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Rahmfleckerl ohne Grenzen

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„Toi toi toi für dein Interview, Nicole.“ Das steht in Kugelschreiberschrift auf einer Papierserviette, die auf einem Tisch des kleinen „Café Solo“ in der Preysingstraße liegt. Gemeint ist die Frau, die demnächst durch die Tür dieses Cafés rauschen wird, mit so viel Schwung, als müsste sie das ganze Haus mit sich reißen. Die dann Kristin, die gute Seele des Cafés, umarmen wird, bevor sie sich schließlich setzt und anfängt sehr schnell zu reden, gemeint ist also Nicole Stich, 34, Foodbloggerin. Diese Berufsbezeichnung führt sie seit dem 10. März 2005, dem Tag, an dem sie ein Rezept für Spaghetti mit Limonen und Shrimps ins Internet stellte. Ein paar Wochen vor diesem Datum war die Projektmanagerin beim Surfen auf Blogs gestoßen, in denen Menschen, nicht Profiköche, übers Kochen und Essen schrieben. „Das hat mich gleich angesprochen, ich dachte, wow, die sind wie ich, die können sich den ganzen Tag fürs Kochen und Essen begeistern.“ Nicole verschlingt die Blogs, die meisten davon sind aus den USA, sie schreibt Kommentare, findet ihre Lieblingsseiten und ziemlich schnell, wie sie sagt, ist ihr klar, dass sie das auch haben möchte: einen Blog, ein Netz-Tagebuch, in dem sie aufschreiben kann, was sie kocht und ausprobiert, welche Zutaten und Kochbücher sie mag. Es trifft sich bei der Umsetzung, dass ihr Freund Informatiker ist, aber noch mehr trifft sich, dass sie ein Talent hat, von dem sie vorher gar nichts wusste: Sie kann über Essen schreiben. Auf Englisch. Sie benutzt eine nette, klare Sprache, die ihre Leser rund um die Welt vom ersten Tag an glücklich macht – und satt.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Delicious Days heißt der Blog und die köstlichen Tage erlebt Nicole seither in ihrer kleinen Küche über der Münchner Bank-Filiale in Haidhausen, wo sie sich Rezepte ausdenkt, wo sie in einer ganz normalen Einbauküche kocht und bäckt und die Ergebnisse fotografiert. Eigentlich sind es diese Fotos, die zu einem besonderen Merkmal ihres Blogs wurden. Denn Foodblogger gibt es im Internet viele, aber nur sehr wenige können dazu Fotos von Gerichten machen, die den Betrachter umgehend in glückliche Unruhe versetzen. Wie das Parfait, das Nicole neulich in ihrem Blog vorgestellt hat – pur und ohne Schnickschnack steht es zart-vanillig auf einem Teller, schmilzt an den Rändern schon leicht und ist das schönste Parfait der Welt. „Mir war immer wichtig, dass die Dinge die ich koche und empfehle so aussehen, wie sie sind, ohne Firlefanz und Foodstylist“, sagt Nicole, „Es wäre mir auch viel zu blöd, nur für ausgiebiges Fotografieren die Gerichte kalt werden zu lassen. Ich bin ja eigentlich echt verfressen, oft habe ich keine Geduld, das Gericht überhaupt zu fotografieren, sondern möchte gleich reinbeißen.“ Dann muss sie es eben am nächsten Tag noch mal kochen, egal, Nicole lässt sich nicht hetzen. Nicht von den 5 000 Besuchern, die heute täglich ihren Blog ansurfen, nicht von den Anzeigenkunden, die dort Werbung schalten und nicht vom Time Magazin, das ihren Blog in die Liste der 50 besten Blogs der Welt aufnahm – eine große, vielleicht die größte Auszeichnung, die ein Privatblog kriegen kann.


Für Nicole kam diese Ehrung ziemlich überraschend „Wir waren gerade in Wien auf einer Hochzeit, und ich wollte nur mal schnell auf den Blog gehen, als ich gemerkt habe, dass die Seite nicht erreichbar ist.“ Wegen Überlastung war ihr Blog damals umgehend zusammengebrochen – ein Ereignis, das Nicole immer wieder erlebt, wenn Delicious Days in den Medien auftaucht. Und das passiert oft, wenn es um deutsche Vorzeige-Blogger geht. Zwei Tage lang sind dann die Zugriffsraten viermal so hoch wie sonst, eine Woche später sind die Stammleser von Delicious Days – ergänzt um eine paar neue – dann wieder unter sich. Die meisten davon sitzen übrigens in Übersee, nicht in Deutschland. Zwischen Sydney und Ohio lesen Fans den Blog, lassen sich kein Rezept entgehen und warten gespannt, was Nicole von ihren Streifzügen über den Viktualienmarkt mitbringt. Auch bayerische Schmankerl wie Rahmfleckerl werden Down Under furchtlos nachgekocht. Ihre Leser warten auch geduldig, wenn Nicole eine Woche lang ein neues Gericht ausprobiert, bevor sie etwas dazu schreibt. Dafür sind ihre Rezepte dann perfekt, die Anleitungen stimmig und gleichzeitig ziemlich einfach. Nicole will, dass die Leser vom Computer direkt in die eigene Küche gehen und loskochen, genau wie sie es tut. „Ich liebe es, wenn mir zum Beispiel eine Leserin schreibt, sie wäre die Beliebteste im Büro, seit sie meinen Schokoladenkuchen bäckt. Ein wunderbares Lob!“

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Vom Blog zum Buch Anerkennung kommt aber auch noch in anderer Form. Seit amerikanische Anzeigenvermarkter den Blog der Münchner Hobbyköchin entdeckten, fließt auch Geld, wenn Anzeigenfenster auf ihrer Seite zum Beispiel für amerikanische Küchenausstatter werben. „Der Erlös ist unterschiedlich. Manchmal reichen diese Einnahmen nur gerade so für die Hosting-Kosten der Seite, in anderen Monaten könnte ich davon auch in den Urlaub fahren.“ Seit zwei Wochen ist noch ein anderer angenehmer Nebeneffekt des Blogs zu bemerken – in den Regalen der Buchläden. Der Münchner Kochbuchverlag Gräfe und Unzer rief Anfang vergangenen Jahres bei Nicole Stich an und bat sie, ein Kochbuch zu schreiben. „Ich war erst total baff, dass die das wirklich machen wollten. Aber dann habe ich mich reingestürzt – eine ganz andere Arbeit als das Bloggen, aber auch sehr schön“ Die Kochbuch-Sammlerin schrieb und fotografierte alles selbst, herausgekommen ist ein Buch, das dem Blog in Leichtigkeit und begeisternder Kochlust in Nichts nachsteht. Zwischen den Rezepten dort erfährt der Leser viel über Nicole selbst und übrigens auch, wie sie zu ihrer Leidenschaft kam – die Familie ist schuld. „Bei uns zu Hause wurde wie selbstverständlich sehr oft übers Essen geredet, und meine Mutter und Großmutter hatten einfach unheimlich viel Spaß am Kochen.“ Freilich, was eine Foodbloggerin ist, verstehen die Eltern in der Oberpfalz noch nicht so ganz. Sie schreibe eben nebenbei übers Essen, hat Nicole ihnen einmal erklärt. Eine ziemliche Untertreibung. Unter deliciousdays.com ist Nicoles Blog zu erreichen.

Text: max-scharnigg - Fotos: Nicole Stich

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