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Techno, Tofuschnitzel und politische Partizipation: Am Vorabend der Mediaspree-Abstimmung

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Wenn die Tofuschnitzeljäger kommen, gehen die Fußgänger schnell zur Seite. An der Spitze schreitet ein Dunkelhaariger mit Eselsmaske, in seiner rechten Hand eine Gurke, die er im Takt schwingt, wie einen Tambourstab. Hinter ihm ziehen zwei Jungs eine gewaltige Anlage auf Rädern. Der Bass wummert. Die Prozession kreischt, tanzt und spritzt einander mit Wasserpistolen nass. Seifenblasen, Glitzer und Techno: eine Mischung aus einem Rave und Kinderfasching. So kann politische Partizipation aussehen. Die Crews pilgern, zappelnd in Takt, zur nächsten Station der Techno-Schnitzeljagd. Die Nachmittagssonne knallt. Team Lila besprüht Team Pink mit Sekt, die Pinken schießen zurück mit Konfetti. Die Orangenen beschmeißen die Roten mit Wasserbomben. Ein bisschen Krieg muss sein, immerhin ist es ein Wettbewerb. Wer als erstes das „goldgelbe Tofuschnitzel“ findet, gewinnt. Was eigentlich? Das ist nicht weiter wichtig. Es geht um das Spiel, um den Beat, den Sommer, und, ach ja, – es geht um Protest. In diesem Jahr steht die Schnitzeljagd unter dem Motto: „Mediaspree versenken!“ Die Tanzenden protestieren gegen das Großprojekt der Berliner Senatsverwaltung - die Bebauung des Spreeufers in den Bezirken Friedrichshain und Kreuzberg. Büros und Hochhochhäuser sollen entlang der Spreepromenade entstehen: Ein Plan, der nicht allen gefällt. Mediaspree zerstöre das Profil der Bezirke, sagen die Gegner, raube den Bürgern ihnen zustehende Grünflächen und mache das wilde Flair des Ufers kaputt. Also wehren sich unzufriedene Berliner.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Wahlkampf der anderen Art Die Tofuschnitzeljäger machen das auf eine besondere Art und Weise: Zur Ausrüstung jedes Teams gehört neben des Spaßarsenals und der Musikanlage Informationsflyer und eine Flasche Wodka, für Überzeugungszwecke. Jeder Passant, der sich dazu überreden lässt, gegen Mediaspree zu stimmen, bekommt einen Kurzen. Die Teams sammeln für jeden Bekehrten Punkte. „Wenn das Politik ist, dann mache ich mit“, sagt Martin. Seit mehreren Stunden zuckt er wie ein Duracel-Hase, unermüdlich, ohne Pause. Dass die Schnitzeljagd im Zeichen des Mediaspree-Protestes stehen wird, davon wusste er nichts. Er wollte vor allen Dingen Musik. „Wenn dabei noch was rauskommt, umso besser.“ Jana ist von Kopf bis Fuß mit Glitzer übersäht, immer wenn sie ihre kurzen Haare im Takt schüttelt, sieht es aus wie ein kleiner Silberregen. Die Kampagne gegen die Mediaspree sei ihr wichtig: Sie wolle nicht, dass ihr Bezirk steril wird und könne es zudem nicht leiden, wenn etwas über ihren Kopf hinweg entschieden wird. Zu der Wahl am Sonntag geht sie auf jeden Fall, sogar bei einer Informationsveranstaltung ist sie schon gewesen. Hier macht sie aber eher aus Spaß mit. „Die Schnitzeljagd wurde von dem Bündnis für die urbane Mobilbeschallung und der Hedonistischen Internationale mitorganisiert“ erzählt sie. „Sie wollen Fun, ein bisschen zivilen Ungehorsam.“ Politik stehe aber nicht im Vordergrund. Wer wirklich was erreichen wolle, sei anderweitig besser aufgehoben. Und dann zieht sie auch schon weiter, der brummenden Musikanlage hinterher. Auf der nächsten Seite: Bilder vom Protest und mehr über die Leute, die das Bürgerbegehren Spreeufer für alle in Leben gerufen haben.


Der Initiativkreis „Mediaspree Versenken!“ sind die, bei den man laut Jana besser aufgehoben ist. Sie waren diejenigen, die das Bürgerbegehren „Spreeufer für alle!“ und somit die Wahl in die Wege geleitet haben. Alles gesetzeskonform, alles auf dem bürokratischen Wege. Ihr „Wahlkampf“ – so nennt die Initiative die Protestaktionen im Vorfeld der Abstimmung – ist aber alles andere als konventionell. Am ersten Juli demonstrierten die Gegner auf dem Wasser und blockierten so die Spree für den Dampfer der Investoren. Auch eine Protest-Fahrradtour stand auf dem Plan, außerdem Konzerte und „Kiezspaziergänge". Heute schließt „die Spreeparade auf dem Wasser, zu Lande und in der Luft“, den Wahlkampf ab. „Uns geht es nicht in erster Linie um den Spaßfaktor“, sagt Fadi. „Aber weil wir kreativ sind, ist der automatisch hoch.“ Fadi ist jemand „der tagsüber Hemd und Krawatte trägt und abends Kaputzenpulli“. Bei dem Initiativkreis engagiert er sich seit einem Jahr. Warum? Weil er in fünf Jahren immer noch mit seinen Kindern am Spreeufer spielen wolle. Und weil er den Prozess der so genannten Gentryfication fürchtet - die Aufwertung von Stadteilen, die den Bezirk hip und die Mieten hoch mache. Und letztendlich die ursprünglichen Anwohner verdränge. Dass man die Mediaspree nur auf dem rechtmäßigen, offiziellem Wege abhalten könne, sei ihm von Anfang an klar gewesen. Auch wenn die Initiatoren von einigen als Konformisten verschmäht werden, sei es ihnen wichtig, legal vorzugehen. „Wenn wir die Normalbevölkerung erreichen wollen, dürfen wir nicht in die Chaoten-Ecke gedrängt werden“, sagt er. Es sei einfach, in der linken Szene Gleichgesinnte zu finden. Wer aber auf große Zustimmung hofft, muss sich organisieren und auch diskutieren können. Im Gästebuch der Homepage von „Mediaspree versenken!“ wird nicht an kräftigen Worten gespart: „Ihr wollt also Euer Hartz-IV-Dasein in schöner Umgebung genießen“, schreibt ein User. „Woraus leitet Ihr eigentlich die Legitimität ab, der zahlenden Mehrheit Euern Willen aufzudrücken? Geht doch arbeiten, nutzt die Chance, aus diesem sinnlosen Friedrichshain-Kreuzberger Gammel-Leben herauszukommen!“ Bemüht um Seriosität, versucht die Initiative nicht nur Parolen, sondern auch Vorschläge zu bieten. Einige ihrer Forderungen: Ein Mindestabstand von 50 Metern zum Spreeufer für alle Neubauten und eine Traufhöhe von 22 Metern für die Neubauten. Die Berliner Senatsverwaltung sagt: Der Vorschlag würde Arbeitsplätze kosten und außerdem 165 Millionen Schadensersatz an die Investoren. „Stimmt nicht“, sagt Fadi. Und auch wenn das so wäre, wäre ihm das Wert. Die Entscheidung, die man jetzt trifft, sei für mindestens ein Jahrhundert gültig – bis die Neubauten verfallen. Obwohl sie eine möglicht breite Masse ansprechen wollen, sind die Macher über den Beistand aus der alternativen Ecke froh. „Unser Projekt ist zum Selbstläufer geworden“, erzählt Fadi. „Viele Gruppierungen unterstützen uns, und jede einzelne hat etwas Eigenes daraus gemacht.“ Auch Bars und Clubs am Ufer mischten kräftig mit – es geht ja um ihr Überleben. Spaßveranstaltungen wie die Tofuschnitzeljagd seien immer willkommen: „Muss Politik denn unbedingt trocken sein?“, sagt Fadi. „Ich glaube nicht, dass junge Menschen verdrossen sind, sie brauchen nur einen Anreiz.“ Dass so viele Leute auf die Straße gegangen sind, würde Fadi trotzdem nicht der Partystimmung der Protestveranstaltungen zuschreiben. „Als wir Unterschriften gesammelt haben, war es Oktober und bitter kalt“, erzählt er. „Die Leute haben trotzdem mitgemacht.“ Sie protestieren, weil etwas, was sie direkt betrifft, über ihre Köpfe hinweg entschieden wird. Und weil sie das Gefühl haben, etwas bewirken zu können. Ob das wirklich so ist, sei aber dahin gestellt: Selbst wenn genügend Leute zu Wahl gehen und die nötige Mehrheit zustande kommt, ist die Entscheidung nicht bindend. Die Macher sind trotzdem über jede Unterstützung froh – solange sie nicht gewalttätig ist. Zumindest die Tofuschnitzeljäger sind um friedlichen Protest bemüht. Die Polizei hat sogar eine offizielle Einladung bekommen: „Zieht mit uns durch die Stadt! Aber bitte in zivil. Ansonsten sind wir auch spätestens um 20 Uhr von der Strasse und tun auch keinem weh. Auftritte in Uniform daher bitte nur mit rosa Unterwäsche.“ Im Berliner Magazin Zitty gibt es eine gute Übersicht über die inhaltichen Fragen der Mediaspree - auf den nächsten Seiten: Bilder vom Protest

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert


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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

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