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Die Qual der Wahl

Text: BenUtzBar










"Es kann doch nicht so schwer sein!"

"Du musst dir jetzt einen Beruf suchen und aufhören zu träumen!"

"Man kann seine Berufung nicht finden, aus einem Beruf selbst wächst die Berufung."



Diese Sätze, in abgewandelter Form, musste ich mir jetzt schon über 1 Stunde lang von meinem Vater anhören.

Er hat mich eingeladen, in seine Lieblingsbar, nur um mich zu belehren und enttäuscht seinen Kopf zu schütteln.

Nun sitzt er endlich stumm neben mir und dreht seinen Bierdeckel auf dem alten Holztisch.

In seinem Gesicht sehe ich ungestellte Fragen, Verzweiflung und auch ein wenig Wut.

Er könnte ruhig laut denken, denn ich kenne seine Gedanken und kann sie sogar nachvollziehen.

Mein Vater ist ein Mann der arbeitet um Geld zu verdienen, um seine Kinder zu versorgen.

Als junger Mensch irgendwann die Zeit gefunden zu haben, sich selbst nach seiner Berufung zu fragen, daran kann er sich, nach 30 Jahren monotonem Büroalltag, wahrlich nicht mehr erinnern.

Vielleicht gab es so eine Zeit bei ihm auch schlicht und einfach nie.



Ich habe sie, dank ihm.

"Ich will einmal das mein Kind alles werden kann was es gern möchte."

Worte meines Vaters kurz nach meiner Geburt, auf einem alten flimmernden Videoband festgehalten.

Mein Vater sah damals frischer und auch ein bisschen naiver aus als heute.

Eigentlich sah er genauso aus wie ich jetzt.

Jung, naiv und voller Energie und Kraft.

Aber er wirkt befreit, hat scheinbar endlich einen Grund gefunden warum er nun erwachsen werden sollte, mich.

Von diesem Tag an arbeitete mein Vater nur für meine Zukunft, und vier Jahre später dann auch noch für die meiner Schwester.

Und er hat seine Ziel erreicht. Er hat uns alles ermöglicht.

Und nun stehe ich hier vor diesem "alles" und soll mir, wie aus einem riesigen Süßigkeitenregal eine Sache raussuchen.

Für ihn ist es garantiert ein riesiges Süßigkeitenregal für mich steckt hinter jeder Süßigkeit eine Fessel.

Eine Fessel die, egal welche ich nehme, mich immer daran erinnern wird, was ich alles hätte anderes, schöneres, besseres erleben können, hätte ich doch eine andere vermeintliche Süßigkeit gewählt.

Also suche ich nach der einen perfekten Süßigkeit, hinter der eben keine Fessel lauert, oder zumindest eine mit der ich leben könnte, eine die mir nicht die Hände zerquetscht und die mir immer schmeckt.

Doch mein Vater will oder kann diese Suche nicht nachvollziehen.

Er sieht nur mich, regungslos vor dem Regal stehen.

Das dies ein Luxusproblem aller höchster Ordnung ist, leuchtet mir schon ein, allerdings bleibt es trotzdem ein Problem, mein Problem.

"Ich will mein Leben mit etwas füllen was mich begeistert. Ich will nicht nur arbeiten um Geld zu verdienen."

Ich weiß das dieser Satz das Fass voller nachdenklicher Stille zum überlaufen bringt.

Meinem Vater fällt augenblicklich der Bierdeckel auf den Boden.

Er richtet sich auf, zieht seinen Mantel über den Anzug, klemmt der Kellnerin ein großzügiges Trinkgeld unter das Bierglas und verschwindet aus der Bar, nicht ohne mir ein, in Klischee geschwenktes, "Du bist wie deine Mutter" dazulassen.

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