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"Ich will kein Gutmensch sein!"

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Eigentlich sollte Tobias Lorenz gerade an seiner Doktorarbeit über „Social Entreprenneurship“ sitzen. Da der 29-Jährige aber mitten in der Nacht eine ziemlich gute Idee hatte, ist er nun seit Mai diesen Jahres selber ein Sozialunternehmer. Er hat die Online-Sprachschule Glovico gegründet. Eine Abkürzung für „global video conference“. Jetzt.de: Tobias, was genau ist dir da im Traum für ein Geschäftsmodell eingefallen? Tobias: Die Idee einer Fair-Trade Sprachschule. Es macht doch eigentlich total Sinn, Sprachkurse über Skype anzubieten. Jedenfalls liegt es irgendwie auf der Hand, eine Sprache direkt von Muttersprachlern zu lernen und das Internet macht es mit Skype möglich, dass als Sprachlehrer Personen aus Entwicklungsländern eingesetzt werden, die sich auf diese Weise ein passables Einkommen verdienen können. Ich beschäftige mich wissenschaftlich schon sehr lange mit dem Thema Entwicklungshilfe und oft hat mich gestört, dass immer nur überlegt wird, was wir den Menschen in der Dritten Welt beibringen können und nicht, was wir von den Menschen dort lernen können. Ich war zum Beispiel als Backpacker in Guatemala und habe dort Spanisch gelernt.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Tobias Lorenz hat eine Fair-Trade Sprachschule gegründet. Und jetzt vermittelst du Sprachlehrer aus der Schule von damals per Skype an Spanisch-Lernende hier in Deutschland? Wer sich auf unserer Homepage einen Account anlegt und einen Geldbetrag als Guthaben anlegt, kann per Mail einstündige Skype-Konferenzen mit einem unserer Lehrer ausmachen. Momentan unterrichten 13 Lehrer aus Ländern wie Guatemala, Peru, Ghana, dem Senegal oder den Philippinen Spanisch, Französisch oder Englisch. Den Preis für die Stunde Unterricht legen die Lehrer selber fest. Es sind meist zwischen sieben und acht Euro, von denen zwei Euro an Glovico gehen. Wir bezahlen davon die Serverkosten, das Marketing und vor allem die horrenden Geldtransaktionskosten, die Firmen wie Western Union für eine Überweisung nach Afrika oder Südamerika veranschlagen. Wie rekrutiert ihr denn eure Lehrer? Und wie sieht eine Stunde Online-Sprachkurs konkret aus? Unsere Sprachlehrer sind nicht die ärmsten der Armen, sondern gehören zur gehobenen Mittelschicht in dem jeweiligen Entwicklungsland. Meist sind es Studenten, denn Vorraussetzung für eine Tätigkeit bei Glovico ist eine funktionierende Internetverbindung. Die ist an Universitäten meist vorhanden. Klar, es sind keine ausgebildeten Pädagogen, die bei uns unterrichten. Deswegen hilft uns eine passionierte Französischlehrerin aus Hamburg, die jedem neuen Lehrer ein so genanntes „Teacher-Training“ gibt. Eine Unterrichtsstunde beginnt dann oft mit einem Diktat per Skype-Chat, dann folgen ein paar kleine Übungen und die letzte halbe Stunde besteht dann aus freiem Sprechen. Im Idealfall entstehen auf diese Weise auch interkulturelle Freundschaften.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Die Auswahl an Sprachlehrern auf Glovico.org Das Angebot einer „Schnupperstunde“ lässt vermuten, dass viele eurer potentiellen Kunden erstmal skeptisch sind. Schlägt euch denn viel Misstrauen entgegen? Bislang sind zum Glück alle Reaktionen positiv. Trotzdem gibt es natürlich eine gewisse Hemmschwelle bei potentiellen Kunden, die vielleicht die diffuse Angst haben, dass da am anderen Ende der Leitung ein eingeborener Wilder vor der Computerkamera sitzt, der noch nie ein Buch in der Hand gehalten hat. Das ist natürlich Quatsch. Eigentlich ist jeder, der die Schnupperstunde gebucht hat, total zufrieden. Macht Glovico denn derzeit Gewinn? Da wir ein soziales Unternehmen sind, haben wir sowieso nicht vor, Gewinn zu machen. Wir sind eine Firma, die soziale Probleme auf wirtschaftliche Art zu lösen versucht. Man erzielt auf diese Weise Gewinn für die Gesellschaft, aber nicht fürs Unternehmen. Uns ist wichtig, dass sich Glovico eines Tages selber trägt. Momentan arbeiten alle Mitarbeiter, mich eingeschlossen, ehrenamtlich. Für meine Doktorarbeit bekomme ich ein Stipendium der „Hamburger Stiftung für Wirtschaftsethik“. Die haben bestimmt nichts dagegen, wenn ich mit diesem Geld nicht nur meinen wissenschaftlichen Gedankenfluss aufrecht erhalte, sondern auch konkrete Dinge anstoße.

Tobias erklärt, was ein soziales Unternehmen ist. Und woher kam das Startkapital für dein Unternehmen? Ich habe vor Jahren mal einen Essaypreis der Körber-Stiftung gewonnen und die 5000 Euro schlicht gespart. Man hat ja eigentlich immer den Reflex, sofort andere um einen Geldbetrag zu bitten, wenn man etwas auf die Beine stellen will, aber ich fand es ehrlicher und auch einfacher, selber ins Risiko zu gehen. Was müsste denn passieren, damit sich Glovico selber trägt? Wir müssten um die 100 Sprachstunden pro Monat verkaufen. Momentan sind wir bei ungefähr 30. Für Werbung im großen Stil fehlt uns das Geld. Also nutzen wir Facebook und haben mittlerweile auch eine Partnerschaft mit einem Reiseanbieter geschlossen. Ab Herbst versuchen wir, mehr mit Schulen zusammenzuarbeiten. Wir haben das einmal mit einer Skype-Konferenz im Französischunterricht ausprobiert und es hat toll funktioniert. Im Idealfall können solche Videokonferenzen auch ein Augenöffner für junge Leute sein und dazu beitragen, kulturelle Barrieren abzubauen. Viele deutsche Schüler kennen Afrika schließlich nur aus ihrem Schulatlas. Wenn es nicht die Motivation ist, Geld zu verdienen, was treibt dich dann an? Ich bin aufgewachsen als Teil einer Generation, der es eigentlich immer gut ging. Ich finde es fast verwerflich, sich nicht darüber Gedanken zu machen, wie es den restlichen 99 Prozent Weltbevölkerung, die nicht so gute Startbedingungen ins Leben hatte wie wir, besser gehen könnte. Ich bin ein Mensch ohne große materielle Bedürfnisse. Ich will nicht in Armut leben, aber wenn ich jeden Tag zufrieden, gesund und satt mit dem Fahrrad zur Arbeit fahren kann, bin ich glücklich. Wärst du eigentlich beleidigt, wenn man dich als Gutmenschen bezeichnet? Schon ein bisschen. Gutmenschen gelten doch insgeheim als Deppen. Der klassische Gutmensch hat eine utopische Vision vom Weltfrieden, die sich konkret kaum unsetzten lässt. Ich bezeichne mich lieber als sozialer Unternehmer. Als einen Menschen mit einer einzelnen, konkreten, kleinen Idee, die vielleicht dazu beiträgt, die Welt ein bisschen besser zu machen.

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