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"Trollen ist so alt wie die Menschheit"

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jetzt.de: Stefan, hast du selbst schon mal im Netz getrollt?
Stefan Krappitz: Ja, schon mehrmals. Ich war zum Beispiel mal in einem Mystery-Forum, in dem die Leute über paranormale Aktivitäten diskutiert haben. Meine Freunde und ich haben dann eine Geschichte von einem Geist im Wald zusammengesponnen. Es war sehr lustig, wie ernst die Leute das genommen haben und welche Recherchen sie dazu angestellt haben.

Habt ihr das am Ende aufgelöst?
Wir haben es immer bizarrer gemacht. Irgendwann hieß es, dass das ganze Dorf von einer Sekte beherrscht wird, und dann war klar, dass es Quatsch ist.  

Du hast deine Diplomarbeit zu Trollkultur geschrieben. Wie definierst du einen Troll?
Die Definition, die ich aufgestellt habe, ist: „Trolling ist the act of disrupting people für personal amusement or the amusement of many.“ Wichtig ist mit vor allem dieses „amusement“, der Spaß muss die Triebfeder dahinter sein. Das grenzt Trolling vom Kreditkartenbetrug ab. Da geht es zwar auch darum, Systeme zu stören, aber vor allem, um sich selbst zu bereichern.

Steckt nicht manchmal auch Boshaftigkeit dahinter und nicht nur Spaß?
Es kann beim Trollen schon auch um Schadenfreude gehen. Aber wenn mein primäres Ziel wäre, jemanden zu verletzten, dann wäre es nicht mehr Trollen, sondern Mobbing. Wobei das auch eine Form des Trollens ist, wenn auch eine sehr niedrige. Ich sage ja nicht, dass Trollen immer gut ist, sondern, dass es gut oder schlecht sein kann.

Du behauptest in deiner Arbeit, dass Diogenes und Sokrates schon Trolle waren. Wieso das?
Trollen ist älter als das Internet, es ist so alt wie die Menschheit. Streiche spielen zum Beispiel wäre analoges Trollen. Diogenes hat in einer Tonne auf dem Marktplatz gelebt, als der Kaiser vorbeikam und ihm einen Wunsch erfüllen wollte, hat er nur gesagt: „Geh mir aus der Sonne". Wenn er im Theater war und mal musste, hat er auf eben auf die Kritiker uriniert. Man kann nicht sagen, ob er per Definition ein Troll war, weil man ihn natürlich nicht mehr fragen kann, ob er Spaß daran hatte. Aber ich halte das schon für möglich.

Und Sokrates?
Bei Sokrates war seine Methode der Wissensgenerierung ein bisschen wie Trolling. Er wird auch von Trollen als Urvater des Trollens gesehen. Er hat sich als einfacher Mensch getarnt, der nicht viel weiß, und auf dem Marktplatz Hobbyphilosophen, die von ihrer Weisheit erzählt haben, Fragen gestellt und sie immer mehr aus der Reserve gelockt, bis sie sich wie große Lehrmeister vorkam. Dann hat er sich einen Spaß daraus gemacht, mit nur einer oder zwei Gegenfragen das ganze Konstrukt zum Kippen zu bringen. Dadurch kam raus, dass Sokrates die ganze Zeit nicht der Schüler war, sondern der Lehrmeister.

Wäre das dann gutes Trollen?
Ich maße mir nicht an, dass zu bewerten. Aber die Lacher sind ein ganz guter Maßstab. Wenn extrem viele Leute lustig finden, was jemand macht, dann ist er wahrscheinlich ein guter Troll. Eine sehr große Rolle spielt dabei auf jeden Fall die Kreativität.

Gibt es verschiedenen Typen von Trollen?
Ich bin kein Freund von Schubladen, aber natürlich gibt es so was schon. Zum Beispiel Trolle, die hauptsächlich Videospiele trollen oder welche, die in die politische Richtung gehen, wie Anonymous mit ihren Scientology-Protesten. Da gab es eine Aktion, bei der ein Mitglied sich mit Fett eingerieben und Schamhaare anderer Mitglieder auf seinem Körper verteilt hat. So ist er dann in eine Church of Scientology reingelaufen und hat sich an allem gerieben und das Sicherheitspersonal hat ihn nicht erwischt, weil er so glitschig war. Das ist auf jeden Fall ein politisches Statement und eine Protestaktion, aber eben auch Trollen.

Du stellst in deiner Arbeit die These auf, dass Trollen auch Kunst sein kann. Wie das und in welcher Form?
Im Prinzip ist es einfach Kunst, die als Mittel zum künstlerischen Ausdruck das Trollen gewählt hat, also so eine Art Verarschen. Der Künstler Dennis Knopf zum Beispiel hat Voyeurismus und Exhibitionismus auf Youtube behandelt. Es gibt da „Bootyshake-Videos", Filme, in denen Mädchen zu Rapmusik mit dem Hintern wackeln. In jedem Film gibt es diese zwei Sekunden, wenn die Mädchen noch hinter der Kamera sind, um die Aufnahme zu starten. Knopf hat diese Videos runtergeladen und so bearbeitet, dass die Sequenz, in der man das leere Zimmer sieht, die ganze Tonspur füllt. Die Videos hat er dann unter dem gleichen Namen und mit den gleichen Keywords wieder hochgeladen und wenn man nach „Bootyshaking" gesucht hat, hat man immer diese Filme gefunden, draufgeklickt und erwartet, dass es gleich losgeht, aber dann kam nichts.

Kann denn diese Kunstform das Netz irgendwie bereichern?
Es bringt in vielen Fällen einfach die Diskussion voran. Als Google Streetview in Deutschland gestartet ist, haben sich viele beschwert, dass ihre Häuser zu sehen sind, und dann war in manchen Städten auf einmal jedes dritte Haus verpixelt. Dragan Espenschied und Aram Bartholl haben eine Fake-Google-Streetview-Seite online gestellt, die genau aussah wie das Original, aber mit einer Zahlungsaufforderung: Weil Google so hohe Kosten hat, um die ganzen Häuser zu zensieren, müssten sie jetzt leider Geld für diesen Service verlangen. Die Leute haben sich über diese angebliche Abzocke natürlich aufgeregt. Damit wollten die beiden glaube ich hinterfragen, wie man es sehen muss, dass Leute Angst davor haben, dass ein Foto von ihrem Haus im Internet ist, wenn doch Facebook das ganze Leben kennt. Troll-Kunst möchte uns zum Nachdenken auffordern.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Stefan Krappitz, Trollversteher.

Wie sähe denn das Netz ohne Trolle aus? Was würde fehlen, was wäre besser?
Ohne Trolle wäre das Netz eine utopische Gesellschaft. Für mich ist das unvorstellbar, weil das Trollen zur menschlichen Persönlichkeit gehört, in jedem steckt ein Troll. Die Qualität des Internets würde ohne Trolle nicht steigen, sie verbessern das Internet ja auch, indem sie auf Missstände hinweisen oder Sicherheitslücken aufdecken. In dem Forum, in dem ich getrollt habe, hat das dazu geführt, dass man dort nicht mehr als Gast schreiben konnte, sondern erstmal überprüft wurde, wer die Leute sind, bevor sie an einer ernsthaften Diskussion teilnehmen, oder dass man wenigstens eine Mailadresse angeben musste.

Du hast auch Regeln aufgestellt, wie Trollen funktioniert. Wenn ich also Troll werden möchte, was muss ich tun?
Trollen ist ein Spiel mit Erwartungen. Man schaut, was der andere in der Situation erwarten würde, und macht was völlig anderes. Das ist das Wichtigste.

Was sind denn die wichtigsten Tipps, um sich als Nutzer gegen Trolle zu wehren?
Wenn ich als Nutzer getrollt werde, gibt es eine ganze einfache Sache: Nicht antworten. Es ist sehr schwer, auf einen Troll nicht zu reagieren, weil er deine Schwachstellen ausnutzt. Wenn ich sage: „Du hast grüne Haare“, dann wirst du sagen „Nein, habe ich nicht“, weil du mit einem Blick in den Spiegel das Ganze falsifizieren kannst. Wenn ich aber sage „Du bist ein schlechter Journalist“, dann kommt wahrscheinlich die Gegenfrage „Warum?“, weil das nicht mit einem Blick in den Spiegel falsifiziert werden kann. Jeder Mensch hat Selbstzweifel und Angst davor, in dem, was er macht, schlecht zu sein. Der Troll konfrontiert diese wunden Punkte bewusst, und der andere reagiert emotional, selbst, wenn er weiß, dass getrollt wird. Darum sollte man einfach offline gehen und bedenken, dass es dem Troll vor allem um den Spaß geht und nicht darum, jemanden bewusst zu schaden. Er zieht einfach weiter, wenn man ihm keinen Spaß zurückgibt.

Bist du immun geworden gegen Trolle, nachdem du dich so intensiv damit auseinandergesetzt hast?
Nein. Ich weiß zwar, was im Hintergrund passiert, aber die meisten Menschen, die getrollt werden, wissen das ja auch und reagieren trotzdem emotional.

Aber ob nun gutes Trollen oder nicht: Ist es denn nicht generell gemein, sich seinen Spaß auf Kosten anderer zu suchen?
Das ist eine schwierige Frage. Das Problem hat man ja beim Streiche spielen auch: Alle finden's lustig, bis auf den, der den Schaden hat. Es ist nicht immer moralisch einwandfrei. Wenn man jetzt jemandem das Leben ruiniert, dann steht das in keinem Verhältnis mehr. Aber wenn man mal wegen eines Trolls ein oder zwei schlechte Tage hat, dafür aber ziemlich viele Leute belustigt sind... meine Güte, das Leben geht weiter! 

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