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Macht

Text: virgina
So, jetzt beginne ich, nach zehn Jahren endlich, sie in eine Schuhschachtel zu packen und ich bin gar nicht froh dabei. Viele Fotos habe ich von ihr nicht. Auf den wenigen triumphiert sie wie eine Königin während der Audienz. Ab einem gewissen Zeitpunkt war sie immer dabei in meinem Leben wie ein Gepäckstück. Sie war meine Schwiegermutter ohne Blutsbande. 10 Jahre lang hat sie sich 10 Jahre jünger gemacht. Ich habe es erst jetzt erfahren. Sie trug schulterlanges Haar, schwarz gefärbt. Ihre Kleidung war von einer kuriosen Altmodischkeit, am Schluss, als sie so dünn war, trug sie schöne, von mir abgelegte Sachen und wurde Immobilienmaklerin. Ihre Stimme war durchdringend, preussisch. Vorwurfsvoll. Sie wußte alles besser und hat jeden kritisiert. Dabei ein Lachen, das künstlich noch in meinen Ohren klingt. In einer Vase, auch von einem Verstorbenen, sehen die zu bunten Rosen aus den Kränzen, die danach weggeworfen werden, mich an. Mit ihrem viel jüngeren Bruder, der die Ansprache hielt, hatte ich einmal fast eine Affäre. Zum Glück nur fast und seine rothaarige Freundin von einst sang gestern Gospels und Ave Maria in der Aussegnungshalle mit einem zu hohen Sopran. Die Verstorbene hatte den Vater meines Kindes kennengelernt, als sie 50 war und er 25. Sie ließ sich scheiden und ihn nie mehr los und drei Monate später starb der Ehemann an einer Morphiumüberdosis. Die Familie ächtete den jugendlichen Liebhaber. Und auch sie. Alles gab sie auf, alles verlor sie. Die Wege trennten sich irgendwann und auf einmal stand sie wieder winkend und hilfsbereit am Wegesrand. Irgendwann ehelichte er Dame Nr. 2, mich. Sie tobte. Ich bekam ein Kind. Es wurde ihr Ein und Alles und sie nannte es immer so. Das Kind. Ich konnte nichts dagegen tun. Jahre vorher hatte ich einen Zettel auf dem Bett meines Gefährten gefunden. "Bett wie immer unberührt, also wozu das Theater." Ihre Schrift war mir unheimlich, bedrohend, lebenslang. Sie war zäh und schneite ab dieser unseligen Hochzeitsfeier in Salzburg herein auch in mein Leben, wie und wann immer es ihr paßte. Machte sich breit und unenbehrlich. Nachts rief sie an und er beeilte sich, ihre Migräne zu bekämpfen und ihr beizustehen, der Armen. Ohne Rente, ohne Mann. Noch seinen Vater hatte sie gekannt. Und er rannte und rannte und log. Sie kam mit in den Urlaub, tauchte am See auf, und ich legte kein Veto ein. Verzweifelt versuchte sie, eine Rolle zu spielen und es gelang ihr ausgezeichnet. Einmal blätterte ich in einem Buch über die Liebe, es stand in seinem Regal. Die Schrift kannte ich. Widmung: "Und sprich, wie schwindet Liebe? Die war's nicht, der's geschah. P."Als endlich der Kindsvater auch von mir gegangen war, diesmal zu einer Susanna ins strahlende Firenze,, solidarisierte sie sich mit mir. Drei Frauen heiratete er, nur nicht sie. Die letzte Ehe verschwieg er ihr. Dann reiste ich ins Aus nach Spanien. Ihre Stunde war gekommen. Wenn schon nicht der Mann, dann das Liebchen. Mit spitzen Fingern forderte sie den Hausschlüssel von einer Vertrauten. "Die kommt nicht mehr."Natürlich kam ich wieder und zwar ohne Torero. Auf einem dilettantischen Video-Film am fünften Geburtstag meiner Tochter spielte sie Hausherrin und er mit und die Kleine war Prinzessin. Wenn ich wegen Bauchschmerzen des Kindes in der Ambulanz saß, tauchte sie auf wie ein schwarzer, flatternder und pickender Rabe und gab Anweisungen. Ich habe versäumt, sie schon damals in die Schachtel zu packen. Sie war gewaltig. Ich habe das alles immer noch nicht verstanden. .

Und ich weiß, dass sie noch immer allgegenwärtig ist. Tempotaschentücher, zerknüllte. Haare. Plastik-Tütchen. Rote Gummibändchen. Schälchen. Karten mit ihrer Schrift. Die Fotos.

Bis zum letzten Atemzug habe ich dennoch ihre Hand gehalten, ihr, die voll war mit Metastasen.

Sie war keine Freundin. Definitiv nicht. Sie war seine.






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