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Ein echter Trip: Dahin reisen, wo die Drogen sind - Teil 5: The Stadium, Jakarta

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Wo die Pille regiert Das Stadium ist in keinem Reiseführer als Ausgehtipp beschrieben, aber es existiert eine Homepage, deren englischen Eröffnungssatz man am besten nicht übersetzt: „Here are the hugest place in Jakarta, where everybody blend with the atmosphere of the late night. Why wait? Get your 'night soul' here, and feed them all night!“

The Stadium Jakarta ist eine asiatische Millionenstadt: laut, dreckig, gestopft voll. Die Außenbezirke stinken wie Reifenfabriken, die Innenstadt besteht aus Inseln gläserner Mega-Malls zwischen dem täglichen urbanen Wahnsinn unseres Zeitalters, zwischen chaotischem Verkehr und spürbarer Überbevölkerung. Selbst in den raren Sympathiebekundungen zu Jakarta ist das Wort „trotzdem“ Stammgast. Jakarta ist ein Moloch. Und jeder Moloch hat ein dunkles Herz. Wenn man so will, dann ist das Stadium Jakartas pervertiertes Herz. Mit wem man auch redet: die Bedienung auf Bali, die in Jakarta aufgewachsen ist, der australische Ingenieur, der sein halbes Leben auf isolierten Ölplattformen vor der indonesischen Küste verbringt, die Furchtloseren unter den Lonely Planet-Nomaden, die man in einem Rattenverseuchten Hostel in der berüchtigten Jalan Jaksa trifft – der erste Satz über Jakartas Nachtleben beinhaltet das Wort „Stadium“. Warnend, flüsternd, mit einem entrückten Strahlen in den Augen beginnen die Menschen einen Satz, brechen dann ab. „You have to see it yourself,“ heißt es dann. Denn das Stadium kann man nur schwer erklären. Nüchtern gesehen (ein Paradoxon), besteht das Stadium aus vier Stockwerken, in einem Gebäude irgendwo im armen Zentrum Jakartas, an einer Ecke mit Straßenhändlern, Bettlern, Imbisswagen. Kurz: Mitten in Indonesiens real life. Keine boules, weiße Ausländer, zu sehen. Keine Flagship-Stores internationaler Modemarken; ein Gefühl der Freiheit überkommt mich, als wir gegen fünf Uhr morgens hinein gehen. „Nicht ohne Einheimische reintrauen“ würde sich, so sagt sie, eine deutsche Studentin, die in Jakarta lebt. Wir lassen es drauf ankommen, wir waren in anderen Clubs, wir wollen alles oder nichts. Das Erdgeschoss erinnert jedoch eher an einen deutschen Spielsalon als an einen fiesen Techno-Tempel: rot verkleidete Wände, Registrierkassen, Angestellte in altmodischen Anzügen. Im zweiten und dritten Stock dann mehrere kleine Räume, harter Elektrosound, junges Publikum. Vereinzelt scheinen die Bewegungen der Tänzer schon bald nicht mehr von dieser Welt. Das wahre Stadium aber ist der oberste Floor, eher eine Rock-Venue mit Bühne als eine Disko, genannt „the Siege“, die Belagerung. Ein mittelalterlich angehauchtes Höllenloch von Club. Wir bezahlen unseren spärlichen Eintritt, umgerechnet 5 Euro, ein Getränk inklusive. Die Bar ist nicht wirklich besetzt, niemand scheint hier Alkohol zu trinken. Stattdessen stehen überall Kühlschränke in den Ecken, aus denen direkt Wasserflaschen verkauft werden. Es ist kein Geheimnis, dass hier die Droge herrscht. Denn anders als in anderen, mitunter zu recht berüchtigten Clubs, geht man hier zum Stoff kaufen nicht in eine dunkle Ecke, handelt nicht mit einem zwielichtigen Sonnenbrillenträger einen zu hohen Preis aus, versucht nicht auf der Toilette das Zeug irgendwie einzuwerfen, ohne vom Türsteher erwischt zu werden. Im Stadium sind die Kellner echte Servicekräfte. Sie halten das Monopol auf die Pillen. Es wird auch nicht, wie sonst üblich in Indonesien, gehandelt. Umgerechnet 15 Euro pro Ecstasytablette, ohne Rabatt, ohne Risiko. „Never police“ sagt der sympathische Schnauzbartrtäger in Kellneruniform um die 40, der uns anspricht. „Dont worry man! This not real, this stadium.“ Er holt einen Beutel hervor, gefüllt mit ca. 20 Pillen, alle hellblau. „One quality, one price. Is good. Normal!“ Dann geht er ein bisschen zur Seite, ins Dunkel jenseits der Tanzfläche, eher der ruhigen Transaktionsabwicklung wegen denn aus Heimlichtuerei.

The Stadium Mehr Erklärung braucht es nicht, aber wozu überhaupt noch fragen, jeder hier ist drauf. Ein ganzes Wochenende, denn der Club schließt eigentlich nicht, von Freitag bis Montag. Und niemand nimmt Anstoß. Niemand stört. Denn Ecstasy schafft die Aggressionen, die Ellenbogenparty, die in vielen „normalen“ Clubs herrscht, rigoros ab. Viele junge Mädchen sind allein unterwegs, niemand hat Angst vor Übergriffen, dazu sind alle viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt. Zwischendurch immer wieder: Lächeln, hoch gestreckte Daumen, Höflichkeit, Rücksicht. So viel muss man den Pillen, die hier die Menschen im Griff haben, lassen. Angeblich gab es einmal eine Razzia. Mit großem Medienecho durchsuchte die Polizei alle Gäste, das Personal, den ganzen Club. Es wurde eine Pille sichergestellt. „They don´t bribe the police,“ geht ein geläufiger Witz über die Betreiber des Stadiums, „the club apparently is run by the cops themselves.“ Die Musik besteht an unserem Sonntag morgen aus düsteren Bass-Schlägen in die Magengrube und schneidenden Melodien, Tech-House und Trance und so weiter, der Club wird nur von spärlichen Lasereffekten beleuchtet, in den Schatten am Rande der Tanzfläche können wir Schemen ausmachen, die sich hin und herwiegen. Von der Galerie aus überblicke ich den Club, die symbiotische Einheit aus Menge und DJ und dann der vier Meter langen Drachenstatue direkt in die Augen, die samt Amazonenreiterin von der Decke hängt. Über dem DJ mystische Symbole vergangener Zeiten, dunkle Nischen überall. Ich halte mich an Geländer gewordenen eisernen Cobraköpfen fest. Links und rechts Fackellampen. Ich schwebe über allem. Und als gegen elf Uhr frisches Blut in den Club strömt, indonesische Schüler, die ihren Eltern von einem Besuch bei einem Freund vorgelogen haben, um die nächtliche Ausgangssperre zu überwinden, zieht der DJ noch einmal an, spielt eine Hymne der Szene, die durch die Dunkelheit hallt wie der Ruf zu einem Gebet. Hunderte von lächelnden Gesichtern schreien, brüllen, pfeifen. Das Mädchen neben mir schreit mir entgegen: „I wouldn´t wanna be anywhere else but here!“ Schnauzbart kommt vorbei, sammelt Flaschen ein und lächelt: „Good night, or day, man. Want more? Still going on!“ Wir verabschieden uns lieber von diesem anderen Planeten. Den Abstand zu bewahren ist wichtig, bei so vielen glücklichen Menschen, bei einer, auf den ersten Blick, wahr gewordenen Utopie. Draußen fängt die Stadt wieder an zu keuchen, die ersten Sekunden Realität sind wie eine emotionale Chemotherapie. Die Hitze, die Sonne, das Leben in verschiedenen Rhythmen schockt. Wir setzen Sonnenbrillen auf, dann wieder ab, dann wieder auf. „Taxi?“ rufen uns die wartenden Fahrer entgegen, alles ist zu laut, zu heiß, zu viel. Wir kehren noch einmal um, Fahrstuhl, 4. Stock. „Nur noch ein paar Stunden,“ sage ich. Das Herz des Molochs pumpt weiter. Bis zum Kollaps. friedemann-karig

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