Süddeutsche Zeitung

Unsere Kernprodukte

Im Fokus

Partnerangebote

Möchten Sie in unseren Produkten und Services Anzeigen inserieren oder verwalten?

Anzeige inserieren

Möchten Sie unsere Texte nach­drucken, ver­vielfältigen oder öffent­lich zugänglich machen?

Nutzungsrechte erwerben

Erwachsenwerden, das sind kleine Schritte - Martin Reichert hat die Generation Umhängetasche entdeckt

Teile diesen Beitrag mit Anderen:

Als ich dein Buch gelesen habe, war ich danach schrecklich deprimiert. War das deine Absicht? Eigentlich gar nicht, im Gegenteil. Wenn man erwachsen werden möchte, dann muss man loslassen. Wenn du dich nicht verabschieden möchtest von gewissen Vorstellungen wie einer ewigen Jugend, dann geht es nicht. Ich versuche nichts anderes, als aufzuzeigen: Klar, man lässt los, aber es beginnt auch etwas Neues, das vielleicht viel schöner ist.

Default Bild

„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Bild: Jonas Maron Warum hast du ausgerechnet jetzt das Buch geschrieben? Weil jetzt genau die Zeit ist. Die einen verändern sich und gründen Familien, aber es gibt auch noch ganz viele, die das nicht machen. Diese ganze Berichterstattung über den Gebär-Hype, dass jetzt alle Kleinfamilien gründen und ganz furchtbar spießig werden, stimmt ja nur bedingt. Es gibt ganz viele, die noch auf der Schwelle herumtappen und noch nicht so recht wissen, wie es weiter geht. Das liegt einfach in der Luft. Das ist ein Thema, das alle beschäftigt, auch in meinem Umfeld. Was verbindet die, die heute 30 sind? Erst mal haben sie die 90er mit dem „Anything goes“ überlebt. Damals dachten sie auch, dass bei ihnen alles geht und sehen jetzt, dass eben nicht alles geht. Und sie haben eine merkwürdige diffuse Grundhaltung. Sie führen so ein „Leben als ob“, weil man ja nicht weiß, was als nächstes passiert. Man sichert sich immer ab, hat eine ironische Distanz zu allem nach dem Motto „Das Leben ist ein Film, man muss es ja nicht so ernst nehmen.“ Man lebt in einer Warteschleife und wartet darauf, dass das Leben losgeht. Und woher kommt diese Distanz? Ich glaube, das liegt an den äußeren Umständen. Zum einen liegt das an der wirtschaftlichen Veränderungen. Anfang der 90er fing das mit dem Internet an. Das war zugleich eine Chance und hat zugleich auch Angst gemacht. Dann gibt es diese wachsende Unsicherheit. Schon bei Douglas Couplands „Generation X“ wurde klar angesagt: Ihr werdet die Generation sein, die weniger Geld hat, als eure Eltern. Und dann hatten alle auf den großen Medien- und Internet-Hype gehofft und der ist komplett abgesoffen, da ist 2000 die Blase geplatzt. Und dann war erst einmal Jahrelang gar nichts. Das war aber genau die Phase, in der diese Generation in die Pötte hätte kommen können und müssen. Aber stattdessen war Rezession. Warum wollen wir deiner Meinung nach nicht erwachsen werden? Es ist zum einen so, dass Erwachsenwerden als etwas eher Negatives gilt Niemand will erwachsen sein. Auch ganz alte Leute erzählen einem ja, dass sie im Herzen jung geblieben sind und sich gar nicht verändert hätten. Und zum anderen ist die Jugend erst einmal das einzige Kapital, das man hat. Man hat den jugendlichen Lifestyle angenommen und ist mit dem erst einmal gut über die Runden gekommen. Was danach kommt, weiß man nicht und das macht einem Angst. Gleichzeitig ist es so, dass in unserer Gesellschaft Jugend eigentlich ein Muss ist: Man muss flexibel sein, bereit sein, in andere Länder und Städte zu ziehen, seine Bezugspersonen wechseln, neue Techniken lernen, sich auf neue Moden einlassen. Das sind lauter Dinge, die Aufmerksamkeit, Wandelbarkeit, Flexibilität und Aufnahmefähigkeit voraussetzen. Und das kann man nur als Jugendlicher. Erwachsene gehen ja eher mit dem Tempo runter, haben sich sehr viel angeschaut und daraus eine Haltung entwickelt, auf der sie aufbauen. Im Grunde genommen beschreibst du einen natürlichen Vorgang: Nach der Jugend kommt das Erwachsenenalter. Denkt man, oder? Das funktioniert aber eben nicht mehr. Bei unseren Eltern hat das auch noch funktioniert – die haben eine Partnerschaft begonnen, geheiratet und Kinder bekommen. Schon mit der Partnerschaft wurden die erwachsen und mit den Kindern erst recht. Das funktioniert so nicht mehr, weil sich alles nach hinten gedreht hat. In unserer Generation hat man ja häufig bis 30 studiert, dann musst du dich erst einmal im Beruf festkrallen, und überlegst dir erst mit Mitte 30, ob du ein Kind willst. Alles schiebt sich nach hinten. Auf der nächsten Seite: Warum Berlin ein Lebensgefühl ist, die Generation Umhängetasche aber trotzdem überall vorkommt


Beim Lesen hatte ich das Gefühl, dass die von dir angeschriebene Generation relativ klein ist und sich ziemlich auf die Berliner Boheme reduziert. Das ist ja nicht nur die Berliner Boheme. Das Buch spielt in Berlin und das ist auch bewusst so, weil diese Stadt für meine Generation eine Art Sinn- und Bedeutungs-Zentrum ist, aber diese Umhängetaschen-Träger gibt es überall. Die habe ich in Köln, München, aber auch in Trier und Bad Oldesloe gesehen. Und auch die Läden sehen alle so aus wie im Prenzlauer Berg oder in Mitte. Ich denke auch, dass fast alle meine Protagonisten schon mal in Berlin waren, dort gerne abhängen, und auch schon darüber nachgedacht haben, ob sie da hinziehen sollen. Wie bist du denn selbst erwachsen geworden? Ich versuche es immer noch. Das ist ein Prozess, Erwachsenwerden, das sind kleine Schritte. Ich habe aber zum Beispiel zum ersten Mal in meinem Leben eine Wohnung, die normal funktioniert, wo Regale an die Wand gedübelt sind und alles einfach normal ist. Vorher hat auch bei mir nichts funktioniert, die Kisten waren nicht ausgepackt und auch sonst habe ich nichts ernst genommen. Ich merke auch, wie sich meine innere Haltung ändert, dass ich an einen Punkt geraten bin, wo ich mich positionieren, eine Haltung einnehmen muss und das Leben ernst nehmen muss, weil es eben nicht immer nur lustig ist. Ich bin auch bereit, Verantwortung zu übernehmen. Und teilweise kann man das auch an ästhetischen Dingen festmachen: Dass ich auch mal Hemd und Jackett trage und nicht immer nur wie ein 20-jähriger herumlaufe, der gerade vom Indie-Konzert kommt. Gab es einen Moment, wo du gemerkt hast, dass sich jetzt was ändern muss? Als ich dann doch mit dem Studium fertig wurde. Da gab es einen Punkt, wo ich auf einmal gar nichts mehr hatte: Vorher hatte ich mein Studium und ganz viele verschiedene Jobs gehabt, das hat über Jahre wunderbar funktioniert. Und dann ist durch irgendeine merkwürdige Kombination des Schicksals auf einmal alles, aber auch wirklich alles weggebrochen. Ich hatte nichts mehr. Da bin ich erst mal in eine Angststarre verfallen und dann dachte ich: Jetzt musst du einfach handeln. Du musst dein Leben in die Hände nehmen. Als dann noch ein guter Freund erkrankt ist, dachte ich mir: „Nimm’s mal ernst, handel’ mal, mach’ mal.“ Ist es denn deine Absicht, deine Generations-Genossen zu wertvollen Mitgliedern der Gesellschaft zu machen? Die in die Arbeitswelt einsteigen, Steuern zahlen, sich fort- oder zumindest einen Baum pflanzen? Die Attitüde ist momentan die, dass man sagt: Hey, wir sind total unangepasst und wir leben ein ganz unkonventionelles Leben. Aber ich habe es ja gesehen. Ich weiß ja, wie das endet. Schau dir an, wo diese Leute herkommen und wo die hingehen. Das läuft nämlich auf die Fragen hinaus: Will ich eine Familie gründen? Will ich eine solide Partnerschaft? Warum habe ich jahrelang studiert, wenn ich dann keinen vernünftigen Beruf finde, mit dem ich mein Leben selbst finanzieren kann. Und die Attitüde der Jugend ist ja eine andere. Jugend ist Freiraum, aber der endet irgendwann einmal. Ich fordere die Leser auch dazu auf, sich einmal Gedanken darüber zu machen, dass wir alle Bürger dieser Gesellschaft sind, nicht nur Zuschauer. Unserer Generation sagt man gerne nach, dass sie völlig unpolitisch ist und keine Verantwortung übernehmen will. Und das stimmt auch zu weiten Teilen. Momentan liegen die Geschicke dieses Landes in den Händen von ganz anderen Menschen und die Generation Umhängetasche hat überhaupt nichts zu melden. Die stehen in der Warteschleife rum, haben ein Projekt, hören Musik und trinken Gin Tonic, aber es passiert nichts. Ich glaube, das funktioniert nicht und führt auch nirgendwo hin. Dieses Lebensgefühl wird auch schal, weil sie irgendwann alleine und hängengeblieben mit ihrer Umhängetasche im Club rumstehen. Es geht schon auch darum, mit Würde in den nächsten Lebensabschnitt hinüberzugehen. Es wird ja immer so gegenüber gestellt: Erwachsen sein ist spießig und Jugendlich sein ist cool. Ich halte das für eine Lebenslüge. Wenn du erwachsen wirst, musst du ja nicht automatisch deine Ideale über Bord werfen und zu einem Megaspießer mit Reihenhaus werden. Wer sagt das denn? Aber hängt das wirklich an Klamotten und vordergründigen Attitüden und Behauptungen? Ich glaube das nicht.

Default Bild

„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

"Wenn ich mal groß bin - Das Lebensabschnittsbuch für die Generation Umhängetasche" von Martin Reichert ist im Fischer Verlag erschienen und kostet 8,95 Euro.

  • teilen
  • schließen