische Plattform „Redigi“. Dort kann man seit Oktober 2011 „gebrauchte“ Musikdateien und E-Books verkaufen. "Hey, Soul Sister“ von Train oder das Intro aus Alfred Hitchcocks „Ghost“ kann man für 69 Cent herunterladen. Die Betreiber der Website überprüfen, ob es sich um eine legal erworbene Datei handelt. Die Datei wird vom Rechner des Verkäufers entfernt und erscheint danach unter den Angeboten auf der Plattform. Man kann natürlich nicht zu 100 Prozent sicher gehen, dass Verkäufer nicht doch Kopien behalten. Aber das kann man bei CDs auch nicht. „Redigi“ bekommt, ähnlich wie Ebay, für jeden Verkauf eine Provision. Wenn die Urheber auf der Seite registriert sind, verdienen auch sie mit: Ihnen werden 20 Prozent der Einnahmen gutgeschrieben.  

„Redigi“ plant, das Angebot noch in diesem Jahr auf den deutschen Markt auszuweiten. Neben Musikdateien sollen dort bald auch E-Books, Computerspiele, Software und Filme „gebraucht“ verkauft werden. David Pachali hält einen Start in Deutschland durchaus für möglich: „Ich kann mir vorstellen, dass es ähnlich wie beim Start der Plattform in den USA gerichtliche Auseinandersetzungen geben wird.“ In den USA hat Capitol Records versucht, eine einstweilige Verfügung gegen „Redigi“ zu erwirken – ohne Erfolg. In Deutschland kann man noch nicht abschätzen, wie sich die rechtliche Situation entwickelt. „Für ‚Redigi’ spricht ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs. Es entschied 2012, dass Software, die man per Download erworben hat, grundsätzlich weiterverkaufen darf. Ob sich das auch für Musikdateien und E-Books, wird sich zeigen.“ Andererseits hat das Landgericht Berlin 2011 gegen die Weiterverkaufsmöglichkeit von iTunes-Dateien auf Ebay entschieden.

Generell bemerkt David Pachali, dass es einen Trend zum Weiterverkaufen gibt. „Auch Apple und Amazon haben diesbezüglich schon Patente angemeldet“, sagt er. Plattformen wie „Redigi“ sind eine Möglichkeit, das Stöbern in anderer Leute Krempel digital zu konservieren. So muss das Flohmarktgefühl vielleicht doch nicht aussterben. Das Potenzial dafür hat „Redigi“: Dort stößt man auch auf „... Baby One More Time“ und Kesha. Fast wie auf dem Flohmarkt.

Text: kathrin-hollmer - Screenshot: Redigi.com

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