Süddeutsche Zeitung

Unsere Kernprodukte

Im Fokus

Partnerangebote

Möchten Sie in unseren Produkten und Services Anzeigen inserieren oder verwalten?

Anzeige inserieren

Möchten Sie unsere Texte nach­drucken, ver­vielfältigen oder öffent­lich zugänglich machen?

Nutzungsrechte erwerben
Aus der ehemaligen jetzt-Community: Du liest einen Nutzertext aus unserem Archiv.

Jakob (eine Variation)

Text: irrgaertnerin
Wie du dastehst, Jakob. Wie du dastehst und nichts verstehst. Ich sehe dich an, von der Seite und greife nach deiner Hand. Kalt ist sie geworden, kalt und ein wenig zittrig. Vor der Tür ein Lärm, der langsam aufhört, eine Tür die ins Schloss fällt, im Raum du, du und ich. Du, der du einen Schritt zurück gehst, dann noch einen, solange, bis du die Wand im Rücken spürst und langsam an ihr hinunter rutschtst. Meine Hand hast du dabei schon lange losgelassen, Jakob und ich frage dich, ob du etwas zu trinken möchtest.

In der Küche steige ich über kaputte Teller, Gläser, Vasen, steige über die Stille hinweg und lasse das Wasser in eine nicht zerbrochene Tasse laufen. Den ersten Schluck gönne ich mir selber, du merkst davon nichts, du hast schon lange zu weinen begonnen. Jakob, Jakob, sage ich, das bringt doch nichts. Jakob, Jakob, komm in meine Arme, komm ich halt dich noch ein wenig fester, dann geht auch diese Nacht vorbei, denke ich, da sitze ich bereits wieder neben dir und deine Hand ist immer noch kalt, aber sie zittert nicht mehr soviel wie vorhin, vielleicht ist das ein Anfang.

Jakob weißt du noch, als wir uns kennen gelernt haben? Es war Herbst und es war zu warm dafür. Die Blätter wollten einfach nicht von den Bäumen fallen, die Vögel nicht in den Süden fliegen und du nicht aufhören Eis zu essen, da am Fluss, dort wo ich dich traf. Geredet haben wir, über die Blätter, die Vögel und das Eis, welches du mir später angeboten hast, als ich zu schrill lachte und mir dann erschrocken die Hand vor den Mund hielt. Bevor wir uns verabschiedeten schrieb ich dir meine Adresse auf einen Zettel, sollte es doch noch kälter werden, wäre es dort gemütlicher, meinte ich.

Und es wurde kälter, der Oktober ging zu Ende, der November begann und wir saßen in meinem Wohnzimmer und tranken Tee. Dabei habe ich oft gelacht und die Augen zusammengekniffen und du hast mit deinen Händen gestikuliert und nicht selten mitten im Satz vergessen, was du eigentlich sagen wolltest. Irgendwann ging auch der November vorbei und der Dezember war da, da saßen wir immer noch in diesem Zimmer, aber du redetest nicht mehr soviel und ich lachte nicht mehr soviel. Sogar der Tee wurde manchmal kalt, weil wir zuviel schwiegen. Ich hab dich nie nach dem Grund gefragt, Jakob, nicht mal dann, als du plötzlich nicht mehr so oft erschienst. Ich habe dich auch nie gesucht, nicht nur, weil ich nicht wusste wo, nein, es hatte auch ein wenig mit Stolz zu tun. Aber ich habe auf dich gewartet, Jakob, da in dem Zimmer, mit einer Decke um die Beine gewickelt und einer Tasse Tee, die ich hastig trank, als ich mir einbildete, es würde doch jemand an der Türe klopfen, was doch nie der Fall war.

Irgendwann klopfte es doch, ich stand gerade im Bad und föhnte meine Haare, ich hatte die Hoffnung schon fast aufgegeben, dass du noch einmal vorbeikommen würdest, ein wenig war es mir auch egal geworden. Doch als es dann klopfte, fing es an das Herz, zu pochen, zu hämmern und die Hände zu schwitzen. Mit halbnassen Haaren schlich ich zur Tür und öffnete sie dann hastig. Es warst wirklich du, der da stand, du lächeltest mich an, du warst nicht alleine. Die junge Frau neben dir, sie lächelte auch, sie hielt mir die Hand hin, sie ging einen Schritt auf mich zu. Ihren Namen vergaß ich bereits in dem Moment in dem du ihn nanntest. Nicht vergessen konnte ich jedoch, als du sagtest: „Ich dachte, ihr solltet euch endlich kennen lernen, ich glaube, ihr habt einiges gemeinsam.“ Ich starrte abwechselnd zu ihr und zu dir, Jakob, weißt du noch? Ich dachte gar nicht daran, aus der Tür zu treten, damit ihr in die Wohnung gelangen könntet, irgendwie habt ihr es doch geschafft. Und wie wir dann saßen, da in dem Wohnzimmer und wie ich schlussendlich doch Tee gemacht habe [drei Tassen, Schwarztee, ohne mit einer Wimper zu zucken], da sah ich dich noch einmal an und schwor mir, es nie wieder zu tun.

Dein promoviertes Fräulein, wie du sie nanntest, sie saß die ganze Zeit mit überschlagenen Beinen am Sesselrand, redete mit Enthusiasmus von ihrem Geschichtestudium, der Möglichkeit endlich hier bei dir zu sein, den billigen Marktpreisen, meiner Einrichtung. Nur einmal erhob sich ihre Stimme noch mehr, schwoll an zu einem Choral aus unverständlichen Worten, zu einem Labyrinth von Silben, die mir den Atem verschlugen und mich noch tiefer in den Sessel drückten. „Ist das wahr?“, fragte ich dich später. Und du nicktest, Jakob, du hast einfach genickt. Mit einer Fassungslosigkeit nahm ich die Einladungskarte entgegen, die ihr mir beim Gehen in die Hand gedrückt habt. Erst zwei Tage später öffnete ich sie schließlich. Öffnete sie und verstand immer noch nicht. ‚Jakob und Zita’ stand darin und ein Datum und ein Ort. Jemand hatte Tauben die mit Ringen in ihren Schnäbeln durch die Luft flogen auf die Rückseite gemalt, etwas worüber ich schließlich doch lachen musste. Tauben die mit Ringen durch die Luft wirbeln, Jakob, gibt es etwas Lächerlicheres?

Das sagte ich dir auch, am nächsten Tag, als du wieder vor der Tür standest. Alleine diesmal und mit betretenem Blick. Ich hörte mir alles an, was du zu sagen hattest, die Geschichte dieser Beziehung, die schon fast ein Jahrzehnt alt ist, die alleine dadurch nun langsam für die Ewigkeit sein muss, die du brauchst und die ich akzeptieren muss. Ich schwieg. Ich räusperte mich. Ich blickte aus dem Fenster. Irgendwann bin ich aufgestanden und stellte mich hinter dich, legte meine Hände auf deine Schultern und flüsterte, so leise, dass du es gerade noch verstehen konntest: „Jakob, du weißt, was du eigentlich brauchst. Du weißt es ebenso gut wie ich.“ Dann beugte ich meinen Kopf nach vorne und küsste deinen Nacken, der erzitterte in dem Moment.

Nie hast du auf diesen Satz geantwortet, stattdessen war dein Gesicht noch grauer geworden, der Tee noch schneller kalt und als du die Treppen hinuntergingst, vernahm ich durch die Tür hindurch, dass du es so eilig hattest und dass du deswegen nur jede zweite Stiege nahmst. Als ich im Bett lag am Abend, hatte der Krieg schon begonnen, ich war eine Feldherrin geworden, ich schwenkte meine Lanze. Köpfe würden rollen, ich war mir dessen sicher.

Du sollst das nicht falsch verstehen, Jakob. Wirklich, ich habe dich geliebt. Ich liebte dich von Moment zu Moment mehr, ab dem Augenblick, als wir uns zum ersten Mal trafen. Wie du das Eis geschleckt hast, Jakob, das war eines der schönsten Dinge die ich jemals gesehen habe. Und im Ernst, all die Zeit, die wir in meinem Wohnzimmer verbrachten, all die Stunden die wir uns verstohlen anblickten, ehrlich, nichts wollte ich lieber tun, als dich küssen, über dich herzufallen und dir die Kleider vom Leib zu reißen. Ich habe das nicht gemacht, weil ich wollte, dass du den ersten Schritt auf mich zugehst, weil es alles perfekt sein sollte zwischen dir und mir, weil dieses Mal alles von Anfang an so sein sollte, wie ich es mir vorgestellt hatte. Zwei Menschen die sich treffen, die Funken, der Mann der die Frau küsst, die Leidenschaft, die Stunden die nie vergehen, die Nächte, die Tage, die Zukunft.

Aber du küsstest mich nie Jakob, du setztest dazu an, deine Lippen streiften beim Verabschieden nicht nur einmal sachte meine Mundwinkeln und deine Umarmungen, sie waren oft viel zu lange. Ich lachte dann, ich sagte: „Jakob, nicht so stürmisch.“ Und du hast wieder zu Boden geblickt und gesagt: „Du hast ja Recht.“

Und jetzt hast du alles kaputt gemacht, Jakob. Hast dem Anfang das Ende genommen und hast dabei nicht mal nach meinem Einverständnis gefragt. Die letzten Monate sie waren eine Lüge, die kommenden Monate werden Rache sein. Leiden würdest du Jakob und dann auch sie, die promovierte Historikerin, die doch mal ihr Wissen über die Intrigen der Vergangenheit auspacken. Ich schlief ein und weinte ein wenig dabei, an diesem Abend, weil du mir fehltest Jakob, weil mir unsere gemeinsame Zukunft fehlte, weil du mich getäuscht hattest, weil ich dich verletzen musste bald. Wirklich, es hat mir keinen Spaß gemacht.

Wir trafen uns also wieder, immer und immer wieder, wie du es dir gewünscht hattest, weil wir doch erwachsene Menschen seien und sich doch eigentlich nichts zwischen uns ändern müsste. Das hast du gesagt, bevor du die Stiegen hinunterliefst und ich habe zugestimmt, noch ein wenig verdattert, aber mit einem Begehren in mir, einem Begehren danach, begehrt zu werden, ich wusste, es würde zu schaffen sein.

Der Frühling kam wieder, die Knospen an den Bäumen sprangen eine nach der anderen auf, wir saßen dennoch im Wohnzimmer und meine Hand berührte nicht selten die deine, nicht nur einmal war mein Lachen zu laut, nicht nur einmal mein Dekolleté zu offenherzig für die Temperaturen und den Anlass. Du hast all das bemerkt und nichts dazu gesagt, auch nichts, als es später wurde und ich sagte, du kannst doch auch hier übernachten, das Sofa hier, es ist ausziehbar; ich habe Platz. Du riefst sie an und erzähltest ihr die Wahrheit, dass du erst morgen früh nachhause kommen könntest, sie schien zu verstehen. Sie machte mich wütend. Nichts geschah in dieser Nacht, ich ließ dich schlafen im Wohnzimmer, das Intimste das zwischen uns passierte war, dass ich dir meine Zahnbürste borgte. Ich lächelte dabei dämlich in den Spiegel, während du mit zuviel Zahnpasta in deinem Mund herumgeschrubbt hast. Dann gingen wir schlafen, in getrennten Zimmer und als ich in der Früh erwachte warst du schon verschwunden, zu ihr geschlichen, die dir sicher ein Spiegelei und Speck zum Frühstück kochte, ich sah es direkt vor mir.

Und wie Recht ich hatte, Jakob, das erkannte ich eine Woche später, als ihr mich zum Brunch eingeladen habt. Du und dein Spiegelei, sie und ihre Schürze in der Küche. Ich dazwischen, mit Höflichkeitsfloskeln und einem Korb voll Früchten, den ich vom Markt mitgebracht hatte. Wir sprachen über das Wetter, die letzten Hochzeitsvorbereitungen, später nahm sie meine Hand und zog mich kichernd in euer Schlafzimmer [grün gestrichen und zuviel Holz], wo sie mir ihr Hochzeitskleid präsentierte. Ich lächelte dazu und zupfte am Rock herum, ich umarmte sie und sie legte ihren Zeigefinger auf meinen Mund. „Sshh. Kein Wort zu Jakob, versprochen?“ murmelte sie dann. Ich habe viel versprochen an jenem Tag, auch, dass ich bald wieder vorbeikommen würde, dass ich eine der Brautjungfern sein würde, dass ich auf den Bräutigam aufpassen würde, wenn sie ein letztes Mal ihre Ungebundenheit feiern wollen würde, am Samstag, mit ihren Freundinnen, mit lustigen Spielen und peinlichen T-Shirts. Ja auch das habe ich versprochen, gesagt, dass ich mit einigen Filmen vorbeikommen würde, die eine oder andere Tasse Tee trinken würde und sie sich keine Sorgen um ihren bald Angetrauten machen müsste, er würde sich nicht langweilen, nur keine Sorge, keine Sorge.

Der Samstag kam mit Riesenschritten, ich packte meine Tasche und die Filme ein, ich schwang mich aufs Rad, ich war fünf Minuten eher da, als ich dachte. Jakob, du standst in der Tür und umarmtest mich kurz, erklärtest, dass das nicht nötig sei, du wärst doch kein kleines Kind, ein Abend alleine, wirklich, es wäre auszuhalten gewesen. Ich erwiderte nichts, ging in eure Küche und machte Tee. „Such dir einen Film aus,“ rief ich in das Vorzimmer hinaus und lächelte still vor mich hin. Wir saßen dann im Wohnzimmer, auf einem zum alten Sofa, du neben mir und ich neben dir. Ich trank meinen Tee langsam und bedächtig, du hast auf deine Unterlippe gebissen und dich auf nichts, außer dem Film konzentriert. Irgendwann rutschte ich näher, irgendwann berührte mein Knie dein Knie, irgendwann sahst du mich an, irgendwann lag mein Kopf an deiner Schulter. Die Minuten rannen durch die Finger, ein Film folgte dem nächsten, dem Tee folgte der Wein, den ich auch aus meiner Tasche zauberte. Du sahst mich immer noch ab und zu an, aber bereits länger als zuvor. Ich lächelte dümmlich und als es mir spät genug erschien, fasste ich an deinen Hinterkopf und zog dich zu mir herüber. Ich küsste dich, du küsstest mich. Es war einfacher als ich erwartet hatte. Deine Zunge war weich und deine Hände warm, dein T-Shirt zog ich dir bald über den Kopf, meiner Hosen entledigte ich mich selber. Und wie du über mir lagst und wie du zu stöhnen begannst, da musste ich lächeln, da wusste ich, ich habe gewonnen. Ich habe aufgehört dich zu lieben, in dem Moment Jakob, ich habe aufgehört dich zu begehren, ich wusste, ich kann dich jetzt ziehen lassen und als du ein wenig später neben mir lagst und die Konturen meiner Brüste mit deinem Zeigefinger nachzeichnest, Jakob, es hat mir nichts mehr bedeutet. Wir blieben dort liegen, auf dem Sofa, der Film war so lange vorbei, wie es schon nicht mehr Mitternacht war. Du wolltest dich anziehen, Zita müsste doch bald kommen, ich sagte, wir hätten noch Zeit. Ich vergrub meine Hände in deinen Haaren und küsste deine Stirn. „Das wird sie nie erfahren,“ sagtest du und ich bejahte dies. Du bist dann bald eingeschlafen, Jakob, wirklich es lief alles wie nach Plan. Ich lag neben dir und zählte die Sekunden, lange würde es nicht mehr dauern.

Sie kam nachhause, sie war betrunken, sie sah uns am Boden liegen, immer noch nackt, sie schrie. In der Küche schmiss sie wahllos Teller, Gläser und Vasen aus den Regalen. Der Lärm, der dabei entstand, er war ohrenbetäubend. Du bist aufgesprungen Jakob und hast zur Tür hinaus gestarrt, wo der Lärm langsam weniger wurde. Und ich habe meine Beine angewinkelt und nichts gedacht, schon gar nicht an dich oder an sie. Der Lärm wurde weniger und du auch und ich nehme deine Hand und ich reiche dir ein Wasserglas. Wie du die Wand hinunterrutscht und ich mich neben dich hinsetze, Jakob, da rieche ich deinen Schweiß, der anders riecht als zuvor, nicht nach Begehren und Leidenschaft, sondern nach Angst. Und ich denke immer noch, dass du in meine Arme kommen sollst, damit diese Nacht schneller vorbeigeht und ich gehen kann und du die Scherben aufsammeln wirst und sie vielleicht zurückkommt.

Ich gehe bevor es hell wird, ich umarme dich kurz und sage nichts, aber laufe die Treppen hinunter und weiß es endlich, dass ich eine Königin bin, die regiert mit eisernen Hand. Mein Untertan bist du Jakob, und die Ketten werde ich nicht lockern, nicht bevor du einsiehst, dass es kein Entrinnen gibt. Dass die Pechnase tropft und euch versteinert. In meinem Garten habe ich einen besonders schönen Platz für euch ausgesucht.

Mehr lesen — Aktuelles aus der jetzt-Redaktion: