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Geheimes Gesetz (25): Das unwürdige Ende des Jahres

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Das Gesetz: Niemand mag die Nacht des Jahreswechsels, keiner will sie planen – aber jeder feiert sie.    

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert


Die Frage, was man denn Silvester so vorhabe, ist der Musikantenknochen des Smalltalks. Das Gegenüber, an einem wunden Punkt getroffen, stöhnt auf, winkt ab, schüttelt den Kopf. Niemand will über Silvester nachdenken oder gar sprechen, schweigen geht aber auch nicht. Einem Geheimen Gesetz folgend mag keiner die Nacht des Jahreswechsels – und doch feiern sie alle.  

All die hochtrabende Pläne, in illustrer Runde auf eine Hütte zu fahren oder wenigstens zu zweit nach New York, sie verpuffen in den stressigen letzten Wochen des Jahres. Keiner hat sich gekümmert, keiner hat Knete, keiner den Nerv für Spontanes. Also bleibt man zu Hause und bildet Schicksalsgemeinschaften mit denen, die man sowohl im alten als auch im neuen Jahr ertragen mag. Zusammen beneidet man die Doppelverdiener-Paare, die sechs Wochen nach Guadeloupe abgehauen sind, und denkt über Menüs und Örtlichkeiten nach. Die alljährliche Einladung der Altvorderen, zusammen mit ihnen und der Oma im Heimatort zu feiern, „wie früher mit Raclette und allem drum und dran“, wobei letzteres Sensationen wie Wunderkerzen und Bleigießen meint, schlägt man mit Hinweis auf erfundene eigene Pläne aus. Man weiß nicht, was man machen wird, aber wieder Kind werden sicher nicht.

Stattdessen schlingert man in den Tagen nach Weihnachten lustlos auf dieses leidige Datum zu, an das man aus den Vorjahren meist keine guten Erinnerungen, ach was, zu dem jeder mindestens eine Horrorgeschichte kennt. Verbrennungen, Erfrierungen, Vergiftungen und Trennungen – die Nacht vom 31.12. auf 1.1. bleibt im besten Fall harmlos, im schlimmsten Fall macht sie was kaputt. Schnell ist man sich einig: Es gibt nur passable Silvesternächte oder die weitaus häufigeren Katastrophenversionen. Das liegt vor allem daran, dass die Infrastrukturen - der Nachtgastronomie, des Verkehrs, des Drogenkonsums – hoffnungslos überlastet sind. Und zwar von einem im Benutzen derselben ungeübten Personal. In dieser einen Nacht gehen auf einmal Leute vor die Tür, die sogar ihr Essen im Internet bestellen. Organismen riskieren Alkohol, die höchstens Zuckerräusche kennen. Menschen besuchen Bars und Clubs, die sich sonst nicht in den Zoo trauen. Sie mischen sich unheilvoll mit den Profi-Feierlingen, die natürlich nobel abgefuckt sind vom gemeinen Volk, das ihre Etablissements überschwemmt; sie verlieren sich im großen grauen Durchschnitt, der viel zu betrunken ist und enttäuscht, schließlich ist Silvester und trotzdem steckt man in denselben mangelhaften Körpern und trinkt dieselben ungesunden Panschereien wie unterm Jahr, und nichts, aber auch gar nichts in dieser Nacht deutet auf eine Verbesserung im nächsten Jahr hin oder einen anderen Grund, warum man sich darauf freuen sollte. Angst und Alkohol sind eine schlechte Kombination. Entsprechend sind alle gelaunt.   

Es gibt natürlich auch Verweigerer, die diesen fremdbestimmten Wahnsinn nicht mitmachen und oberschlau vor dem Fernseher einpennen, wo sie sich doch noch „Dinner for One“ gegönnt haben, heimlich. Sie rümpfen schon ab September die Nase über die Pläne und sind nervtötend fit, wenn am ersten Januar die Verkaterten jammern. Lieber frisch rüber kommen und vom ersten Tag noch was haben, lautet ihr ungefragt kommuniziertes Motto. So beginnen sie ihr neues Jahr mit einer Überdosis dessen, was sie am liebsten haben: Recht. Man sollte diese Menschen meiden, bis nach Drei Könige, wenn das Thema Silvester endgültig durch ist. Zu den altklugen Abstinenzlern will man nicht gehören, den Mob draußen fürchtet man. Da man diese kollektiv zelebrierte Nacht jedoch nicht ohne Selbstbetrug ignorieren kann, bleibt die einzig würdevolle Begehung des vermaledeiten Feier-Tages: Ein Vollrausch in den eigenen vier Wänden, unter freundlicher Mithilfe eines Geliebten oder wenigstens Geschätzten. Wenn man schon vieldiskutiert und letztlich resigniert in ein weiteres Jahr stolpern muss, dann an der Hand des Menschen, mit dem man keinen Smalltalk halten muss. Weil so das Schönste des neuen Jahres gleich zu Beginn kommt: Betrunken mit jemandem schweigen, mit dem man schweigen kann, in der Stille des Neujahrsmorgens, wenn das Jahr noch schläft.

Text: friedemann-karig - Bastelei: Tvi Pham

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