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Das Ende der Coolness

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Die Castingshows tarnen sich in der schnöden Arbeitswelt für gewöhnlich als sogenannte Assessment Center. Nicht so bei American Apparel, dem Hipster-Ausstatter der Nullerjahre. Wer bunte Hemdchen verkaufen und hier anheuern will, muss seit geraumer Zeit unverblümt ein „Job Casting“ durchlaufen. Das funktioniert so: Der Bewerber stellt sich in eine Schlange mit anderen Anwärtern. Ist er an der Reihe, folgt eine Ganzkörpermusterung. Wer Tattoos und Piercings trägt, hat kaum Chancen auf den Recall. Gleiches gilt für jene, die Schminke und Nagellack tragen. Mädchen mit Kurzhaarfrisuren haben ganz schlechte Karten; und wer als Mod, Hiphopper oder gar Goth kommt, kann gleich wieder nach Hause gehen. Bevor er das tut, werden aber noch von Kopf bis Fuß Fotos von dem Kandidaten gemacht. Sie sind der ausschlaggebende Teil der Bewerbung. Ob jemand einen Job bei American Apparel bekommt, wird erst anhand der Bilder in der Chefetage der Kleiderverkäufer in Los Angeles entschieden. Ein Job im Einzelhandel, vor allem in der Modebranche, ist meist kein Spaß: Man arbeitet für einen geringen Lohn in überfüllten Fußgängerzonen, wo man es mit ignoranten Kunden zu tun hat, die alles von den Ständern fegen und anschließend liegen lassen. Eine Ausnahme schien bislang American Apparel zu sein. Deren Filialen betreten Kunden eher wie einen Szeneclub; und obwohl deren Gründer und Vorstandsvorsitzende der Kette, Dov Charney, hauptsächlich als Sexbesessener in Erscheinung tritt, galt das Label unter Schülern und Studenten als beliebter Arbeitgeber, da überhip und irgendwie ethisch korrekt, weil die Kleidung nicht in asiatischen Sweatshops hergestellt wird, sondern in den USA. Mit einer Anstellung bekam man die Eintrittskarte zu einen Coolheitskosmos. Sie bedeutete den vergünstigten Zugang zu attraktivitätssteigernder Kleidung und Annehmlichkeiten wie Gästelistenplätzen bei Konzerten (sofern die Partymacher im Gegenzug beim nächsten Einkauf Rabatt bekamen). All dies gehörte zur Firmenphilosophie, denn nach Meinung von Dov Charney waren nur glückliche Mitarbeiter gute Mitarbeiter. Die Firma wuchs und wuchs. Inzwischen beschäftigt sie über 10.000 Angestellte in 20 Ländern, aber mit dem lässigen Arbeitsklima von einst scheint es vorbei zu sein. Ob heute jemand seinen Job bei American Apparel gut macht, entscheidet offenbar in erster Linie sein Aussehen. Richtlinien, wie der perfect employee (Firmenjargon) auszusehen hat, gibt es reichlich: Mädchen sollen ihre Augenbrauen wachsen lassen wie Brooke Shields in den 1980ern, steht in einem der „Dov’s Newsletter“ genannten Rundmails, die der Chef an seine Mitarbeiter auf der ganzen Welt schickt. Brillentragen ist demnach während der Arbeit verboten, es sei denn, es handelt sich um ein American Apparel-Modell. Und obwohl die Türen in den Läden ganzjährig offen stehen müssen, so die Order, dürfen Mitarbeiter auch im Winter keine Stiefel und keine Schals tragen. Wer friert, friert eben.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

An die Stelle von sympathischem Chaos und flachen Hierarchien sei ein Diktat der Oberfläche getreten, berichten ehemalige Mitarbeiter. Seit die Umsätze in vielen Städten zurückgegangen sind, zitiert das US-Blog Gawker einen anonymen Manager, ekele American Apparel systematisch „hässliche“ Mitarbeiter hinaus. Die Filialen erhielten die Anweisung, regelmäßig „class pictures“, also Gruppenfotos des Personals in die Konzernzentrale einzuschicken. Dov Charney persönlich begutachte in Los Angeles die Bilder. Wer seiner Meinung nach zu unattraktiv sei, dem werde gekündigt. Natürlich dementierte Charney den Bericht. Viele Angestellte aber bestätigen, was der Manager erzählt. „Das einzige, was sie interessiert, ist die Frage: Wie siehst du aus?“, sagt eine 25-jährige Mitarbeiterin, die drei Jahre neben ihrem Studium in einer deutschen American Apparel-Filiale gearbeitet hat. Sie hat vor Kurzem aus eigenen Stücken gekündigt, „aus Frust“, und möchte ihren Namen lieber nicht in der Zeitung lesen. Die Firma versuche verzweifelt, den Verkauf anzukurbeln, seitdem der Hype der letzten Jahre verflogen ist. Immer penibler werde die Belegschaft daraufhin geprüft, ob sie optisch ins Konzept passe. Abmahnungen gebe es inzwischen schon wegen Kleinigkeiten, der psychologische Druck auf die Angestellten wachse. Dabei ist ein großer Teil des Erfolges von American Apparel dem Versprechen geschuldet, alle Mitarbeiter besser zu behandeln als es die meisten Konkurrenten in der Textilbranche tun. Die Ansagen lauteten: Keine Sweatshops, 13 Dollar Stundenlohn für die Näher, dazu Krankenversicherung, subventionierte Mittagessen und Gratismassagen. „American Apparel is an industrial revolution“, schrieb sich das Label auf die Fahne. Die Bösen waren die anderen. Journalisten wurden nicht müde, die Parole „hippe Klamotten mit sozialer Mission“ nachzubeten. Bis heute hält sich in manchen Artikeln die Mär, American Apparel sei ein Ökolabel, obwohl das Unternehmen bis auf eine kleine „Organic Cotton“-Linie keinerlei Angaben zur Herkunft seiner Baumwolle macht. Wo und unter welchen Bedingungen die Stoffe gewebt werden, verschweigt die Firma. Ob man inzwischen Aktien im Wert von 25 Millionen Dollar an die Mitarbeiter verteilt hat, wie 2008 angekündigt? Auch dazu gibt es keinen Kommentar. Die Sprecherin von American Apparel Deutschland sagt, sie dürfe ohne Absprache mit der amerikanischen Zentrale zu keinem Thema Auskunft geben, verspricht aber, die Fragen weiterzuleiten. Ohne weiteres Ergebnis. Mit der Großzügigkeit ist es außerhalb von Los Angeles anscheinend ohnehin nie weit her gewesen. In den USA verdienen Verkäufer neun Dollar die Stunde, wenig mehr als der gesetzliche Mindestlohn in vielen Bundesstaaten. 8,50 Euro zahlt American Apparel in Deutschland, ähnlich viel wie die Konkurrenten von H&M und ZARA, aber doch ziemlich wenig für eine Firma, die so stolz ist auf ihre sozialen Standards. Der Unmut über die Beschäftigungspraxis formiert sich in Internetforen und auf Blogs, wo Erfahrungsberichte und Kündigungsschreiben ehemaliger Angestellter kursieren. Die Mitarbeiter im Verkauf seien unterbezahlt und überarbeitet, lautet die gängige Erfahrung. „American Apparel hat die Ausbeutung von den Fabrikarbeitern zu den Filialangestellten verlagert“, schreibt ein Ex-Mitarbeiter. Die Firma sei mittlerweile skrupellos wie jede andere: „It’s just another corporate machine now.“ Schatten auf die so gelobten Arbeitsbedingungen wirft außerdem die Dokumentation No Sweat, gerade auf DVD erschienen. Die Filmemacherin Amie Williams begleitete die Fabrikarbeiter jahrelang. Dov Charney zeichnet sie als unverfrorenen und cholerischen Gewerkschaftsgegner, der damit droht, die Fabrik zu schließen, sollten sich die Arbeitnehmer tatsächlich organisieren. Laut der Gewerkschaft Unitehere wies 2003 Charney seine Manager an, Angestellte über ihr Engagement in Arbeiterverbänden auszufragen und arrangierte „spontane“ Anti-Gewerkschafts-Demos auf dem Firmengelände. Kritik wurde auch an der Kampagne „Legalize LA“ lait, mit der American Apparel gegen die scharfen Einwanderungsgesetze in den USA protestieren wollte. Offenbar nahmen die Behörden die Kampagne zum Anlass für eine Razzia. Dov Charney musste schließlich 1800 Arbeiter auf die Straße setzen – die meisten von ihnen Mexikaner ohne Papiere. Das hätte nicht passieren müssen, sagen viele, hätte Charney sie geschützt und ihnen zu einem legalen Status verholfen, anstatt lediglich lauten Aktionismus zu betreiben. Dass er es mit seiner eigenen Firmenphilosophie nicht so genau nimmt, daraus macht Charney eigentlich gar keinen Hehl. Das Thema „Sweatshop free“ beginne ihn zu langweilen, sagte er in einem Interview. Das Unternehmen verzichtet inzwischen darauf, mit dem Claim zu werben. Auch von der Marketingstrategie, ausschließlich „echte“ Menschen in Werbekampagnen zu zeigen, ist nun keine Rede mehr: In neuen Anzeigen mussten die naturbelassenen Amateurmodels, meist Angestellte oder Kundinnen, perfekt gebauten Profischönheiten weichen. Ist American Apparel zu groß geworden, um sich noch an den eigenen Standards zu messen? Wie die Antwort auch lautet – gerade die eigenen Mitarbeiter laufen dem Laden jetzt davon; jene Early Adopters, von denen sein Image bislang zehrte. Damit könnte dem Label, das behauptete, anders als alle anderen zu sein, ein Schicksal ereilen, das im Tagesgeschäft der Mode nur allzu üblich ist: Nämlich schon bald so was von gestern zu sein.

Text: xifan-yang - Illustration: Katharina Bitzl

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