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Mies aufgelegt. Heute: Sven Väth und der Seniorentanz

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Meine größte DJ-Krise? Die kam gleich am Anfang meiner Karriere: Ich war 16 Jahre alt, hatte meine Schlosserlehre abgebrochen und war für drei Monate nach Ibiza getrampt. Vollkommen ahnungslos stolperte ich in das dortige Nachtleben - und war restlos fasziniert, wie DJs mit nichts als zwei Plattenspielern und einem Mischpult ihr Publikum zum Ausflippen brachten. Ob das nicht auch im heimischen Neu-Isenburg funktionieren könnte? Immerhin besaß meine Familie dort einen kleinen Tanzschuppen: Das „Queens Pub“. Ein Treffpunkt für Rock'n'Roll tanzende Paare wie meine Eltern, die sich mit der eigenen Diskothek noch spät einen Lebenstraum erfüllt hatten.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Kurz nach meiner Rückkehr aus Ibiza rief dann eines abends unverhofft Mutti an: „Uns ist der DJ abgehauen!“ Ich war überglücklich und übernahm, brachte wie üblich zwischen den Nummern die Ansagen: „Leute, die Blues-Runde mit Otis Redding“. „Die Rock’n Roll-Runde mit Elvis“ „Macht euch bereit für eine Schmuse-Runde mit Barry White“. Oder wenn ich mal mehr nach eigenem Gusto auflegen durfte: „Und nun läutet Gloria Gaynor die Disco-Runde ein!“ Nach Dienstschluss um ein Uhr nachts bin ich nach Frankfurt ins Dorian Gray gefahren und habe den Haus-DJ beim Beatmixen beobachtet. Ehrfürchtig starrte ich auf die Plattenspieler. Prägte mir jede Fingerbewegung ein. Zurück in Neu-Isenburg versuchte ich am nächsten Tag dem Dorian Gray – DJ nachzueifern: Dummerweise hatten meine Eltern im „Queens Pub“ nur altmodische, quartzgetriebene Dual-Plattenspieler: Kein Strobo, keine Pitchcontrol, nichts, was einem zeitgemäßen Disco-DJ auch nur vage Hoffnung machen konnte. Nur die drei Einstellungen 33, 45, 78. Trotzdem: Wollte ich DJ sein oder nur Plattenwechsler? Ich musste es wagen! Zumindest in der Disco-Runde: Immerhin hatte ich schon begriffen, dass man Beats in Beats nur nach Takten mixen kann, also nach 4, 8 oder 16 Beats einsteigt. Blieb die Geschwindigkeitskontrolle: Auf „Billy Jean“ von Michael Jackson würde jetzt perfekt Indeeps „Last Night A DJ Saved My Life“ passen. Aber wie kriege ich die Beats bloß auf Gleichschlag? Mit meinem linken Zeigefinger bewege ich die Indeep-Maxi auf dem Plattenlabel mit, versuche die Scheibe sachte zu beschleunigen. Jetzt! Beat auf Beat! Michael Jackson mit der anderen Hand langsam ausblenden. Fantastisch! Ich klinge wie der Kollege aus dem Dorian Gray. Was für ein Hochgefühl! Bis der Flieger plötzlich abstürzt: „Last Night A Deejääääiiieee ....“ Ein nach unten ziehendes Jaulen, verdammt, ich hatte die linke Hand gehoben. Vergessen, den Finger auf dem Plattenlabel zu lassen. Alle Tänzer glotzen schlagartig in meine Richtung. Ertappt! Als ob ich gerade die Hose runtergelassen hätte. „Okay“, raune ich beschämft ins Mikro, „und nun die Foxtrott-Runde mit Boney M!“.

Text: jonathan-fischer - Foto: dpa

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