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Leben in der FuWO: Besuch in einer ungewöhnlichen Berliner WG

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Im Regal stehen die Bücher nach Themen sortiert, aber niemand fragt, wem welche gehören. In jedem der vier Zimmer gibt es Hochbetten, Sofas, Matratzen. Abends sucht sich jeder einen Schlafplatz aus; je nach Laune. Zimmer Nummer fünf, ein Durchgangszimmer, wird komplett von Kleiderschränken eingenommen – wer einen Pullover oder eine Hose braucht, nimmt sich einfach einen. Der Name, der für ihre Wohnform erfunden wurde, lautet „funktionales Wohnen“, kurz „FuWo“. Die Zimmer von Batti, Marie, Felix, Ulla, Billy und Lina in der Berliner Torstraße sind nicht Personen, sondern Funktionen zugeordnet. Alles gleich verteilen Die Grundidee von FuWo sei zunächst mal, „Privateigentum zurückzufahren“, erklärt Batti, der seit der Gründung der WG vor drei Jahren hier wohnt. „Es ist der Versuch, alles möglichst gleich zu verteilen: Kleider, Bücher, Arbeit.“

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Essen für alle: Abendessen bei FuWo, Foto: Kai Löffelbein Wenn jemand kein Geld für die Miete hat, zahlen die anderen für ihn mit. Und auch sonst ist die WG der Versuch, in materieller Hinsicht aus dem auszusteigen, was Batti „westeuropäisches Individualisten-Ding“ nennt. Man rede mehr miteinander, verschließe sich nicht so leicht. „Kommunikation steht sowieso am Anfang und am Ende“, ergänzt Bettina, eine Bekannte, die in ähnlichen WGs gewohnt hat. „Man muss sich ja dauernd verständigen: darüber, wer in welchem Zimmer was macht, und ob wen was stört, aber natürlich auch einfach nur viele Gespräche. Das ist eben das Nette an der Sache.“ Wenn dann im Wohnzimmer mit den drei Sofas an einem Sonntagabend ein riesiger Topf Nudeln mit Tomatensauce gemeinsam verputzt wird, ist der Unterschied zu einer x-beliebigen Studenten-WG eigentlich nicht zu erkennen. „Ich hab’ gedacht, wir machen ein Happening draus, und hab’ noch ein paar Leute eingeladen“, sagt Batti, der an diesem Abend auch gekocht hat. Viele der ehemaligen Mitbewohner sind da; in den drei Jahren waren es schon 20 verschiedene. Zu den Nachteilen von FuWo fällt eigentlich nur der ehemaligen Mitbewohnerin Sylvie etwas ein: „Man kann noch leichter Sachen verlieren.“ Aber alle anderen Schwierigkeiten – verschiedene Tagesrhythmen, zugemüllte Ablagen und Ablenkung von der Uni-Arbeit, weil eine Runde Schach mit den Mitbewohnern spannender ist, kennt man aus beinahe jeder anderen WG. „Sobald nette Leute da sind, versumpfen da auch alle in der Küche“, meint Bettina. Dass FuWo keine Exklusiv-Spinnerei weltfremder Langzeitstudenten sein muss, zeigt auch Linas Beispiel. Sie macht dieses Jahr Abitur und ist vor einem halben Jahr in die FuWo-WG „total zufällig reingerutscht“, auf der Suche nach einem günstigen Zimmer in Nähe der Schule. „Ich fand alle nett und wollte gern einziehen. Über FuWo wusste ich noch gar nichts. Aber ich wollte es dann gern ausprobieren“, erzählt sie. Teilen ist Arbeit Allerdings hört FuWo bei ihr auf, wenn es ums Schlafen geht. „Ich mag es nicht, beim Aufwachen nicht zu wissen, wo ich bin.“ Darum schläft Lina im Gegensatz zu den anderen immer im selben Bett. Niemand der Mitbewohner hat was dagegen – so lange nicht ganze Zimmer vereinnahmt werden. Denn absolut alles teilen will sowieso niemand. Jeder hat eine Kiste, eine Ecke im Regal oder bestimmte Kleider, bei denen feststeht: Das gehört jemandem. Genau, wie es auch in de FuWo-WG möglich ist, eine Tür zu schließen, wenn man seine Ruhe haben will. „Als ich eingezogen bin, war ich es gar nicht gewohnt, alle meine Sachen zu teilen. Ich bin Einzelkind. Aber inzwischen will ich gar nicht mehr anders wohnen“, sagt Lina. Was niemand leugnet: Das Wohnen nach dem FuWo-Prinzip ist manchmal Arbeit. Weil es allen Beteiligten um mehr geht als um die Frage, ob jeder seine Miete pünktlich zahlt und sich ansonsten ruhig verhält. Gerade wurde mal wieder ein Problem der kleineren Sorte gelöst: die Sache mit den Zahnbürsten, die immer durcheinander geraten. Es gibt jetzt also einen neuen Becher neben dem Waschbecken, und Batti verkündet: „Privatzahnbürsten stehen im Kristallglas.“ Mehr optische Eindrücke aus der FuWO-WG auf der nächsten Seite.


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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert


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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert
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