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Kann ich das auch? Der Crashkurs in moderner Kunst

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Weiße Quadrate, Müllskulpturen, Konservendosen: In Museen hängen und stehen lauter komische Dinge. Was macht etwas eigentlich zu Kunst? Dass die richtigen Leute es dafür halten. Man kann sich das wie ein Paralleluniversum vorstellen: Es gibt die echte Welt, und es gibt den Planeten Kunst. Wenn die Bewohner dieses Planeten sich darauf geeinigt haben, etwas gut zu finden und in ihrer Welt aufzunehmen, dann ist das automatisch Kunst. Alles was in Museen steht oder hängt, ist automatisch Kunst.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Aber muss ein Werk nicht irgendetwas besonderes haben, etwas ästhetisches oder inhaltliches, was es erst zu einem Kunstwerk macht? Nein, überhaupt nicht. Mit dem Objekt selbst hat dieser Prozess kaum etwas zu tun. Ein Beispiel: Irgend so ein New Yorker Künstler aus der Graffiti-Szene hat auf Zeitungsseiten gewichst. Das wurde vor kurzem in Berlin ausgestellt, und am ersten Tag hat jemand diese Zeitungsseiten für 48 000 Euro gekauft. So ein Idiot! Klar ist der Käufer ein Idiot. Aber er macht dieses an sich ekelhafte Zeug dadurch zu Kunst, dass er als Sammler dafür Geld ausgibt. Und was hat er dann davon, von diesen vollgewichsten Zeitungsseiten? Er setzt sich provokativ vom Geschmack der Masse ab. Das Engagement für Kunst ist durchdrungen von einem Prestigedenken. Man wählt sich einen Künstler aus und will sich damit von anderen abgrenzen, am liebsten natürlich von der breiten Masse. Wenn es nicht die Qualität seiner Arbeit ist, was bestimmt dann über den Erfolg eines Künstlers? Er muss die richtigen Leute auf seiner Seite haben. Wir brauchen ein Verkäufer und einen Käufer – Galerist und Sammler also. Zusätzlich noch einen Museumsdirektor, der das Objekt in seinen Räumen ausstellt, wodurch es deutlich im Wert steigt. Und zum Schluss noch einen angesehenen Kritiker, der so eine Art Gutachten verfasst. Wie verhalte ich mich in einer Ausstellung am besten: Vor jedem Bild fünf Minuten stehen bleiben - stellt sich dann irgendwann das Verständnis ein? Muss ich mir restlos alles ansehen? Man muss den Mut haben, Sachen links liegen zu lassen. Die heutigen Ausstellungen sind so fett, da kann man sowieso nicht alles sehen. Und 90 Prozent sind uninteressant. Deshalb würde ich empfehlen: Erst einmal schnell durch die Ausstellung rauschen. Dann in einem zweiten Anlauf gezielt die Sachen ansteuern, die einem im Augenwinkel hängen geblieben sind. Und sich dafür dann richtig Zeit nehmen. Wie unterscheide ich denn guter von schlechter Kunst? Kunst ist etwas Sinnliches, und dafür gibt es keine objektiven Kriterien. Aber es gibt Indizien für schlechte Kunst. Zum Beispiel billige Provokationen. Sex und Ekliges sind da besonders beliebte Mittel. Die Künstlerin Vanessa Beecroft beispielsweise stellt einen Haufen nackter Models in Museen. Da ist ganz klar: Die Leute wollen die nackten Weiber sehen, die prügeln sich fast um die Tickets! Inhaltlich ist das schwach, dass bewegt sich auf dem Niveau von Automessen-Events. Oder Christo: Der hatte einmal die Idee mit dem Verpacken, schön und gut. Seitdem packt der einfach alles mögliche ein: Den Reichstag, Brücken, und sogar ganze Inseln. Was ist denn daran bitte kreativ, einfach immer größer zu werden? Das ist nur noch eine große Marketingkampagne.


Warum hört sich Reden über Kunst immer so geschwollen an? Das liegt an der elitären Haltung des Kunstbetriebs. Das absurde ist ja: Die wollen oft gar nicht, dass man sie versteht. Ihre hochgestochenen Interpretationen verdecken nur, wie flach ein Kunstwerk eigentlich ist. Ein Beispiel: Die Mexikanerin Theresa Margolles hat die gepiercte Zunge eines erstochenen Punks gekauft. Sie hat der Familie das Begräbnis bezahlt und dafür die Zunge bekommen. Die hat sie präpariert und ausgestellt. Damit nutzt Margolles zum einen die Situation der Angehörigen aus und eklig ist es auch noch. Aber man kann natürlich auch sagen: sie will uns mit der nötigen Brutalität auf die elenden sozialen Bedingungen im Norden Mexikos hinweisen. Eine Interpretation findet man immer. Nur hier ist doch offensichtlich, dass es vor allem um den Schockeffekt geht. Man darf sich von diesem Blabla nicht verwirren lassen. Aber steht man nicht als Banause da, wenn man zu einem abgefeierten Künstler sagt: Das finde ich doof, was der macht? Nein, man muss seiner eigenen Meinung vertrauen. Kunst ist ja eine sehr emotionale Sache, ähnlich wie Musik. Wenn mir etwas nicht gefällt, dann gefällt es mir eben nicht. Punkt. Es ist allerdings ein Problem, gerade in Deutschland, dass Kritik an moderner Kunst tabuisiert wird. Man steht als reaktionär da. Dadurch wird die Lücke zwischen Publikum und Kunst immer größer. Der Kunstbetrieb will mit dem einfachen Volk nichts zu tun haben. Nun boomt der Kunstmarkt ja schon seit Jahren, die Preise steigen stetig. Zu Recht? Ach, mich nervt dieses Abfeiern immer neuer Rekordpreise und die Lobhudelei gegenüber prominenten Sammlern. Es wird so getan, als hätte jeder einzelne Mitspieler im Kunstbetrieb eine kulturelle Mission. Da werden Kunsthändler als besonders geschmackvolle und edle Menschen dargestellt. Dabei ist das vor allem ein Markt, auf dem es um viel Geld geht. Mit dem Kern von Kunst hat das herzlich wenig zu tun. Was ist denn der Kern von Kunst? Kunst ist ein Experimentierfeld für Ideen, und ein Ort geistiger Freiheit. Kunst ist ein Laboratorium für Ideen, die dann später in der “realen“ Welt, in Wirtschaft, Politik, Gesellschaft, auch wichtig werden. Und es kann ein ästhetisches Vergnügen sein. Nehmen wir an ich habe einen Nachmittag Zeit, um mich mit Kunst zu beschäftigen. Was würden Sie mir raten? Wenn sie kein absoluter Kunstneuling sind, also schon ein paar mal in Ausstellungen waren, dann besuchen Sie Galerien. Das ist meiner Meinung nach die beste Möglichkeit, einen Zugang zu Kunst zu finden. Galerien sind nicht so überfüllt wie die großen Sonderausstellungen. In den großen Museen der Welt herrscht eine Art Monokultur von 30-40 Starkünstlern. In den Galerien gibt es noch ein echtes breites Spektrum zeitgenössischer Kunst. Und das wichtigste: Man kann die Galeristen mit inhaltlichen Fragen löchern. Die haben genug Ahnung und meist auch Zeit. Außerdem ist der Eintritt frei, und auf Vernissagen kann man zusätzlich noch Wein und Edelhäppchen abstauben. In Kassel beginnt gerade die Documenta mit Ausstellungen im ganzen Stadtgebiet. Wie kann ich verhindern, dass mich die pure Masse der Kunst erschlägt? Zuerst Eintrittskarten und Kurzführer vorher kaufen, sich übers Internet schlau machen. Das erspart lange Schlangen und zielloses Umherirren. Sich auf die Sachen konzentrieren, die einen am meisten interessieren. Und wenn man nicht mehr kann: Pause machen oder nach Hause fahren. Bei einer Ausstellung ist das wie bei einem Film: Ich bin zwar totmüde, will aber unbedingt noch sehen wie es ausgeht. Nur: Wirklich hängen bleibt davon bis zum nächsten Morgen meist nichts mehr. Drei empfehlenswerte Projekte für Kunst-Laien: Reclaim the Arts - Jugendliche zeigen's Jugendlichen: Berliner Jugendliche führen Gleichaltrige durch Museen Die Welt bewohnen: Schüler führen Erwachsene über die documenta Junge Freunde Kunstmuseen: Netzwerk junger Kunstfans aus ganz Deutschland Dr. Christian Saehrendt hat zusammen mit Steen T. Kittl das Buch Das kann ich auch! Gebrauchsanweisung für moderne Kunst geschrieben. Es ist im Dumont Kunst und Literaturverlag erschienen und kostet 14,90 Euro. Der studierte Künstler Saehrendt arbeitet als Dozent und Autor in Berlin.

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