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Das Gegenteil von gut ist gut gemeint

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Die Zahlen müssen auf deutsche Studenten erschreckend wirken: 9000 Pfund pro Jahr, also umgerechnet knapp 11.000 Euro, soll das Studium in England zukünftig kosten. Am Donnerstag wurde die Änderung vom britschen Unterhaus beschlossen - obwohl die Liberalen zuvor noch Stein und Bein geschworen hatten, keine Gebührenerhöhung zuzulassen.
Doch wie konnte es eigentlich so weit kommen?

jetzt.de: Herr Orr, was ist los in England, dass die Studenten so wütend sind?
Dominic Orr: Das ganze Hochschulsystem in England ist gerade im Fluss. 1998 wurden dort Studiengebühren in Höhe von 1000 Pfund eingeführt. Vor drei Jahren wurde diese dann auf maximal 3000 Pfund angehoben. Die neue Erhöhung ermöglicht den Universitäten nun max. 9000 Pfund pro Jahr zu nehmen, zeitgleich wurden allerdings fast alle staatlichen Zuschüsse für die Lehre gestrichen. Die Unis müssen also versuchen, die fehlenden Gelder mit den Studiengebühren auszugleichen.


Nach Bekanntgabe der Studiengebührenerhöhung kam es am Donnerstag zu Krawallen in London. Auf dem Trafalgar Square wurde ein Weihnachtsbaum in Brand gesteckt.

jetzt.de: Bedeutet das automatisch, dass nun weniger junge Menschen in England studieren können?
Dominic Orr: Das muss nicht unbedingt sein. Es wäre ein Fehler, den Fokus nun nur auf die Erhöhung der Gebühren zu legen. In England gibt es nämlich auch ein System zur finanziellen Unterstützung der Studenten. Zukünftig sollen drei Viertel aller Studierenden hiervon profitieren. Diese Sätze wurden ebenfalls angehoben, um die zusätzliche Belastung ausgleichen zu können. Allerdings besteht diese Unterstützung, anders als BaföG, in einem Kreditsystem. Da hat man nach dem Studium 25 Jahre Zeit, das geliehene Geld inklusive Zinsen zurückzuzahlen, wenn man jährlich mehr als 21.000 Pfund verdient. Verdient jemand weniger, so muss er nicht zahlen und der Betrag wird einem nach 25 Jahren erlassen.

jetzt.de: Warum wird das englische Hochschulsystem denn überhaupt reformiert?
Dominic Orr: Die Grundidee war eigentlich sehr vorbildlich: Die Hochschulen sollten sich auch für bildungsferne Schichten öffnen. Dies sollte ermöglicht werden, indem die Unis keine Restriktionen mehr haben, wie viele Studenten sie aufnehmen können und wohin sie ihre Gelder investieren. Gleichzeitig fielen fast alle staatlichen Zuschüsse für die Lehre weg. Der Hochschulwettbewerb soll damit eher einem freien Markt gleichen, bei dem die Unis darauf angewiesen sind, viele Studenten zuzulassen, um sich überhaupt finanzieren zu können. Mithilfe des für nahezu jedermann zugänglichen Kreditsystems soll so jeder, der will ein Studium aufnehmen können.

jetzt.de: Können Sie denn nachvollziehen, dass die Studenten protestieren?
Dominic Orr: Ja, das kann ich verstehen. Gerade jetzt ist ja noch ein Zeitfenster vorhanden, um zu demonstrieren: Ein paar Zugeständnisse werden so vielleicht noch von der Regierung erwirkt werden. Zum Beispiel werden voraussichtlich Teilzeitstudenten von den hohen Gebühren ausgenommen werden. Eventuell sollen auch Studenten aus besonders bildungsfernen Schichten im ersten Studienjahr ein Stipendium bekommen. Aber gerade die Tatsache, dass die Liberalen noch in den Wahlkampf gegangen sind mit der Forderung, die Studiengebühren komplett abzuschaffen und jetzt sowas machen - das nagt natürlich an der Glaubwürdigkeit der Regierung.


Die wohl prominentesten Opfer der Auseinandersetzungen: Prinz Charles und Ehefrau Camilla in ihrer Limousine.

jetzt.de: Stellen wir uns einmal vor, das Gleiche würde in Deutschland passieren. Die Gebühren würden von einem auf den anderen Tag verdreifacht, also auf 3000 Euro im Jahr. Halten Sie das für wahrscheinlich?
Dominic Orr: In Deutschland sieht man das mit den Studiengebühren ja sehr viel weniger systematisch als in England. Nicht einmal jedes Bundesland hat Studiengebühren und wenn doch, dann kann man sie auch wieder abschaffen, siehe Hessen oder NRW. Das Kreditsystem hat sich hier auch weniger durchgesetzt, da man ja woanders hingehen kann, wenn man nicht zahlen will. Zudem bekommt in Deutschland nur ein Viertel der Studierenden BaföG, das ist viel weniger als in England. Eine Erhöhung der Studiengebühren in nächster Zeit würde somit eine viel zu kontroverse Diskussion auslösen, das kann ich mir nicht vorstellen.

jetzt.de: Was ändert sich für mich als deutscher Student, wenn ich nun in England studieren möchte?
Dominic Orr: Für Erasmus-Studenten ändert sich nichts, schließlich ist man bei diesen Abkommen ja von Studiengebühren befreit. Ohne entsprechendes Abkommen muss man wohl aber zukünftig mit der Universität verhandeln, wie hoch die zu zahlenden Sätze sind. Wer hingegen direkt nach dem Abi komplett in England studieren möchte, für den wird es teurer. Denn Ausländer werden in diesem Fall genau so wie Einheimische behandelt.

jetzt.de: Und was ist mit den englischen Studenten, die nun kein hohes Darlehen aufnehmen möchten?
Dominic Orr: Natürlich gibt es auch in England Stipendien, die einen von den Studiengebühren befreien. Tatsächlich glaube ich aber, dass ein Großteil der Studenten auch die höheren Gebühren zahlen wird. Nur eine besondere kleine Gruppe wird sich durch diese Erhöhung überlegen, im europäischen Ausland studieren. Obwohl - wenn durch die Gebührenerhöhung die Engländer endlich mal mobiler werden würden -  dann wäre das ja auch ein positiver Effekt.

Text: charlotte-haunhorst - Bilder: afp, ap

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