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Amir

Text: danny_mahony

Ich war bereits seit zwei Wochen in Nordamerika unterwegs, als ich an einem regnerischen Spätaugust-Tag in Toronto ankam. Noch am Tag zuvor war ich in der drückenden Hitze an Manhattans Wolkenkratzer vorbei gelaufen, nun schmiss mich ein Taxifahrer hinaus in den kühlen kanadischen Nieselregen vor meinem Hostel. Nach einem kurzen Check-In ins Zimmer, Koffer abstellen, aufs Bett setzen und ankommen. Noch war mir dieser plötzliche Wechsel des urbanen Raums, der Mentalität der Menschen, des Wetters nicht ganz bewusst. Durchatmen.



Erst jetzt bemerkte ich, dass auf dem Nachbar-Stockbett jemand lag und las. Ich sagte kurz "Hi!", gefolgt von den für alle Hostels dieser Welt typischen Begrüßungssätzen: "How are you? What´s your name? Where do you come from?" Und so erfuhr ich, dass sein Name Amir war und er aus dem Iran stammte. Selten hatte ich in Hostels jemanden getroffen, der aus dem mittleren Osten kam, und so begann ich voller Neugierde auf seine Geschichte, mich mit ihm zu unterhalten. Er erzählte mir, dass er Student sei und in den Semesterferien die Welt erkunden würde. Dieses Mal hatte er sich Kanada vorgenommen, erst Toronto, dann Vancouver und noch einige weitere Stationen. Ich erwähnte, dass ich gerade erst aus New York gekommen war. Sofort erwiderte er, dass er unbedingt auch mal dorthin möchte. Ich fragte ihn, warum er es nicht mit dieser Reise kombinierte, New York sei ja nur einen Katzensprung entfernt. Sein Blick senkte sich leicht und seine Stimme wurde weicher, als er antwortete: "Weil ich es nicht kann!" "Warum kannst du es nicht?" "Weil sie mich nicht hinein lassen!" "Wer?" "Die Amerikaner, in ihr Land."





 



Wie erstarrt blickte ich ihn an und wusste zunächst nicht, was ich erwidern sollte. Aber Amir überwand schon die etwas peinliche Stille und fragte mich, ob ich denn Visa für die USA und Kanada benötigt hätte. "Nein, nur einen Reisepass." "Benötigt ihr Deutschen Visa für bestimmte Länder?" "Ja, für einige schon." "Dürft ihr prinzipiell überall hinreisen?" "Hm, ich denke schon. Vielleicht bis auf dein Land. Oder Nordkorea. Aber sonst schon…"



Und so standen wir uns gegenüber, ein Deutscher und ein Iraner, beide im gleichen Alter, mit einem ähnlichen Beruf, ähnlichen Interessen, im gleichen Hostel-Zimmer Bett an Bett. Was uns unterschied, waren einige in fester Pappe eingeschlagene Seiten Papier, die unsere Staatsangehörigkeit anzeigten. Wer von uns welchen Pass bekommen hatte, war letztendlich Zufall, der festgelegt hatte, dass ich von deutschen Eltern abstamme und er von iranischen.



Aber welch große Auswirkungen dieses zufällige Ereignis für uns beide hat! Ich genieße beinahe unbegrenzte Reisefreiheit und war in dem Moment auch etwas froh, nach zwei Wochen USA ein neues Land kennenzulernen. Amir war in Toronto – immerhin –, nur wenige Kilometer von US-amerikanischen Boden entfernt. Aber doch genauso weit weg von diesem Traumland USA wie zu Hause in Teheran.



Ich dachte noch lange über unser Gespräch nach. Wurde mir der Privilegien meiner Herkunft bewusst, war dem Schicksal dankbar. Und dachte mir gleichzeitig, wie ungerecht diese von Menschen beschlossene Willkür in Form von Staatsbürgerschaften ist. Sie nimmt vielen Menschen dieser Erde die Freiheit zu reisen. Wie absurd.




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