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FOTO-SPASS in HAMBURG

Text: HEDunckel





Wenn DU dich in schwindelnder Höhe bewegst, wo sonst eher Vögel fliegen, dich selbst aber erlebst wir eine Ameise, dann leidest DU nicht etwa an perspektivischer Schizophrenie, sondern DU befindest dich mit großer Wahrscheinlichkeit auf dem „HORIZON FIELD“ in der großen Deichtorhalle in Hamburg. In der umgebauten Markthalle hängt 7,4 Meter über dem Boden eine mit PU-Harz beschichtete Platte aus Birkenmehrschichtholz: 4890 x 2490 x 206 cm. Im Flyer kommentiert Antony Gormley, der Autor der Installation: „Das Gesamtprojekt besteht in der exakten Übertragung eines riesigen Bildes auf einen Resonanzkörper für Geist und Bewusstsein der Besucher. Den Gegenstand dieses Kunstwerks bilden allein die Menschen, die in und auf ihm agieren.“









Die fototechnische Revolution im letzten Jahrzehnt hat eine perzipientelle Evolution in Gang gesetzt, die jetzt auch auf eine expedientelle Umsetzung durch die User drängt. Neue Formate des Schauen von Bildern verlangen nach neuen Formaten des Erlebens in situativer Ästhetik. Und hier ist eine gesunde Umkehrung gelungen: Das mit Digitalkameras bewaffnete Publikum nervt nicht länger vor den Bildern einer Ausstellung, sondern stellt, setzt oder legt sich selber ins Bild. Seit der documenta12 vor fünf Jahren, hatte ich versucht an diversen Stellen anzuregen, das Fotoerlebnis des Publikums aus den eigentliche Ausstellungen fern zu halten, und eigene, dafür gestaltete interaktive Bereiche für Schnapp-Schuss-Süchtige anzubieten. In dieser Halle für „Aktuelle Kunst“ hatte bereits eine derartige oder ähnlich ablenkende Installation zur Ausstellung der „Julia Stoschek Collection“ gefehlt, um nicht ständig Leute in der Optik zu haben.









Für die Realisation der Idee „Horizon Field“ war das Zusammenwirken vieler entscheidend: Eine Galerie, die Nordmetall Stiftung, die Kulturstiftung des Bundes, Statiker, sowie weitere Sponsoren und Helfer, So handelt es sich also nicht nur um eine beispielhafte Arbeit zeitgenössischer Gestaltung, mit einer schon bei Frank Zappa sehr beliebten „Audience Participation“, sondern um ein gelungenes kommunikatives Projekt auf diversen Ebenen. Doch: Wie viele ebenso gute Ideen bleiben wohl in jeder Dekade unserer Kunstgeschichte reine Visionen in den Phantasien von KünstlerInnen? - Wie oft wurden Ideen mit ähnlichem Innovationswert von Museen nur müde belächelt? - Bahnt sich wohl möglich ausgerechnet in der Krise ein großer Wandel an? - Oder deuten solche Events lediglich auf ein zartes soziales Grinsen? - Auf jeden Fall ist es eine sehr Publikum freundliche PR-Veranstaltung, die obendrein hilft, im Sommer die Kosten gering zu halten.









Eine Anregung in diesem Kontext wäre vielleicht auch: Das Museum der im 20. Jahrhundert nicht realisierten Projekte. Der am 8. Januar 1948 verstorbene Kurt Schwitters fand ja letztlich auch erst zur Weltausstellung im Jahre 2000 eine angemessene Anerkennung in seiner Heimatstadt Hannover. „Welthauptstadt des Spießertums“ war in einem Kommentar zu „MADE IN GERMANY ZWEI“ auf ZEITonline zu lesen. Auch im Menschenpark Hamburg und in anderen Städten haben die „Vorsitzenden der Kleinzüchter-Verbände“ ihre „domestizierten Primaten“ überall sitzen, und es ist wohl 100% sicher, dass ein vergleichbares Projekt von Kreativen aus der eigenen Stadt niemals in dieser Form realisiert worden wäre. Es fehlt leider zu oft an einer intuitiven Intelligenz oder intelligenten Intuition, wie sie schon in der Antike von Aristoteles zur Lösung kreativer Aufgaben empfohlen wurde.









Der gesamte Raum mit dem „Horizon Field“ darf nur ohne Schuhe betreten werden. Kinder unter 12 Jahren dürfen die Plattform nur in Begleitung Erwachsener betreten. Das Springen auf der Plattform und das Auf- und Abschwingen an den Plattformenden ist verboten. Personen, die unter dem Einfluss von Drogen oder Alkohol stehen erhalten keinen Zutritt. Es gibt zwar einen Blog (www.horizonfieldhamburg.com), wo die Eindrücke und Bilder geteilt werden können, doch statt einer trennenden Bildschirmwand, auf der diese Beiträge zu sehen sind, gibt es nur eine langweilige Kordel, die den Zugang zur Garderobe von der Halle trennt. Doch gab es im Juni ein recht interessantes Zusatz-Programm und auch für den Monat August sind einige Aktivitäten geplant: Gedankenflieger – Philosophieren mit Kinder, eine Modenschau, ein Konzert, ein Tanz-Workout und der Metallworkshop „Raumtragwerk. Auf dem Feld der Horizonte bleibt der Foto-Moto-Spaß noch bis zum 9. September 2012 erhalten (freier Eintritt).



Holger E. Dunckel



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