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Paukenschlag

Text: aniway

Unwirklich war es. Die Füße sind eingefroren, die Luft klirrte und war aus Wolken. Oma hat gewackelt vor Kälte. Außerdem hatte sie ihren Schal vergessen. Sie ließen den Sarg runter in die Erde und plötzlich stach die Vorstellung von ihm in der Kiste so sehr, dass die Tränen sich den Weg bahnten. Ich wollte nicht, dass er da unten liegt, wo es so kalt und dunkel ist.
Oma verlor fast die Geduld, Menschen warfen Sand zu ihm hinunter, als ob sie ihn noch zudecken wollten, verbeugten sich und einige regelten schon die Rückfahrt.

Und da ist es mir plötzlich aufgefallen, wie er alle ausgetrickst hat. Ich musste grinsen, fast hätte er auch mich reingelegt. Es fiel mir in dem Moment auf, als ich jemanden sagen hörte: “Er wird mit seinem Schmiede-Hammer begraben – das hat er immer gewollt.”



“Jetzt hast du dich verraten, Meister!”, dachte ich. Denn so ein Hammer unter der Erde, das hätte ihm sicher nicht gefallen. Und ich glaube zu wissen, wie alles in Wirklichkeit abgelaufen ist:

Zuerst musste er das Spiel natürlich mitspielen, ganz klar. Hat sich ein paar Tage ausgeruht. Dann haben sie ihm seine beste Kleidung angezogen. Er wurde schon langsam ungeduldig, denn der Hammer war noch nicht da – und ohne würde es nicht gehen. Was sollte er denn auch sagen, wo er ihn gelassen hat? Ab und zu hat er geblinzelt, aber der Hammer war nicht zu sehen. Keiner hat’s gemerkt. Heute morgen dann, als wir uns alle die dunklen Sachen angezogen haben, wurde er endlich gebracht, aber es fehlte noch etwas. Bestimmt hat er sich einfach einen Schraubenschlüssel in den Ärmel geschoben.



Und als wir dann vor der Tür der Kapelle gewartet haben, alle ganz leise, und als Oma die Treppen so langsam hochgeklettert ist, dass ich fast vermute, sie hat mit ihm unter einer Decke gesteckt – genau da hat er die Schrauben gelöst und ist still und heimlich aus dem Holz geschlüpft.

Als wir uns dann in die Bänke sortiert haben, kauerte er unter der hintersten, kichernd ob seiner Einfälle. Er hat gelächelt, als über ihn gesprochen wurde, sich die Ohren zugehalten, als wir so falsch die Lieder gesungen haben. Und er hat sich jeden Hinterkopf noch einmal genau angeschaut und sich gefreut, wer alles da war. Als sie dann die Kiste und die Blumen rausgetragen haben, hat er erst noch einen Moment abgewartet. Zur Sicherheit. Dann sind alle zum Friedhof gelaufen, er aber packte seinen Hammer und verschwand durch die Hintertür.



Und ich bin sicher, Thor hat auf ihn gewartet und sie haben sich mit einem ordentlichen Paukenschlag begrüßt. Ich weiß, da sitzen sie jetzt, trinken Schnaps und freuen sich mit roten Nasen auf das nächste Gewitter. Und Thor wird sagen: “Guter Hammer, Meister. War schlau von dir, ihn nicht aus der Hand zu geben. Wird ordentlich Lärm machen.”
Und ich bin sicher, auch da oben wird er bei guten Wetter alles reparieren und derjenige sein, den alle nur den “Meister” nennen. Aber bei schlechtem Wetter wird er bei Thor stehen und Krach machen. Und immer dann werde ich an ihn denken.



Ich musste grinsen, als ich da stand. Mit den lieben Menschen um mich rum, mit allen, die er an der Nase herumgeführt hat. Ich habe mir keine Sorgen mehr gemacht über die Kälte, über die Erde oder über die Tiefe.



Ich werde es keinem verraten. Ich werde es niemandem sagen, dass sie nur Abschied genommen haben von einem Stück Holz. Vielleicht hat er sich mit seinem Wunsch auch gar nicht verraten. Vielleicht war es sogar Absicht. Vielleicht war es ein Hinweis. Ein Hinweis für mich, dass ich mir keine Sorgen zu machen brauche. Und ein Hinweis für jeden, der genauer hinschaut und ihn deshalb nötig hat. Ich finde, dass er das gut gemacht hat. Gerissen.

Beim Zurücklaufen war die Luft immer noch aus Wolken. Und die Zehen taten mir auch noch weh. Aber ich musste aufpassen, nicht zu lachen. Das gehört sich schließlich nicht.

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