Süddeutsche Zeitung

Unsere Kernprodukte

Im Fokus

Partnerangebote

Möchten Sie in unseren Produkten und Services Anzeigen inserieren oder verwalten?

Anzeige inserieren

Möchten Sie unsere Texte nach­drucken, ver­vielfältigen oder öffent­lich zugänglich machen?

Nutzungsrechte erwerben
Aus der ehemaligen jetzt-Community: Du liest einen Nutzertext aus unserem Archiv.

WARTEN. SINGEN. FREUEN!

Text: Begunje62

Gesangswettbewerb XY, Ende April.



Tag 1



Ankunft. Warum ich immer pünktlich bin, kann ich nicht erklären. Muss was genetisches sein, Mutter Schweizerin Vater Deutscher, eingebaute Uhr. Auf jeden Fall bedeutet pünktlich sein eigentlich immer: WARTEN. Denn anscheinend sind eingebaute Uhren bei Menschen nicht serienmässig. Nach und nach trudeln immer mehr junge Menschen ein, grosse, kleine, dicke, dünne. Alles Konkurrenten, in der ersten Runde insgesamt 80 hoffnungsvolle Sänger mit mehr oder weniger grossem Ego aus 20 verschiedenen Ländern. Ich fühle mich klein und frage mich, was ich eigentlich hier mache. Versuche trotzdem, den einen oder anderen anzulächeln und eine kurze Konversation aufzubauen... know your enemy.                                                                      Begrüssung, Vorstellung der Jury, der Korrepetitoren, Ziehen der Startnummern. Auf dem Weg zum Zylinder, aus dem die Nummern gezogen werden kurz überlegen, welche Arien ich in der ersten Runde singen möchte. Der erste Eindruck zählt- einerseits will man nicht schon sein bestes Stück vergeuden... das fürs Finale... andererseits ist es auch doof, gar nicht erst ins Finale zu kommen weil man nicht spektakulär genug war in der ersten Runde. Also Händel und Verdi.



Tag 2



»Wir wollen nicht nur hören, wir wollen spüren, sehen, mitfühlen.« Diese Worte machen mir Mut. Gut singen können hier sicherlich alle, sonst wären sie nicht hier. Sich auf der Bühne gehen zu lassen, in der Person aufzugehen, die man verkörpert, da räume ich mir Chancen ein. Aber nun erstmal zur Probe mit dem Pianisten... durch den Gang mit den Übungsräumen. Von jeder Seite hohe Cs. Sopran, Sopran, Kolloratursopran. Universalsopran nenne ich mich, aber sowas gibt es eigentlich gar nicht. Man wird in Schubladen gepresst, eine Gilda kann doch keine Violetta kann doch keine Cleopatra kann doch keine Contessa sein! Ich will nach Hause. Aber nun bin ich ja schon mal da, da kann ich auch noch kurz Vorsingen, oder? Die Probe verläuft ok. Nun wieder WARTEN. Auf den nächsten Tag, den ersten Wettsingtag.



Tag 3



Stechende Halsschmerzen beim Aufwachen. Haben eigentlich Nichtsänger auch ständig Halsschmerzen? Ich tippe bei mir auf nervöse Halsschmerzen, warum es sich leicht machen und einfach schmerzfrei singen? Kann doch jeder. So habe ich wenigstens eine gute Ausrede, wenn es nicht klappt: mit DEN Halsschmerzen, das konnte ja nicht gut gehen. Der Tag vergeht mit WARTEN, Einsingen, Schminken, Frisieren. Noch mehr WARTEN. Sich ausmalen, was alle schief gehen kann. Sich ausmalen, was alles gut gehen kann, positive thinking. Dann endlich, die Tür geht auf. Guten Tag, mein Name ist, ich singe heute für Sie... Die Jury sitzt hinten im Raum, vorne Zuschauer- es ist ein öffentlicher Wettbewerb. Ich gebe alles und sterbe am Schluss der 2. Arie, breche zusammen und liege auf dem Boden. Tuberkulose halt. Applaus. Ergebnisse am nächsten Tag.



Tag 4



Aus Langeweile und Vorahnung gehe ich shoppen und kaufe mir ein Outfit für die 2. Runde. Denn es ist wieder WARTEN angesagt... Verkündung der Teilnehmer der 2. Runde um 15 Uhr. Der 2. Durchgang dann im Anschluss. 80 Teilnehmer sitzen im Saal, es ist still, alle hoffen und bangen. Die 21 Semifinalisten werden verkündet. Ich bin dabei. Kann es nicht glauben. Will mich meinem Beruf angemessen freuen (also laut), halte mich aber in letzter Sekunde zurück. 59 sind ja nicht unter den Glücklichen, denen muss man die Freude ja nicht so unter die Nase reiben. Wieder Klavierprobe, diesmal Mozart und ein anderer Verdi. Der Pianist rät mir vom Verdi ab, anscheinend sind da die Asiatinnen zu starke Konkurrenz. Ich lasse mich nicht davon abbringen. Ich bin ich. Rufe meinen Professor zur Bestätigung an. Es ist nicht gerade ermutigend, wenn der eigene Korrepetitor einen nicht in seiner Wahl unterstützt. Aber egal, Halbfinale ist ja schon was, auch wenn ich jetz ausscheide- bei DEN Halsschmerzen war das schon eine Leistung.                                                             Wieder WARTEN. Diesmal bis 21 Uhr 30. Da haben schon 5 andere die Juwelenarie gesungen, die Jury ist sichtlich erleichtert, dass ich nicht auch Gounod im Programm habe. Ich patze auf dem hohen Dis (die Halsschmerzen), sonst bin ich zufrieden und gehe erstmal was essen. Zum ersten Mal an diesem Tag. Vor Nervosität kriege ich vor dem Singen keinen Bissen runter.



Tag 5



Die Atmosphäre hat sich gebessert. Die Kandidaten sind mittlerweile richtig locker, man kann reden, scherzen, lachen. Die Anspannung wächst wieder als die Finalisten bekannt gegeben werden. Von 21 kommen nun 12 weiter. Teilnahme am Finale ist wie gewinnen: Finalkonzert mit Orchester, Sonderkonzerte, Presse, Engagements verteilen sich unter den Finalisten. Von 21 werden die Plätze heruntergezählt. Ich bin auf Platz 9. FINALE. Diesmal Schulterklopfen von den Kollegen. Freude. Jahresabo der Musikzeitschrift Orpheus. Foto. Dann wieder Klavierprobe, diesmal werden die Arien von der Jury festgelegt. Wenigstens diese Verantwortung ist man los. Finalrunde noch am selben Tag, vorher wieder lange WARTEN. Ich bin müde. Die letzten Tage waren anstrengend und nicht sehr nährstoffreich. Immerhin schaffe ich ein Schnitzel mit Kartoffelbrei. Dann wieder Einsingen, Umziehen, Kilometer im Vorbereitungsraum hin und her laufen, Smalltalk. Auftritt. Der Pianist hat wohl wirklich etwas gegen mich, denn das Tempo entspricht in keinster Weise dem geprobten. Ich habe aber keine Kraft, gegen ihn anzukommen. Also mache ich gute Miene zum bösen Spiel und ziehe das Adagio, dass ein Andante sein sollte bis zum Schluss durch. Knalle die Tür. Applaus. Ende. Die Halsschmerzen sind weg.



Tag 6



Die Gewinner stehen fest, sie haben es allesamt verdient zu gewinnen.  Wir anderen freuen uns über das, was wir erreicht haben und freunden uns auf Facebook an. Wir singen ein ausverkauftes Konzert mit Orchester im Festspielhaus und fahren nach Hause. Dieses Jahr noch etliche Sonderkonzerte in Deutschland, Frankreich, Österreich. Ansonsten ist alles offen. Der nächste Wettbewerb kommt sicherlich, mit Halsschmerzen. Ob er so gut endet wie dieser steht allerdings in den Sternen...



 






Mehr lesen — Aktuelles aus der jetzt-Redaktion: