Süddeutsche Zeitung

Unsere Kernprodukte

Im Fokus

Partnerangebote

Möchten Sie in unseren Produkten und Services Anzeigen inserieren oder verwalten?

Anzeige inserieren

Möchten Sie unsere Texte nach­drucken, ver­vielfältigen oder öffent­lich zugänglich machen?

Nutzungsrechte erwerben
Aus der ehemaligen jetzt-Community: Du liest einen Nutzertext aus unserem Archiv.

Integration reloaded oder: Sarrazin und Mesut im Affenkäfig

Text: Bigsmooth
„Check check!“ rief Mehmet über den halben Platz, ich verstand zunächst nicht, doch seine Körpersprache wies mich an, ihm den Ball zuzuspielen, schließlich stand er in aussichtsreicher Position frei, bereit, das lang ersehnte Tor zu machen. Doch es war schon zu spät. Ehe ich den Pass spielen konnte, wurde mir im letzten Moment der Ball vom Fuß geklaut, „Mehmet, versteh ich dich richtig, check heißt soviel wie `Pass` ?!“-„Ja“ - „gut, dass nächste Mal bin ich schneller“ und Mehmet nickte nachsichtig.



Glückliche Zeiten waren das, denn Fußball war unser Leben: Den Playmobilfiguren waren wir bereits entwachsen und die Mädchen übten auf uns noch keine Anziehungskraft aus- was wohl auf Gegenseitigkeit beruhte. Es genügte uns ein Ball und wenn dieser „drin“ war, dann war das einfach Spaß und niemand dachte daran, diesen Umstand a la Bumm- Bumm- Becker sexistisch zu ironisieren. Kinder eben. Wir hatten zu dieser Zeit unseren eigenen özilschen „Affenkäfig“, ein Bolzplatz wie es ihn wohl tausendfach in Deutschland gibt, und Mesut wäre auch bei uns willkommen gewesen, denn fähige Spieler waren natürlich immer gefragt, egal woher sie stammten. Wir schreiben das Jahr 1986, die Weltmeisterschaft in Mexiko war uns damals so nah und unsere Nationalmannschaft noch weit davon entfernt, eine „Multi- Kulti- Truppe“ zu sein.



Heute, wenn ich –selten genug- bei meinen Eltern zu einem gemütlich-bayerischem Abendessen einkehre, schlendere ich noch ab und zu an diesem Affenkäfig vorbei bzw. was davon übrig ist, denn der städtische Wohnungsbau hat auch vor diesem nicht halt gemacht. Es versteht sich, dass dann eine sentimentale Note in mir angeschlagen wird: tiefes Durchatmen, entrückte Mimik, „und so vergeht der Ruhm der Welt…“ möchte ich meinen, aber gut, „Lebbe` geht weider“ würde Stepanovic mich belehren, Dragoslav Stepanovic, kurz „Stepi“, an sich Frankfurter Kneipier und einstmals Bundesliga-Trainer der dortigen Eintracht. Eine Geschichte, wie nur das Leben sie schreiben kann…



Die Eintracht….es war diese Eintracht, die ich mitnahm auf meinem Lebensweg und die Einsicht, dass in diesen Kindertagen der Begriff „Kultur“ für uns nur eine Nebenrolle spielte.



Da gab es unser Maskottchen Servet, Mehmets kleinen Bruder, in schöner Regelmäßigkeit wurde ihm einmal jährlich der Kopf geschoren und nicht immer stand er mit auf dem Platz, statt dessen musste er die Koranschule besuchen. Wir verstanden das zwar nicht, „einmal Schule reicht doch“ aber was machte das schon, für uns war er einfach nur die „Serviette“, ja, Kinder können grausam sein, aber wir liebten den Kleinen und niemand wollte ihn missen.

Oder Valentin, ein Rom, sein großer Cousin war mal zu Besuch, 14 Jahre alt, er wurde gerade verheiratet, eigenartig, dachten wir, „geht das überhaupt?“ - „Andere Länder andere Sitten“ antwortete mir mein Vater und zuckte nur mit den Achseln. Viele Jahre später traf ich ihn wieder, Valentin der Gebrauchtwagen-Händler nun, und beide mussten wir grinsen und uns umarmen.

Nur einmal, ich befand mich nunmehr selbst nach Roma- Maßstäben im heiratsfähigen Alter, spielte ein junger Mann namens Charles aus Schwarzafrika bei uns mit, sein „Zuhause“ befand sich im Asylantenheim nicht weit von unserer Straße entfernt. Als ich ihn aus Neugier besuchen wollte, wurde ich von einem riesenhaften, ausschließlich englischsprachigen Wächter an der Pforte aufgehalten. Was ich hier denn wolle fuhr er mich scharf an und mit meinem Radebrech-Englisch antwortete ich ihm, ich wolle nur meinen Freund zu unserem Affenkäfig einladen, „for playing football äh soccer“ stammelte ich ängstlich, die aschgrauen Container, die trostlosen Flure, damals wie heute kam mir das so falsch vor. Ich sollte ihn, übrigens ein begnadeter Dribbler, nie mehr wieder sehen…



So schöne Erinnerungen, doch nun ist das Spiel vorbei und die Welt der Erwachsenen fordert ihren Tribut. Zwietracht scheint Trumpf zu sein im „Clash of Civilizations“, wie es Huntington einstmals viel zu sehr beachtet proklamierte und sein gelehriger Schüler Sarrazin nun stets wiederholt. Manchmal frage ich mich, was diese rastlosen Geister nur antreibt. Vielleicht, sinniere ich, gab es einfach keinen Affenkäfig in ihren Bezirken, vielleicht wurde ihnen einfach nie der Ball zugespielt. Ach hätte man es doch nur getan, soviel Unfug bliebe uns erspart….denn es gilt das Podolski- Axiom: „Doppelpass alleine?! Geht nicht!“ Stepi würde angesichts dieser unumstößlichen Weisheit beifällig nicken und Mehmet, unser Knipser, ich vermute, er würde auch heute noch bereitstehen, um das Anspiel gewinnbringend zu verwerten…Mesut mit Sicherheit!

Mehr lesen — Aktuelles aus der jetzt-Redaktion: