Süddeutsche Zeitung

Unsere Kernprodukte

Im Fokus

Partnerangebote

Möchten Sie in unseren Produkten und Services Anzeigen inserieren oder verwalten?

Anzeige inserieren

Möchten Sie unsere Texte nach­drucken, ver­vielfältigen oder öffent­lich zugänglich machen?

Nutzungsrechte erwerben

Die sind immer da

Teile diesen Beitrag mit Anderen:

Der junge Glaubensfreak

Er stellt das Stammpersonal aller Kirchentage dar, schließlich erfüllt er die wichtigsten Voraussetzung: Ist schnell zu begeistern, kann laute Geräusche machen und schläft ohne Murren wochenlang auf Isomatten. Tagsüber tritt er in lockeren Gruppen auf, lagert sich an Brunnen und auf Grünflächen und wohnt den Veranstaltungen des Kirchentags in professionell unorthodoxer Haltung bei – mit nacktem Oberkörper oder angemalt, mit Trommeln oder auf Stelzen. Fotografen suchen diese Jugendabteilung des Kirchentags als bevorzugte Fotobeweise dafür, dass es friedlich und fröhlich zugeht, denn tatsächlich sind das die beiden herausragenden Eigenschaften dieses Publikums. Unerschütterlich in ihrem Glauben an das Gute, die Ökumene und freie Haarkultur sind sie gewissermaßen der Klebstoff eines jeden guten Kirchentags, sie verkitten alle Anwesenden zu einer Kette der Aufrichtigen, verteilen Zettel oder sorgen mit kontrolliert ausgeflippten Aktionen für Schwung. An- und Abreise geschieht in mehrtägigen Zugfahrten mit Gruppenticket, da die christlichen Strolche meist aus den abwegigsten Landregionen kommen. Deswegen sieht man sie auch oft fern jedes Kirchentages auf Bahngleisen kauernd oder unter der Gitarre schlafend. Im Laufe eines ganzen Kirchentages, wird die Gruppe der jungen Glaubensfreaks immer größer, denn das Kennenlernen von neuen Menschen gehört zu ihren allerliebsten Zeitvertreiben – wie sie auch in jedem Interview betonen. So gesehen sind sie die fleißigsten Missionare, die sich die Kirche wünschen kann. Aber alles ganz easy, natürlich. Der asketische Familienvater

Sieht immer aus wie man sich den perfekten Jugendherbergsvater vorstellt: Welterfahren und hager, mit Kassenbrille und einem modischen Erscheinungsbild, das mit „Anziehsachen“ absolut ausreichend beschrieben ist. Gerne auch eine nützliche Weste! Meist ist er Anführer und Erzeuger einer ergebenen Kleingruppe von Menschen, die von ihm über den Kirchentag geschleift wird, denen er die Stichworte zum gemeinsamen Gebet gibt und für die er als Vorsinger agiert. Dabei hat er sich durchaus jugendliche Wendigkeit und eine Theodor-Heuss-artige Fröhlichkeit erhalten, die ihn unermüdlich mitklatschen oder eigene Texte vortragen lässt. Seine Unterkunft ist eine Pension oder noch lieber jene Privatbetten, die in einheimischen Familien zur Verfügung gestellt werden. Dort werden dann gerne über einem kargen Knäckebrot/Käsescheibe-Frühstück Freundschaften fürs Leben geknüpft, die durchaus auch in gemeinsamen Jakobswegwanderungen enden können. In seiner Heimat ist der asketische Familienvater eines von jenen hochangesehen Mitgliedern der Kirchengemeinde, die regelmäßig mit mächtigem Bass die Fürbitten verlesen oder schon vorab eine Meinung über den neuen Pfarrer haben. Die wackere Kirchentagstouristin

Im Gegensatz zum Asketen rückt bei ihr die genußorientierte Auslegung des Kirchentages im Vordergrund. Bei den großen Veranstaltungen steht sie am hinteren Rand und schwenkt vergnügt ein Fähnchen, solange bis sie mit ihren Freundinnen in ein Café oder aber die Paul-Klee-Ausstellung abdampft, weil sie einfach nicht mehr so lange stehen kann. Wichtigstes Utensilien dieser rüstigen Damen sind ihre sehr kleinen Rucksäcke, bequeme Schuhe und bunte Kleidung. Gerne kommt auch noch eine aufgeweckte Brille dazu. Ihre Beziehung zur Religion ist ein eher unernstes Geöffnetsein für alle freundlichen Spielarten des Spirituellen. Die traditionelle Kirche wird von ihr auch unbedingt mit kritischen Anmerkungen versehen. In dem kleinen Rucksack sind eine halbe Flasche Apfelschorle und die Biografie von Margot Käßmann. Später am Tag werden die müden Füße keck in einem Brunnen gekühlt und damit ist die ultimative Pralinenstimmung auch schon erreicht. Die wackere Kirchentagstouristin genießt das bunte Treiben ringsum und übersieht dabei, dass genau sie und ihre 1000 Artgenossinnen es sind, die das Treiben eigentlich ausmachen. Übernachtet wird bei einer entfernten Bekannten oder bei einem ihrer zufällig hier studierenden Kinder, die sie am nächsten Tag noch zum Besuch der Podiumsdiskussion mit Jürgen Fliege zu überreden versucht. Denn in den ist die Kirchentagstouristin heimlich verknallt. Der politische Gast

Als professioneller Veranstaltungsbesucher und Podiumsbesetzer, versucht er anlässlich eines Kirchentages seiner Routine mal ein besonders menschelndes Antlitz zu geben. Schließlich ist hier ausnahmsweise Gott der Stargast und nicht er. Das maßgeschneiderte Büßerhemd ist deswegen ganz brüderlich aufgekrempelt. Die Erinnerung an die Ministrantenzeit gibt dann eine probate Einleitung für die folgende Rede ab, in der viel von Dingen die Rede ist, für die sonst leiderleider zu wenig Zeit bleibt. Diese kleinen Dinge. Außerdem wird die Gemeinschaft der Menschen, die Kühle des Wiesengrunds und Rückkehr zu Einfachheit und Besinnung mehrfach erwähnt, was sowohl den Asketen (Einfachheit), den jungen Glaubensfreak (Gemeinschaft!) und die Kirchentagstouristin (Wiesengrund!) direkt anspricht. Am Ende folgt dann immer die ganz persönliche Lieblingsbibelstelle aus dem Brief des Paulus an die Galateer verbunden mit der dringenden Empfehlung ans Publikum, den Kirchentag zu genießen. Dann zieht es den politischen Gast schnell zurück in den Fond seiner Limousine, wo der Assistent nicht nur mit trostspendender Krawatte wartet sondern auch mit der Versicherung, dass der nächste Besuch des Dalai Lamas erst in zwei Monaten zu erwarten ist. Da ist dann die menschelnde Rede von eben durchaus schon wieder verwendbar.

Text: max-scharnigg - Illustration: katharina-bitzl

  • teilen
  • schließen