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"Die Leute müssen Lust haben, ein Gebäude zu beleben"

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Eine Oper in einer verlassenen U-Bahn-Station, ein Campingplatz in einem aufgegebenen Freibad, eine Künstlerkommune in einem Abrisswohnblock – drei Projekte, die eines gemeinsam haben: Sie finden an Orten statt, deren ursprünglicher Zweck Vergangenheit ist. Vom besonderen Charme dieser Räume und Plätze und den Chancen, die sie ihren neuen Nutzern bieten, berichtet das Buch „Second Hand Spaces – über das Recyceln von Orten im städtischen Wandel“. Herausgeber ist das Team der Bremer ZwischenZeitZentrale (ZZZ). Die Zwischennutzungsagentur ist ein Pilotprojekt der Bundesregierung und der Hansestadt Bremen. Einerseits entwickelt sie Nutzungskonzepte für leerstehende Immobilien und sucht die dazu passenden Zwischennutzer. Andererseits startet sie eigene Projekte, wie die vierwöchige Nutzung einer alten Textilfabrik durch junge Kreativarbeiter im vergangenen Sommer.  

jetzt.de: In eurem Buch erzählt ihr die Geschichten von Projekten aus Berlin, Hamburg, Bremen, dem Ruhrgebiet, Frankfurt am Main, Basel und Kopenhagen. Habt ihr das Gefühl, dass sich eine Bewegung junger Menschen entwickelt hat, die leer stehende Alt-Immobilien für sich nutzbar machen will?
Michael: Von einer Bewegung würde ich nicht sprechen, weil sich die einzelnen Leute selbst nicht als Teil einer solchen Bewegung verstehen. Aber eine gestiegene Nachfrage nach Second-Hand-Räumen gibt es definitiv. Das liegt einerseits am Wandel auf dem Arbeitsmarkt. Die einen bekommen nach dem Studium keine Festanstellungen mehr, die anderen wollen ein solches Arbeitsverhältnis gar nicht haben. Durch den Computer kann heute jeder selbst zum Produzenten werden. Man braucht keine eigene Fabrik mehr, sucht aber dennoch nach einer Gemeinschaft am Arbeitsplatz. Hinzu kommen soziale Gruppen oder Religionsgemeinschaften, die günstige Räume für ihre gemeinsamen Aktivitäten brauchen.
Oliver: Die Attraktion liegt aber auch vielfach in den alten Räumen selbst. Viele Leute fühlen sich in klinisch reinen Neubauten unwohl. Eine Menge Startups suchen sich ihren Platz lieber in den Altbauten. Für sie ist die Authentizität eines Ortes der zentrale Wert, seine Unverwechselbarkeit. Hinzu kommt der Gestaltungsfreiraum, den man in Gebäuden hat, die eigentlich für eine andere Nutzung vorgesehen waren.  

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Theater in der U-Bahn in Mühlheim an der Ruhr - das funktioniert nur, wenn man Orte auch mal zweckentfremdet.

Früher galten Neubauten als Sinnbild des Fortschritts. Warum zieht es heute viele junge Menschen eher an die Orte vergangener Zeiten?
Michael: Es hat ein Wandel zwischen den Generationen stattgefunden. Meine Eltern finden es fürchterlich, dass ich in einem Altbau wohne und können sich das nur damit erklären, dass ich zu wenig Geld habe. Ich hingegen finde Altbau schön. Das gilt auch für die Menschen, mit denen wir in unseren Projekten zusammenarbeiten. Die sind auf der Suche nach den besonderen, gebrauchten Orten, denn die Geschichte eines Gebäudes vermittelt ihnen ein Stück Identität. Das hilft ihnen bei ihren Projekten oder der Firmengründung. Nehmen wir als Beispiel die ehemalige Hafen-Zollabfertigung, in der wir unser Büro eingerichtet haben. Im Gebäude spiegelt sich Wandel der Gesellschaft. Früher, in der Industriegesellschaft, war es ein Teil der Arbeit im Hafen. Heute, in der Dienstleistungsgesellschaft, arbeiten dort Menschen mit ihren Computern an kreativen Ideen.  

Was müssen die Nutzer mitbringen, um aus einer Alt-Immobilie ein interessantes Projekt zu machen?
Oliver: Die Leute müssen Lust haben, ein Gebäude zu beleben. Wenn wir ein Projekt starten und nach Nutzern suchen, dann wollen wir Perspektiven für ein Haus aufzeigen und die Immobilie nicht nur in der Zeit ihres Leerstands bewachen.
Michael: Wichtig ist, dass um einen Ort eine Öffentlichkeit entsteht und sich Freundschaften bilden. In der Abfertigung gibt es mittlerweile 16 Mitnutzer. Die lernen sich kennen und sehen, wie sie sich ergänzen können. Einige Programmierer kamen hier zusammen und haben dann ein neues Unternehmen gegründet. So bilden sich über die Arbeitsplätze Netzwerke. Allerdings sind nicht nur kleine Kreativunternehmer gute Umnutzer. Auch die Leute, die nach einem Platz für ihren Hindutempel suchen, können Orte neu beleben. Wer aber nur eine günstige Lagerfläche braucht, ist in einem solchen Projekt falsch. Als Abstellfläche entwickelt sich das Gebäude nicht.  

Könnt ihr feststellen, dass auch die Stadtverwaltungen langsam umdenken und Gebäude stehen lassen, anstatt abzureißen und neu zu bauen?
Oliver: Nur sehr langsam, denn wo es die Möglichkeit gibt, bevorzugen die Städte ihre gewöhnlichen Planungsinstrumente. Auf kreativere Ideen wie Zwischennutzungen greifen die Planer meist nur bei Arealen zurück, bei denen diese gewöhnliche Vermarktung nicht funktioniert.

Dafür gibt es aber in „second hand spaces“ aber auch ein Gegenbeispiel, das Projekt „Basis“ aus Frankfurt am Main. Dort sind Flächen sehr gefragt, für Experimente gibt es eigentlich weder Platz noch Bedarf. Trotzdem bemüht sich die Stadt in Zusammenarbeit mit „Basis“ darum, Freiräume für die jungen Künstler und Kreativen zu schaffen. Warum?
Michael: Viele Künstler, Architekten und Medienschaffende haben eine sehr gute Ausbildung, aber während und nach ihrem Studium erst einmal wenig Geld. Wenn Sie Räume bekommen, in denen sie ihre Ideen entfalten können, produzieren sie beispielsweise spannende Ausstellungen oder Partys mit besonderer Dekoration und Beleuchtung. Solche Veranstaltungen gehören heute zur Lebensqualität einer Großstadt dazu. Frankfurt subventioniert das Projekt, um diese kreativen Leute in der Stadt zu halten, weil die wichtig für das Außenbild der Stadt sind. Auch die Frankfurter Banker gehen sicher gerne mal auf eine besondere Party an einem speziellen Ort. Das macht die Stadt für sie attraktiv.
Oliver: Das gilt aber nur für die Mitarbeiter bestimmter Wirtschaftszweige, vor allem aus den Bereichen Medien und Dienstleistungen. Neulich habe ich einen Vortrag von Roland Berger gehört, in dem von Ingenieuren bei Airbus in Hamburg berichtet wurde. Die finden das kreative Leben in der Stadt weitgehend uninteressant, fahren nach ihrer Arbeit in ihr Einfamilienhaus am Stadtrand und wollen am Wochenende höchstens mal ein gutes Fußballspiel sehen. Außerdem gibt es große Unterschiede zwischen den einzelnen Projekten. Manche sprechen nur eine Subkultur an, andere erreichen eine breite Öffentlichkeit.

Viele Projekte können nur eine gewisse Zeit in den alten Gebäuden bleiben. Droht da nicht die Gefahr, dass die Zwischennutzer einen Ort neu beleben, aber anschließend ein Immobilieninvestor kommt, das geschaffene Image für sein Vorhaben nutzt?
Michael: Das kann passieren, für einen Investoren ist eine Zwischennutzung aber eher ein Störfaktor. Denn wenn er die Nutzer vertreibt – egal ob sie es jetzt waren, die ihn jetzt angelockt haben oder nicht – erfährt er eine Imageeinbuße. Ein aktuelles Beispiel dafür sind die Prinzessinnengärten in Berlin-Kreuzberg. Der Investor, dem das Projekt weichen sollte, wurde teilweise international kritisiert. Und auch wo Image-Übertragung beabsichtigt ist, funktioniert das häufig nicht, wie man am nt/Areal in Basel gut sehen kann.  

Was ist dort passiert?
Das nt/areal ist eine alte Güterbahnhofsfläche, die sehr lange zwischengenutzt wurde. Zunächst eröffnete dort ein Koch mit Freunden ein improvisiertes Restaurant. Dann kam ein Club hinzu, dann Ausstellungsflächen und Galerien. Das Projekt ist schließlich mit dem Stadtteil immer enger verwachsen, auch durch den großen Flohmarkt, der Leute aus der ganzen Umgebung angezogen hat. Über zehn Jahre etablierten sich die Zwischennutzer, obwohl von Anfang an klar war, dass dort Wohnungen gebaut werden sollen. Dann kamen die Investoren und einige der Nutzer mussten ihnen weichen. Ein paar der Immobilien-Unternehmer haben dann versucht, vom Image zu profitieren und ein richtiges Restaurant an die Stelle zu setzen, wo vorher das Provisorium war. Das hat nicht funktioniert: Das neue Restaurant war glatt und schick und hatte nichts mehr vom Charme der Zwischennutzer und konnte daher die ursprüngliche Kundschaft nicht mehr ansprechen. Da zeigte sich ein großes Problem an dem Investorenvorhaben: Es zerstört die sozialen und wirtschaftlichen Werte, die durch eine Zwischennutzung aufgebaut wurden. Geschadet hat das nicht nur den Zwischennutzern, sondern auch der Nachbarschaft.


Text: clemens-haug - Fotos: Guntram Walter, Andy Rumball

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