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Damals

Text: michax

Kinder, ich will ja jetzt nicht behaupten, ich war hier der
Erste oder so.



Aber es haben sich noch eine Menge Leute NACH mir angemeldet. Das ist mal sicher. Meine ersten drei Tagebuch-Einträge – so hieß das damals noch – sind vom 12.08.2001. Da man sich ja bewerben musste, um überhaupt schreiben zu dürfen – damals – werde ich mich wohl ein oder zwei Wochen vorher angemeldet haben. Dann hab ich sicher die Bilder von den Mädels durchgeschaut, um zu gucken, ob sich das lohnt. Damals war man ja hauptsächlich wegen der Suche nach Mitgliedern des anderen Geschlechts online. Und schließlich hab ich dann was geschrieben. Fürs Tagebuch. Mein echtes war mir kurz zuvor bei einem Flug von Sizilien nach Berlin samt Koffer abhanden gekommen. Also warum nicht im Internet schreiben? Konnte man damals kaum jemandem erklären. „Wie jetzt? Ein Profil im Internet? Freunde online? Häh?“ Das waren die Leute, die heute Bilder von sich betrunken auf `ner Party bei Facebook reinstellen und sich dann wundern, dass sie keine realen Freunde mehr haben.

Den ersten Einträgen sind dann noch so ungefähr 250 Beiträge gefolgt. Und ich mein jetzt nicht irgendwelche „Nacktbaden ist dufte“-Lebenswert-Punkte, sondern echte Beiträge. Texte. Es gab damals einen regelrechten Battle um Sterne, die heute süß als Herzchen neben den Beiträgen posieren. Damals war das echt nix für Weicheier. Da gab es Doppel-Identitäten, Dreifach-Identitäten – mir sind Leute bekannt, die 20 Identitäten hatten. Für die Sterne, um andere zu dissen oder um andere zu stalken. Ich weiß nicht, ob das heute noch so ist, aber es war echt nix für Weicheier. Hab ich das schon gesagt? Na ja, ich werde alt.



Ich bin dann aber nicht verschwunden, weil ich endgültig zu alt wurde. Sondern weil ich SIE gefunden habe. Die Eine. Im Internet. Ausnahmsweise nicht bei jetzt.de, sondern irgendwo anders. Auf einer Seite empfohlen von einer jetzt-in-echt-Freundin – das damals gar nicht so seltene Hybrid-Modell einer unvergleichbaren Freundschaft. Mit diesen komischen jetzt-Freunden habe ich einiges durchgemacht. Demo in München, Partys in Berlin, Finka auf Ibiza. We had stars directing our fates.



Die Eine. Was soll ich sagen? Für sie hab ich den Tagebuch-Eintrag mit den meisten Sternen ever (damals) geschrieben. Und somit war der Kosmos gegessen. Ich war die coolste Sau von allen. Ich hatte die Frau. Jetzt.de wurde zu damals.de.



Jetzt muss ich nach meinem Sohn schauen. Das Babyphone meldet ihn. Wenn der wieder so süß in seinem Bettchen steht und „Mu-chik“ ruft, obwohl die Musik noch spielt – nur weil er mich sehen will – dann brech ich ab. Gott, was LIEBE ich dieses Kind!

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