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Ramona und Stephane - Madame

Text: klinsmaus
Stephane wusste nicht, was er hier sollte. Nihilistischer Existenzialismus und der Rotary Club Kempten gingen nun wirklich nicht zusammen. Lediglich Stephanes Migräne passte hierher.



Und die Migräne hatte er auch nur, weil er hier war. Er wollte nicht hier sein. Aber spätestens seit dem Tag, an dem Ramona den geknebelten Döner gefunden hatte, hatte er keine andere Wahl.



Ramona hatte schon auf ihn gewartet, als er nach Hause gekommen war. Auf dem Schoß hatte sie einen rotweiß geringelten Katerberg gehabt, der gleichzeitig exzessiv schnurrte und Stephane mit dem kühlsten Katerblick taxierte, den der je gesehen hatte. Ramona hatte nicht weniger cool und ungleich vorwurfsvoller geblickt. Stephane war aufgefallen, dass seine Sachen gepackt um sie herum standen.



„Was jetzt passiert, ist ja wohl klar. Du packst deinen Kram und verschwindest. Miete zahlst du weiter.“ Ramona sprach ganz klar und sehr hochdeutsch. „Ich wollte schon immer ein Büro haben.“



„Aber ...“



„Wenn du zickst, geh ich zum Hausmeister und sag ihm, was du mit Döner gemacht hast. Und zum Tierschutzverein geh ich auch. Und zur Polizei. Du Monster!“ Döner schmiegte seine fünfzehn Kilo Körpergewicht an Ramona. Sein Blick sollte wohl bedrohte Unschuld signalisieren. Stephane hätte fast gelacht.



Dann hatte er Ramona angeschaut und sich über ihrem Terminatorblick erschrocken. Er hatte seine Koffer genommen, war aus dem Wohnheim gerannt und war den fünfzehn Jahrgängen Cahiers du Cinema ausgewichen, die Ramona ihm nachwarf. Er hatte sich in sein Auto gesetzt und war im ersten Schock einfach irgendwohin gefahren.



Zu seiner Mutter.



Jetzt, im Rotary Club, wusste er, dass das keine gute Idee war.



Seine Mutter, Madame Fink, née Neuilly-sur-Seine, war zwar prestigeträchtig (und lukrativ) geschieden, hatte den Beruf ihres Ex-Gatten (Schraubenfabrikbesitzer) sowie den Wegzug aus Frankreich aber nie so recht verkraftet.



Neben dem beträchtlichen, aus Herr Finks profaner Erwerbstätigkeit resultierenden, Imageverlust („Höhere Töchter-Trauma“), kämpfte sie vor allem mit der mangelnden Kultiviertheit und Ignoranz der upper crust im Kuhkaff Kempten. Die Pariser Bourgeoisie wusste einfach ganz anders zu leben. Wenn sie nur an das Geplärre der Kemptener Damen dachte, als sie bei der Jour fixe in ihrem Salon erstklassige, aufwändig importierte Gänsestopfleber serviert hatte, bekam sie sofort Migräne.



Ein kleiner Lichtblick war zum Glück Stephane, ihr einziger Sohn. Von Anfang an hatte ihn Madame zu ihrem Verbündeten erzogen. Wild entschlossen, ja keine Chance in seiner kulturellen Sozialisation zu verpassen, hatte sie nicht nur von Anfang an Französisch mit ihm gesprochen, sie hatte ihm auch kindgerechte Adaptionen von Camus und Sartre zum Einschlafen vorgelesen und großzügig über skandalöse Englischzensuren hinweggesehen.



Dass Stephane sich geweigert hatte, sich beim Ball der Debütantinnen im Hotel Crillon in die Pariser Gesellschaft einführen zu lassen, hatte sie schwer verletzt. Jahrelang hatte sie nicht mit ihrem Sohn gesprochen. Erst, als Stephane eine Karriere als unabhängiger neoexistenzialistischer Filmemacher angestrebt hatte, hatten sich Mutter und Sohn einander wieder angenähert.



Was nicht hieß, dass Madame Fink nicht immer wieder Wiedergutmachung von Stephane forderte.



Was wiederum erklärte, warum Stephane in ebendiesem Moment im Rotary Club Kempten mit einer Reihe frisch gebotoxter Bankiersgattinnen Bingo spielte.



Was, wie Stephane sich plötzlich sehr sicher war, überhaupt keine gute Idee war.

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