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Und wie liest du so? Die Lesetypen in der jetzt.de-Redaktion

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Der Arbeiter im Buch-Steinbruch

Das Schlimmste am Lesen ist das Reisen. Eigentlich mag ich es, wegzufahren, weil schon der Weg allein, im Zug oder im Flugzeug, eine wunderbare Zwischenzeit ist, in der man eigentlich nichts Sinnvolles tun kann außer Lesen. Am Ziel der Reise dann ist auch mehr Zeit als daheim, um nichts anderes zu machen als zu lesen – eigentlich müsste es für mich also nichts Schöneres geben, als auf Reisen zu lesen. Es ist aber die Hölle. Ich bin nämlich weniger ein Leser als ein Bucharbeiter mit einem in Paranoia abgleitendem Besitzerinstinkt. Ich lese nicht – ich arbeite Bücher durch, zwar lesend, aber gleichzeitig auch Eindrücke, Gedankenblitze und Anmerkungen notierend, und zwar in das Buch hinein, über, unter und zwischen den Zeilen oder, bei längeren Passagen, am Rand. Ein Buch, das ich gelesen habe, sieht aus, als wäre es im Schuljahr 1977/78 in den Oberstufen-Handapparat eines Gymnasiums gestellt worden und seitdem von jedem einzelnen Jahrgang so ausdauernd wie liebevoll bearbeitet worden. Meine Bücher sind alle Notizbücher. Das ist ein Problem. Vor allem auf Reisen. Ich kann gelesene Bücher nämlich nicht zurücklassen oder gar hergeben. Ich muss sie behalten. Jedes einzelne. Ohne Ausnahme. Steht ja alles drin. In normalen Zeiten ist das einigermaßen zu bewerkstelligen, man braucht nur ein großes WG-Zimmer, Industrieregale mit ordentlicher Nutzlast und verständnisvolle Mitbewohner dazu. Auf Reisen aber bedeutet das, dass ich jedes einzelne Buch, das ich mitnehme – und ich nehme gerne viele Bücher mit, weil auf Reisen so schön lesen ist –, auch wieder zurückbringen muss. Das ist die Hölle. Es ist schon schwierig genug, bei einer Reise von drei Wochen alle Kleidungsstücke soweit zu reduzieren, dass eine gute Auswahl Bücher mit kann, ohne dass die Gewichtsgrenze bei Flugreisen überschritten wird. Aber wenn ich dann heim kehre, mit neuen Dingen und auch neuen Büchern, die ganzen alten, ausgelesenen aber auch mitnehmen muss, dann wird das Gepäck sehr, sehr schwer. Wer sich jemals gefragt hat, woher diese kleinen verhutzelten alten Menschen kommen, die ab und an gebeugt wie ein Fragezeichen durch die Fußgängerzone gehen – das waren mal Leser wie ich, das Gewicht ihrer Bücher hat sie von Reise zu Reise, von Umzug zu Umzug mehr in die Knie gezwungen. Aber ich kann nicht aus. Es ist schrecklich. Nur manchmal, in den schwachen Momenten, da ich ein wenig größenwahnsinnig werde und davon träume, einst einmal ein berühmter Zeitgenosse zu werden, vielleicht gar ein Schriftsteller, da gefällt mir die Vorstellung, dass nach meinem Tod ein schlecht bezahlter Germanistik-Doktorand auf einer Drittmittel-Stelle alle von mir gelesenen Bücher nachlesen muss, um aus krakeligen Anmerkungen die schwerwiegenden Einflüsse auf mein schriftstellerisches Schaffen zu destillieren. Sonst leide ich. Und lese, notiere, sammle, schleppe. durs-wacker


Die seriell leidenschaftliche Lesefreundin

Bücher sind für mich wie gute Freunde: Da ich ein aufgeschlossenes Mädchen bin, sehe ich nicht ein, wieso ich immer bloß eine Bekanntschaft pro Zeitraum haben soll. Leider besitze ich zudem praktisch keine Interessen, die nicht mit Text zu tun haben und bräuchte eigentlich wesentlich mehr als die 16 Stunden, die ich am Tag so wach bin. Deswegen bin ich Parallelleserin. Und weil man da zugegebenermaßen manchmal den Überblick verliert, habe ich mir ein System zugelegt, bestehend aus strategisch angelegten Haufen. Auf meinem Schreibtisch etwa stapeln sich vor allem Bücher aus der Unibibliothek. Sie gehören nicht zu meinen Lieblingen, sondern werden von mir meist mit einem unangenehmen Gefühl der Verpflichtung gelesen. Um meinen Sessel habe ich Sachen platziert, in die man spontan lesen kann, Lyrikbände oder Aphorismensammlungen etwa, sozusagen die schnelle Dosis Sinn. Die besten Bücher aber stehen neben meinem Bett: Der Tower of Wissen und der Belletristikstapel. Je nachdem ob meine aktuelle Einschlafsituation nette Unterhaltung oder geistige Stimulation erfordert, hänge ich einfach einen Arm vom Bett, rolle meinen Kopf runter und beschäftige ich mich mit dem Buch was mich gerade am charmantesten anlacht. So hat alles seine Ordnung und entspricht nichtsdestotrotz dem Lustprinzip. meredith-haaf


Und ewig liest das Murmeltier

Es ist ein bisschen peinlich, aber was soll’s, dann gestehe ich es eben: In meinem Bücherregal stehen mehr als zwanzig Bücher, die ich alle schon mindestens fünf Mal gelesen habe. Sie haben eine Gemeinsamkeit: man kann sie eher der leichten Unterhaltung zuzuordnen, es geht immer auch ein bisschen um Liebe und sie sind sehr spannend. Da wäre zum Beispiel die großartige Krimi-Reihe der Autorin Dorothy L. Sayers, deren Detektiv-Held und Hochadels-Angehöriger Lord Peter Wimsey sich in einem der ersten Bände in die des Mordes verdächtige Kriminal-Autorin Harriet Vane verliebt. Über mehrere Bände wird diese Liebesgeschichte entwickelt, bis sie endlich im Happy End mündet. Nebenher werden natürlich fleißig Kriminalfälle gelöst und aufs Hübscheste sehr britisch geistreich geplaudert. Eine andere Heldin, deren Abenteuer ich immer wieder lese, stammt ebenfalls aus dem Bereich der Kriminal-Literatur, allerdings ist sie ein bisschen mehr Pulp und weniger klassische Kriminal-Literatur: Modesty Blaise, erfunden von Peter O’Donnel. Sie ist so eine Art weiblichen James Bond, allerdings mit einer Vergangenheit als Meisterdiebin, ist jung, wunderschön und beherrscht sämtliche Nah- und Weitkampftechniken. Ihr zur Seite steht der etwas tumb aussehende aber natürlich extrem schlaue Willie Garvin, mit dem sie eine tiefe Freundschaft verbindet, aber kein Sex. Die beiden kämpfen mit finsteren Bösewichten an entlegenen Orten und am Ende siegt immer das Gute. Klar. Es ist nicht so, dass mich Bücher mit Anspruch überfordern würden – ich lese sehr viel und ich lese natürlich auch gerne neue Bücher. Aber es gibt Zeiten, in denen muss ich mich auf vertrautes Terrain zurückziehen. Wenn es sonst in meinem Leben unübersichtlich wird oder ich Angst habe. Dann finde ich Trost bei den Büchern, die in einer Welt spielen, die klar umrissen ist, wo gut und böse unterscheidbar sind und ich weiß, dass es am Ende gut ausgehen wird. Es gibt genügend Leute, die mich für bescheuert halten, weil ich Bücher mehrfach lese. Die finden nichts schlimmer, als schon am Anfang zu wissen, wer den Mord begangen hat und wer wen am Ende kriegt. Vielleicht sind die auch einfach intelligenter als ich. Aber für mich ist die Lektüre dieser Bücher ein bisschen wie keine Sorgen haben. Ich weiß, was mich erwartet, ich weiß, dass nichts allzu Schlimmes passieren wird und ich weiß, dass am Ende das Gute siegt. Das sind Qualitäten, die mir besonders dann wichtig sind, wenn ich sonst nicht viel weiß. christina-kretschmer


Die Poesiealbum-Schreiberin

Neulich, beim Familientreffen, hatte meine gleichaltrige Cousine ihr Poesiealbum dabei. In dieses Poesiealbum hatten ihre Freundinnen aus der Grundschule und vielleicht noch in der 5. und 6. Klasse Sprüche geschrieben, Bildchen geklebt und Vögel und Herzchen gemalt. Die Menge an altklugen Sprüchen und der Aufwand, den wir damals betrieben haben, haben uns irgendwie gerührt. Irgendwann aber wurden andere Dinge interessant, Jungs, Kleidung, Musik abseits der Musikschule, und als Nebenwirkung verliert das Poesiealbum stark an Bedeutung, bis es nur noch der leicht nostalgisch angehauchten Belustigung dient. Es gibt aber auch Ausnahmen. Ich habe die Form des Poesiealbums weiterentwickelt. Immer wieder habe ich Sätze gelesen, in Romanen oder Erzählungen oder Formulierungen in Gedichten gefunden, die ich zu schön fand, um sie nur zu lesen. Die Sätze müssen nicht unbedingt schön sein. Meistens beschreiben sie etwas, was ich kenne, ein besonderes Gefühl oder einen Zustand. Der Autor dieser Zeilen ist ein Mensch mit einer anderen Geschichte, er lebt meistens an einem Ort weit weg von mir. Aber es gelingt ihm, mir ein Gefühl von verstanden-werden zu geben. Das fasziniert mich. Wenn so etwas vorkommt, will ich diesen Satz, diese Formulierung, diese Beschreibung festhalten. Dazu habe ich mir über die Jahre verschiedene dieser schönen Blankobücher zugelegt. Es gibt sie in Intellektuellen-Schwarz, dann kann man sie bekleben, oder mit Muster. Manche der Sätze kenne ich fast auswendig. Ich weiß, wann ich dieses Buch gelesen habe, mit wem ich über dieses Buch gesprochen habe und wie lang ich dran gelesen habe. Paul Auster ist ein Autor, der Unmengen dieser faszinierenden Sätze produziert, in fast jedem seiner Bücher. Aber auch Lyriker und Songschreiber finden einen Platz in meinen Notizbüchern. Ein bisschen funktionieren diese Bücher wie ein Tagebuch. Es mag unsinnig erscheinen, Bücher partiell abzuschreiben, aber ich kann damit nicht aufhören. In den letzen Jahren habe ich mich auch immer wieder ertappt, wie ich Sätze in meiner Uni-Lektüre nicht nur anstreichenswert, sondern aufschreibenswert fand. Mein Poesiealbum, das einmal mit Sprüchen à la „Wenn die Flüsse aufwärts fließen und die Hasen Jäger schießen…“ begann, emanzipiert sich mehr und mehr. Ich habe noch einige leere Notizbücher im Regal stehen, weil diese Bücher immer auch ein beliebtes Geschenk von Freunden waren. Aber es gibt ja auch noch jede Menge Bücher, die ich noch lesen will. nina-heinrich

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