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"Tocotronic wollte schon jeder kriegen": Die Wahrheit über Uni-Festivals

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Glückwunsch! Das Bayreuther Uni-Open-Air findet heuer am 14. Juni zum 20. Mal statt und das "lunatic" auf dem Campus der Leuphana Universität Lüneburg bittet am 7. Juni zum fünften Mal zum Tanz. Auf beiden Festivals wird der Beweis angetreten, dass es sich im Windschatten von Rock im Park oder Hurricane bestens feiern lässt. Wie funktioniert eigentlich ein Festival? Anna, 23, studiert BWL an der Uni Bayreuth und organisiert mit Uli, 30, das "Uni-Open-Air". Franziska, 22, studiert in Lüneburg Angewandte Kulturwissenschaften und veranstaltet mit anderen das "lunatic"-Festival. Sie plaudern über die fünf Wahrheiten hinter einem guten Uni-Festival. *** Erstens: Irgendjemand muss es ja machen Schuld sind Tomte, Slut und Die Sterne. „Als ich vor zwei Jahren an die Bayreuther Uni kam“, erzählt Anna, „habe ich irgendwo Plakate von früheren Uni-Open-Airs gesehen.“ Ihr erster Gedanke: „Wow, die haben hier gespielt?“ Haben sie. Zwar sehr lange bevor Anna „Wow“ dachte, aber egal: Anna war dabei. Erst als Helfer, dieses Jahr als eine unter insgesamt 20 Organisatoren, die sich vom ersten Treffen im Spätsommer des Vorjahres bis zum finalen Aufräumen im Festivaljahr um alles kümmern. Zwei, drei Festivals organisiert jeder hier im Schnitt, ein paar alte Hasen gibt es auch. Die aber sind vom Aussterben bedroht: „Vor allem wegen der Bachelor-Studiengänge“, sagt Uli. „Da wird’s manchmal schwierig, genügend Leute zu finden.“ Weil die, die sich überhaupt noch Zeit nehmen, nach drei Jahren schon wieder weg sind. Uli, der gerade an seiner Doktorarbeit in Umweltingenieurwesen schreibt, ist 2008 zum siebten Mal dabei. Beim Lüneburger Uni-Festival lunatic liegen die Dinge ähnlich: Das lunatic-Team ist ein gemeinnütziger Verein, der sich alle Jahre wieder aus einem Projektseminar speist. „Schwierig ist es vor allem, die Vorstandsposten zu besetzen“, sagt Franziska, denn: lunatic-Vorstand sein, das kostet Zeit. Und wer die aufbringt, ist nicht nur als angehender Bachelor über zwei Semester hinweg voll ausgelastet. Zweitens: Es ist verdammt viel Arbeit „Es geht ja nicht einfach nur darum, einen Platz für 3.000 Leute zu finden und eine Bühne drauf zu stellen“, sagt Franziska. Es geht um Fragen wie: Wer besorgt Verlängerungskabel? Wer dekoriert die Verkaufsstände? Wer bittet Bauern aus der Region um Sachspenden fürs Catering? Wer fährt mit wem nach Hamburg, um dort zu Flyer zu verteilen? lunatic e.V. gliedert sich in fünf Ressorts: Finanzen & Sponsoring, künstlerische Leitung, Technik & Infrastruktur, Presse- & Öffentlichkeitsarbeit und Video-Dokumentation. Jedes Mitglied gehört zu einem dieser Ressorts, wesentliche Entscheidungen werden unter allen ausdiskutiert. „Strukturiertes Chaos“ nennt Anna das Prinzip, dem die Arbeit beim Bayreuther Festival folgt. „Natürlich gibt es immer Überschneidungen, weil manche Sponsoren oder Agenturen zum Beispiel keine festen Ansprechpartner haben. Das ist schon schwierig.“ Aber, beschwichtigt Uli: Den Fall, dass drei Leute parallel bei demselben Sponsoren angeklopft hätten, habe es trotzdem nie gegeben. Auch in Bayreuth herrscht Basisdemokratie. „Beim Booking“, sagt Anna, „schickst du dann eben schnell eine E-Mail herum: Leute, wie findet ihr die Band? Wenn dann zwei, drei Leute mit cool antworten, machst du die Sache gleich fest.“ Spätestens im Februar müssen Booking und Finanzen geregelt sein, sagt Uli. „Sonst merkst du irgendwann: Au, alle haben schon einen Headliner, nur wir nicht.“ Ein paar Wochen Puffer seien immer einkalkuliert. „Manchmal wird es trotzdem echt knapp.“ Vor allem dann, wenn nach dem vorhergehenden Festival wieder ein paar alte Hasen ausgestiegen sind. „Inzwischen gibt es für solche Fälle Checklisten“, sagt Anna. „Nach dem Motto: Beachte am Tag vorher …“ Und wehe, jemand hat Schilder an der Autobahn aufgestellt und vergessen, das städtische Ordnungsamt um Erlaubnis zu bitten!

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Drittens: Irgendwas ist immer Vor zwei Jahren ging in Bayreuth die Welt unter. „Den Auftritt der letzten Band mussten wir kurzfristig nach Innen verlegen, weil es so gestürmt hat“, erzählt Uli. „Innerhalb von eineinhalb Stunden haben wir die gesamte Technik ab- und wieder aufgebaut.“ Und ein paar Besucher sind sogar geblieben. Regen, sagt Anna, will natürlich von vorneherein einkalkuliert sein. „Wir finanzieren uns ja aus dem Eintritt und über Sponsoren – mögliche Verluste sind über den studentischen Konvent gedeckt. Da müssen wir von vornherein zwei verschiedene Kalkulationen vorlegen.“ Eine für gutes Wetter, die zweite für Graupelschauer und andere Weltuntergänge. Voraussehen, natürlich, lässt sich das Wetter nur begrenzt – und die Suche nach einem passenden Termin ist sowieso schon schwer genug. „Es gibt ja nur sechs, sieben Wochenenden, die überhaupt in Frage kommen“, sagt Franziska in Lüneburg. „Zu kalt soll es nicht sein, und in den Semesterferien ist es zu spät.“ Außerdem wichtig: Wann finden die großen Konkurrenzfestivals statt? „Mit Glück“, sagt Franziska, „bleibt da ein Wochenende übrig.“ Diesmal nicht: lunatic 2008 fällt mit Rock am Ring und dem Tag des EM-Eröffnungsspiel zusammen. Was aber halb so wild ist: „Wir übertragen das Spiel auf Großleinwand“, sagt Franziska. Viertens: Früher war nicht alles besser „Zum Geburtstag wollten wir unbedingt Tocotronic als Headliner“, sagt Anna und lacht. "Deshalb hat sich das Booking diesmal ein bisschen verzögert." Tocotronic nach Bayreuth zu kriegen, das hat schon jede Uni-Open-Air-Crew versucht – immer vergeblich. „Denen sind wir einfach zu klein“, sagt Anna. Umso leichter tue sich das Booking-Team bei Bands, die selbst noch nicht wirklich groß sind: Bei "Die Türen" zum Beispiel, bei "So so modern", "Freizeit 98" oder "Eight Legs". „Kann gut sein, dass eine der Bands in ein paar Jahren vielleicht ganz groß ist“, sagt Uli – Sportfreunde Stiller, Virgina Jetzt!, Die Sterne, Slut oder Blumfeld haben alle schon in Bayreuth gespielt. „Wenn du im Nachhinein feststellst, dass du den richtigen Riecher hattest – dann ist das natürlich umso schöner“, sagt Uli. In Lüneburg kann sich, was die Bekanntheit der Namen angeht, auch das aktuelle Line-Up sehen lassen: Vor zwei Jahren hieß der Headliner Blumentopf, für dieses Jahr ist MIA. gebucht. „Damit“, sagt Franziska, „sprechen wir natürlich ein breiteres Publikum an“. Der Vorverkauf lief dieses Jahr so gut wie selten. Die Kehrseite: Die Gagenwünsche manch einer Band bringen die Veranstalter oft an die Grenze des Machbaren. „Wir sind eben ein kleines Festival“, sagt Franziska. Fünftens: Und dann klappt es doch Es gibt Tage, an denen ist Anna überzeugt, dass das Festival ausfallen muss. Weil, denkt sie, dieses oder jenes – oder auch alles – niemals mehr hinhauen kann. „Wie es dann doch klappt, kannst du zwar nicht erklären. Aber das ist ja auch nicht so wichtig. Wenn du siehst, wie der Headliner auf der Bühne steht und davor hunderte von Leuten feiern, dann kümmert dich auch gerade nicht, dass es vielleicht ein paar hundert mehr sein dürften, um das Minus vom vergangenen Jahr noch gründlicher auszubügeln. Dann ist dir egal, dass die Bands – wie in Bayreuth geschehen – nach dem Gig besser nicht an der Cocktailbar kostenlos trinken dürfen - so viel, dass sie später nicht mehr stehen können." Dann sind in Lüneburg die endlosen Diskussionen über lila T-Shirts oder orangene T-Shirts vergessen. Und in Bayreuth ist vergessen, dass gelbe Festivalplakate schön aussehen - aber in der Sonne ausbleichen. *** Infos und Line-Up unter www.lunatic-festival.de und www.uniopenair.de

Text: florian-zinnecker - Fotos: fz (1, 3, 5, 6), privat (4), Katrin Bemmann (2)

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