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// Er und ich

Text: Mein_Jetzt_Name
Das wird traurig enden.

Ich erinnere mich noch genau wie ich am Küchenfenster stand, auf eine menschenleere Straße schaute und darauf wartete ein Taxi vorfahren zu sehen.

Herzklopfen und düstere Gedanken.

Ich habe, am Küchenfenster stehend, nicht gewusst wie der folgende Abend verlaufen wird. Da war nur ein ungutes Gefühl und diese leise Stimme in meinem Kopf, die mir „Das wird traurig enden.“ zuflüsterte.

Als ich ihn das erste Mal sah, es ist ungefähr zehn Jahre her, spielte er Klavier. Die Haare wirr und schwarz, das Hemd mal wieder viel zu weit aufgeknöpft. Ich war kurz zuvor achtzehn geworden, trug stolz mein Piercing zur Schau, hatte mich gerade, wider des guten Rats meiner Mama, tätowieren lassen, war aber im Grunde ein total verunsichertes kleines Mädchen. Obwohl ich genau wußte, dass ich mich schon mager gehungert hatte, hungerte ich weiter. Ein Bier reichte aus um mich volltrunken werden zu lassen, aber das passte mir ganz gut. Alkohol hatte mir eh zu viele Kalorien.

Ich saß also, damals, direkt vor der Bühne, so nah bei diesem selbstsicheren Mann, der mir sowohl angenehm als auch unangenehm war. Dieses Phänomen hat sich bis heute gehalten, und ich kann es mir noch immer nicht erklären. Seine Musik, chaotisch und harmonisch. Seine Art mit dem Publikum zu sprechen, zu exzentrisch und doch wunderbar. Ich habe mir danach sehr viele seiner Konzerte angesehnen, immer in der ersten Reihe sitzend, weil man bei dieser Art von Veranstaltung einfach zu sitzen hatte. Meine liebste Freundin und ich können noch heute alle seine Lieder auswendig. Wir sangen sie in jeglichen Situationen, besonders gerne aber, wenn wir betrunken von irgendeiner Party nach Hause torkelten. Ich besitze noch immer ein Poster und eine signierte CD. Ja, in meinem kleinen Kosmos war er ein Star, den ich aus der Ferne angehimmelt habe. Als ich nach Hamburg auswanderte, hörte ich von seinem Umzug nach Berlin. Als ich versuchte etwas Gemütlichkeit in meine acht-Quadratmeter-Studentenwohnheim-Zelle zu bekommen, hatte er gerade ein Kind gezeugt. Auf abstruse Weise erfuhr ich immer wieder welches musikalische Projekt gerade fehlgeschlagen, welche Frau in sein Leben getreten - und welche Liebschaft wieder gescheitert war. Ich wusste einiges über ihn, war ihm allerdings in den ganzen Jahren vollkommen fremd. Heute sagt er zwar, dass auch er mich damals bemerkt habe, aber ich glaube ihm nicht. Er war der, den ich so sehr wollte, aber den ich niemals auch nur angesprochen hätte. Ich erinnere mich an viele Situationen, in denen er mir auf subtile Art nah war. Ich sehe ihn vor mir, wie er seinen Weg zur Bar sucht, sich an mir vorbei schiebt, wahrhaft zufällig meinen Arm berührt, in eine andere Richtung schaut.

Herzklopfen und düstere Gedanken.

Als ich ihm ungefähr zehn Jahre später eine Mail schrieb, war ich zu betrunken um die richtigen Tasten zu finden. Betrunken und nervös zugleich tippte ich eine schmalzige Nachricht, die voller Fehler war und der bloße Gedanke an sie lässt mich erröten. Ich schrieb zwar blödsinniges Zeug, aber er antwortete, immer wieder, später.

„Liebe N., ich möchte deine Stimme hören.“

„Liebe N., ich werde am Wochenende in Hamburg sein und möchte mich gerne mit dir treffen.

„Liebe N., du frierst doch so schnell. Ich schlage also vor, dass du mich nicht vom Bahnhof abholst...“

Und deswegen stand ich dort, am Fenster, und wartete darauf ein Taxi vorfahren zu sehen. Vom Fenster zum Flurspiegel und wieder zurück. Ich hatte in der vergangenen Nacht keine einzige Minute geschlafen. Ich sah schrecklich aus. Später werde ich lachen. Später, wenn dieser Abend Vergangenheit ist, werde ich darüber lachen, dachte ich. Ich stellte mir einen gemütlichen Abend mit Rotwein, gutem Gespräch und einem Auseinandergehen vor Mitternacht vor. Ich phantasierte gleichzeitig von wildem Knutschen und noch wilderem Sex. Die schlimmste Vorstellung war, dass wir uns einfach nicht verstehen würden – und unser Kontakt, in der Realität, ein bitteres Ende finden würde. Es gab so viele Möglichkeiten und ich hatte das Gefühl gar keinen Einfluss darauf zu nehmen. Wie eine Statistin in meinem eigenen Leben stand ich dort und wartete. Wie losgelöst von meinem Körper sah ich, wie ein gelbes Auto vorfuhr. Wie eine Beobachterin aus der Ferne sah ich mich ihm auf dem Flur entgegen gehen. Seine Haare rochen unangenehm nach einem Kokoswachs. Dieser Geruch und dieses wächserne Haar...

Ich kann mir kaum vorstellen, dass er später wirklich auf meinem kleinen Sofa saß und mir einen puren Joint baute; wie wir dort saßen, rauchend, trinkend und lachend; wie wir dort saßen – und er plötzlich meinen Arm streichelte; wie wir plötzlich nicht nicht mehr dort saßen, sondern ins Schlafzimmer umgezogen waren.

„Liebe N. ich habe alles, was ich in meinem Leben brauche. Ich habe meine Musik und mein Kind.“

Mich schauderts noch heute. So gut, sah er aus der Ferne aus. So kokoswächsern ....in der Realität.

Damals hörte ich seine Lieder, wenn es mir schlecht ging. Heute wird mir schlecht, wenn ich sie höre. Schade um die Musik....








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