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Wenn ich an der Macht wäre: Eine andere Familienpolitik

Text: apollyon
So, jetzt will ich meine Meinung zu einem Thema loswerden, mit dem ich gar keine Erfahrung habe: Familienpolitik in Deutschland. Ich habe keine Kinder, ich plane keine zu haben, und eigentlich könnte es mir total schnurzpiep sein. Aber man kommt nicht drumrum, sich darüber Gedanken zu machen, und manchmal will ich diese der Welt mitteilen.

Familienpolitik hat in Deutschland viele Facetten. Es gibt Ehegattensplitting, damit Leute animiert werden, zu heiraten und am besten den einen Partner zu Hause zu lassen. Ab 2013 gibt es die Betreuungsgeld (sog. Herdprämie), die das Konzept dann mit Kids nochmals mit Steuergeldern belohnt. Es gibt Kindergeld, je mehr Kinder, desto mehr pro Kind, und es gibt alternativ Kinderfreibeträge. Erhöhung der Sozialtransfers (lies: Hartz IV) für Kinder. Daneben gibt es Zulagen für einige Sachen wie Riesterrente. Insgesamt also einen Haufen Bares Geld für Eltern. Es profitieren besonders: Eltern nach dem klassischen Modell -- Mann verdient viel Kohle, Frau bleibt zuhause -- mehrfach durch Steuerbegünstigungen und Herdprämie; Eltern mit vielen Kindern, die nicht arbeiten -- der Lohnabstand zur arbeitenden unqualifizierten Bevölkerung ist sehr gering; Eltern aus "intakten Familien", d.h. schön beide verheiratet und zusammenlebend. Es verlieren: Alleinerziehende Mütter, die arbeiten gehen. Sie bekommen kein Splitting, keine Freibeträge, keine Hartz IV-Erhöhung, haben kein Geld, um sich die Riester-Rente zu leisten.
Daneben hat dieses System den Nachteil, dass es Frauen fördert, aus dem Beruf auszusteigen, macht aber den Berufswiedereinstieg extrem schwierig. Die lange Betreuung der Kinder durch die Eltern fördert außerdem Disintegration: Kinder bleiben im sozialen Umfeld ihrer Eltern (Unterschicht bei Unterschicht, Oberschicht bei Oberschicht), und im Kulturkreis ihrer Eltern. Dann wundern sich alle, dass Kinder von Ausländern bei der Einschulung kein Deutsch können, weil sie bisher nur unter Ausländern aufgewachsen sind. Wie erstaunlich!

Wenn ich an der Macht wäre und einfach so über die Grundlagen der Familienförderung entscheiden könnte, dann gäbe es drei Prinzipien: Betreuung, Betreuung und als letztes Betreuung.
Es muss doch überhaupt nicht darum gehen, möglichst viel Geld über die Eltern zu streuen. Es muss darum gehen, beiden Eltern die Chance zu geben, trotz Kindern ihren Beruf in vollem Maße nachzugehen, ohne dass sie einen finanziellen Verlust dadurch haben, weil sie die Betreuung aus eigener Tasche zahlen müssen. Oder 500 Euro pro Monat für den Kindergarten ausgeben.
Das heißt: Staatlich geförderte, flächendeckende Kinderkrippen, kostenlose Kindergärten, kostenlose Verpflegung, Ganztagsschulen. "Aber wie soll das bezahlt werden"? Nimmt man das Geld aus den ganzen oben aufgeführten Geld-Verstreungsmaßnahmen, um es in Betreuungsangebote zu stecken, kann man sehr viel abdecken. D.h. als erstes Ehesplitting abschaffen, aber auch bei den anderen Geldverteilungen sinnvoll reduzieren. Es ist viel sinnvoller, Kinder aller Schichten unabhängig vom Heiratsstatus der Eltern den ganzen Tag über zu betreuen und verpflegen, als einem großverdienenden Mann die Steuern zu verringern, weil er gerade ein Modell geheiratet hat.
Nebeneffekte durch die Betreuung: mehr soziale Gerechtigkeit, weil weniger Geld durch Steuereinsparungen (an denen nur die Oberschicht teilhaben kann) verteilt wird; Frauen können wieder ihren Beruf ausüben, ohne sich zu zerreissen; dadurch würde auch die berufliche Gerechtigkeit zunehmen, weil Frauen als vollständige Arbeitskräfte angesehen würden; insgesamt eine Entlastung der Frauen; es findet durch die Durchmischung eine frühe Integration statt; der Staat kann Erziehungsaufgaben wahrnehmen und gucken, dass sich die Kids gut integrieren und kann bei Problemfällen früher aktiv werden. Da kann man so viel machen: Begabtenförderung für besonders Begabte, Aufteilung nach Fächern, Sportförderung, Deutsch-Nachhilfekurse, gemeinsame Unternehmungen. Das ganze Thema "und die Kids hocken die ganze Zeit vor der Kiste" (wahlweise Playstation, PC oder Computer) wäre vom Tisch, weil die Kids betreut wären. Und die Eltern machen durch Kinderkrippe und Kindergarten auch früh andere Bekanntschaften -- Eltern können bestätigen, dass sie über ihre Kinder ihren Bekanntenkreis erweitern.

In anderen Ländern gibt es solcher Betreuungsangebote. Prominentestes Beispiel ist Frankreich, wo die Vorschule verpflichtend ist. Aber auch in Skandinavien ist diese Kinderbetreuung längst realisiert.
Nur in Deutschland hinken wir hinterher. Die Lösung gibt es. Ist sie realisierbar? Leider nicht.

Das liegt an mehreren Gründen: Einerseits ist es unmöglich, die geschaffenen Geldverteilungsmechanismen abzuschaffen. Jeder, der sich an das Ehegattensplitting wagt, wird politisch gekreuzigt. Da die Oberschicht am meisten von den Steuererleichterungen profitiert, kann sie durch ihre Lobbies die Hebel am besten in den Griff setzen, um eine Änderung zu verhindern. Ohne die Reduzierung dieser Mechanismen ist das Betreuungsangebot nicht finanzierbar. Daneben blockiert unser Föderalismus die notwendigen Reformen -- die Betreuung wäre Aufgabe der ewig klammen Länder und Kommunen, das Geld würde aber dem Bund zufließen. Einigung kann in Deutschland nie klappen.
Daneben gibt es in Deutschland leider noch einen stark konservativen Block, der gar nichts von diesem Betreuungsmodell hält und es bekämpfen wird. Die CSU ist dabei besonders rückständig. Die immer noch sehr mächtige Kirche unterstützt diese Haltung.
Und so wird in Deutschland auch weiterhin viel Geld für eine Familienpolitik ausgegeben, die nur das Status Quo aus der Vergangenheit unterstützt, anstatt wirklich für faire Verhältnisse zu sorgen.

Fairerweise muss ich sagen, dass ich im politischen Bereich von Frau von der Leyen einigermaßen beeindruckt bin, weil sie es -- unabhängig von dem Toohoowaboohoo über ihre Person -- geschafft hat, Geld für die Förderung von Krippenplätzen loszueiern. Das gegen große Widerstände in ihrer eigenen Partei. Nun arbeitet sie an Möglichkeiten, dass die Sozialtransfers für Kinder auch wirklich Kindern zugute kommen. Das Konzept ist noch nicht perfekt, aber es sind inhaltliche Positionen, die die verkümmerte Familienpolitik einer insgesamt erfolglosen Regierung in meinen Augen stark aufwertet.

Aber schafft es das allein den Durchbruch in einem erstarrten System? Wohl kaum. Hach, wenn ich Kanzler wäre...

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